Eben hier, wo sie zusammentreffen sollten, schieden sich die Interessen des Kaisers und der deutschen Nation auf immer.
Hätte man nicht meinen sollen, die Nation, in ihren verschiedenen Ständen beleidigt, in der Tiefe ihres Daseyns angegriffen und in ihrer Zukunft bedroht, werde sich gegen die Gewalt von der sie so vieles litt und noch mehr fürch- tete, plötzlich einmal wie Ein Mann erheben?
Das ist nicht ihre Gewohnheit. Durch die Mannich- faltigkeit der herrschenden Gewalten ist ihre Aufmerksamkeit von jeher zu sehr nach verschiedenen Puncten hin zerstreut gewesen, als daß dieß so leicht geschehen könnte. Auch sieht sie gern ihre Fürsten sich vorangehen.
Und in diesen fehlte es nicht an geheimem Widerstand und Regungen zu offenem.
Wohl merkwürdig, daß sich Absichten wie sie Kaiser Carl V hegte, zunächst ein deutsch-östreichisches und ein bran- denburgisch-preußisches Interesse entgegensetzte.
Das erste beruhte auf dem Widerwillen gegen die Succes- sion des Prinzen von Spanien. Ferdinand selbst hatte sich endlich gefügt, aber weder sein Sohn, auf den es eigentlich an- kam, der dem jüngern Vetter sein Lebtag hätte nachstehn müssen, noch auch seine Räthe, welche die Verwaltung des Reiches bald an sich übergehn zu sehen und auf immer in der deutschen Linie zu befestigen hofften. Und auch mit Ferdinand stand der Kaiser nicht mehr in dem alten Vertrauen. Er nahm es übel, daß sich derselbe bei der Fürbitte für den Landgrafen bethei- ligte. Den Übrigen gab er die schon oft vernommene Ant- wort, er wolle sich in Gnaden erweisen, so viel nach Ge- stalt des Handels thunlich; seinem Bruder ließ er außerdem
Neuntes Buch. Fuͤnftes Capitel.
Eben hier, wo ſie zuſammentreffen ſollten, ſchieden ſich die Intereſſen des Kaiſers und der deutſchen Nation auf immer.
Hätte man nicht meinen ſollen, die Nation, in ihren verſchiedenen Ständen beleidigt, in der Tiefe ihres Daſeyns angegriffen und in ihrer Zukunft bedroht, werde ſich gegen die Gewalt von der ſie ſo vieles litt und noch mehr fürch- tete, plötzlich einmal wie Ein Mann erheben?
Das iſt nicht ihre Gewohnheit. Durch die Mannich- faltigkeit der herrſchenden Gewalten iſt ihre Aufmerkſamkeit von jeher zu ſehr nach verſchiedenen Puncten hin zerſtreut geweſen, als daß dieß ſo leicht geſchehen könnte. Auch ſieht ſie gern ihre Fürſten ſich vorangehen.
Und in dieſen fehlte es nicht an geheimem Widerſtand und Regungen zu offenem.
Wohl merkwürdig, daß ſich Abſichten wie ſie Kaiſer Carl V hegte, zunächſt ein deutſch-öſtreichiſches und ein bran- denburgiſch-preußiſches Intereſſe entgegenſetzte.
Das erſte beruhte auf dem Widerwillen gegen die Succeſ- ſion des Prinzen von Spanien. Ferdinand ſelbſt hatte ſich endlich gefügt, aber weder ſein Sohn, auf den es eigentlich an- kam, der dem jüngern Vetter ſein Lebtag hätte nachſtehn müſſen, noch auch ſeine Räthe, welche die Verwaltung des Reiches bald an ſich übergehn zu ſehen und auf immer in der deutſchen Linie zu befeſtigen hofften. Und auch mit Ferdinand ſtand der Kaiſer nicht mehr in dem alten Vertrauen. Er nahm es übel, daß ſich derſelbe bei der Fürbitte für den Landgrafen bethei- ligte. Den Übrigen gab er die ſchon oft vernommene Ant- wort, er wolle ſich in Gnaden erweiſen, ſo viel nach Ge- ſtalt des Handels thunlich; ſeinem Bruder ließ er außerdem
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Neuntes Buch. Fuͤnftes Capitel.
Eben hier, wo ſie zuſammentreffen ſollten, ſchieden ſich
die Intereſſen des Kaiſers und der deutſchen Nation auf immer.
Hätte man nicht meinen ſollen, die Nation, in ihren
verſchiedenen Ständen beleidigt, in der Tiefe ihres Daſeyns
angegriffen und in ihrer Zukunft bedroht, werde ſich gegen
die Gewalt von der ſie ſo vieles litt und noch mehr fürch-
tete, plötzlich einmal wie Ein Mann erheben?
Das iſt nicht ihre Gewohnheit. Durch die Mannich-
faltigkeit der herrſchenden Gewalten iſt ihre Aufmerkſamkeit
von jeher zu ſehr nach verſchiedenen Puncten hin zerſtreut
geweſen, als daß dieß ſo leicht geſchehen könnte. Auch ſieht
ſie gern ihre Fürſten ſich vorangehen.
Und in dieſen fehlte es nicht an geheimem Widerſtand
und Regungen zu offenem.
Wohl merkwürdig, daß ſich Abſichten wie ſie Kaiſer
Carl V hegte, zunächſt ein deutſch-öſtreichiſches und ein bran-
denburgiſch-preußiſches Intereſſe entgegenſetzte.
Das erſte beruhte auf dem Widerwillen gegen die Succeſ-
ſion des Prinzen von Spanien. Ferdinand ſelbſt hatte ſich
endlich gefügt, aber weder ſein Sohn, auf den es eigentlich an-
kam, der dem jüngern Vetter ſein Lebtag hätte nachſtehn müſſen,
noch auch ſeine Räthe, welche die Verwaltung des Reiches
bald an ſich übergehn zu ſehen und auf immer in der deutſchen
Linie zu befeſtigen hofften. Und auch mit Ferdinand ſtand der
Kaiſer nicht mehr in dem alten Vertrauen. Er nahm es übel,
daß ſich derſelbe bei der Fürbitte für den Landgrafen bethei-
ligte. Den Übrigen gab er die ſchon oft vernommene Ant-
wort, er wolle ſich in Gnaden erweiſen, ſo viel nach Ge-
ſtalt des Handels thunlich; ſeinem Bruder ließ er außerdem
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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843/214>, abgerufen am 24.11.2024.
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