an allen diesen Fortschritten zu halten suchte, in dessen Vor- lesungen z. B. Valerius Cordus Anregung zu seinen bota- nischen Ausflügen empfieng, widmete doch seinen besten und fruchtbarsten Fleiß den philosophischen Studien.
In seiner Jugend, noch in Tübingen, hatte er es sich beinahe als die vornehmste Aufgabe seines Lebens gedacht, die Werke des Aristoteles von den Verunstaltungen zu befreien, die sie während des Mittelalters erlitten, und den wahren Sinn dieses Philosophen zu erforschen. Wie von einer ganz an- dern Natur auch der Beruf war, den ihm Leben und Ge- schichte anwiesen, so tauchen doch auch dann und wann jene Gesichtspuncte auf. Wir finden bei ihm polemische Erörterun- gen gegen die arabische Auffassung aristotelischer Begriffe, 1 und neue Versuche, den ächten Sinn derselben, zuweilen im Wider- spruch mit den griechischen Erklärern, zu ergründen. 2 Nur war sein Ziel hiebei nicht die Wiederherstellung des Autors, sondern die Ermittelung einer objectiv haltbaren Doctrin. In den mancherlei Lehrbüchern die er verfaßte, --, über Dia- lectik, Moral, Psychologie, sogar Physik -- verglich er im- mer auch die übrigen Philosophen mit Aristoteles. In der Regel zog er den letzteren vor, dessen Feder in Sinn und Verstand getaucht sey; die Hyperbeln der Stoa, die Zwei- felsucht der Akademiker, die Ableugnungen des Epicur fand er gleich unerfreulich; jedoch stieß er auch bei ihnen auf man- ches Gute und nahm es an; am entschiedensten wich er von Aristoteles ab, wo dieser mit den Urkunden der Offenbarung in Widerspruch kommt. Stellen wir uns in den Gesichts-
1"prodigiosas naenias Averrois."
2 Z B. bei der Erklärung der Entelechie: de anima p. 19.
Zehntes Buch. Achtes Capitel.
an allen dieſen Fortſchritten zu halten ſuchte, in deſſen Vor- leſungen z. B. Valerius Cordus Anregung zu ſeinen bota- niſchen Ausflügen empfieng, widmete doch ſeinen beſten und fruchtbarſten Fleiß den philoſophiſchen Studien.
In ſeiner Jugend, noch in Tübingen, hatte er es ſich beinahe als die vornehmſte Aufgabe ſeines Lebens gedacht, die Werke des Ariſtoteles von den Verunſtaltungen zu befreien, die ſie während des Mittelalters erlitten, und den wahren Sinn dieſes Philoſophen zu erforſchen. Wie von einer ganz an- dern Natur auch der Beruf war, den ihm Leben und Ge- ſchichte anwieſen, ſo tauchen doch auch dann und wann jene Geſichtspuncte auf. Wir finden bei ihm polemiſche Erörterun- gen gegen die arabiſche Auffaſſung ariſtoteliſcher Begriffe, 1 und neue Verſuche, den ächten Sinn derſelben, zuweilen im Wider- ſpruch mit den griechiſchen Erklärern, zu ergründen. 2 Nur war ſein Ziel hiebei nicht die Wiederherſtellung des Autors, ſondern die Ermittelung einer objectiv haltbaren Doctrin. In den mancherlei Lehrbüchern die er verfaßte, —, über Dia- lectik, Moral, Pſychologie, ſogar Phyſik — verglich er im- mer auch die übrigen Philoſophen mit Ariſtoteles. In der Regel zog er den letzteren vor, deſſen Feder in Sinn und Verſtand getaucht ſey; die Hyperbeln der Stoa, die Zwei- felſucht der Akademiker, die Ableugnungen des Epicur fand er gleich unerfreulich; jedoch ſtieß er auch bei ihnen auf man- ches Gute und nahm es an; am entſchiedenſten wich er von Ariſtoteles ab, wo dieſer mit den Urkunden der Offenbarung in Widerſpruch kommt. Stellen wir uns in den Geſichts-
1„prodigiosas naenias Averrois.“
2 Z B. bei der Erklaͤrung der Entelechie: de anima p. 19.
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Zehntes Buch. Achtes Capitel.
an allen dieſen Fortſchritten zu halten ſuchte, in deſſen Vor-
leſungen z. B. Valerius Cordus Anregung zu ſeinen bota-
niſchen Ausflügen empfieng, widmete doch ſeinen beſten und
fruchtbarſten Fleiß den philoſophiſchen Studien.
In ſeiner Jugend, noch in Tübingen, hatte er es ſich
beinahe als die vornehmſte Aufgabe ſeines Lebens gedacht, die
Werke des Ariſtoteles von den Verunſtaltungen zu befreien, die
ſie während des Mittelalters erlitten, und den wahren Sinn
dieſes Philoſophen zu erforſchen. Wie von einer ganz an-
dern Natur auch der Beruf war, den ihm Leben und Ge-
ſchichte anwieſen, ſo tauchen doch auch dann und wann jene
Geſichtspuncte auf. Wir finden bei ihm polemiſche Erörterun-
gen gegen die arabiſche Auffaſſung ariſtoteliſcher Begriffe, 1 und
neue Verſuche, den ächten Sinn derſelben, zuweilen im Wider-
ſpruch mit den griechiſchen Erklärern, zu ergründen. 2 Nur
war ſein Ziel hiebei nicht die Wiederherſtellung des Autors,
ſondern die Ermittelung einer objectiv haltbaren Doctrin. In
den mancherlei Lehrbüchern die er verfaßte, —, über Dia-
lectik, Moral, Pſychologie, ſogar Phyſik — verglich er im-
mer auch die übrigen Philoſophen mit Ariſtoteles. In der
Regel zog er den letzteren vor, deſſen Feder in Sinn und
Verſtand getaucht ſey; die Hyperbeln der Stoa, die Zwei-
felſucht der Akademiker, die Ableugnungen des Epicur fand er
gleich unerfreulich; jedoch ſtieß er auch bei ihnen auf man-
ches Gute und nahm es an; am entſchiedenſten wich er von
Ariſtoteles ab, wo dieſer mit den Urkunden der Offenbarung
in Widerſpruch kommt. Stellen wir uns in den Geſichts-
1 „prodigiosas naenias Averrois.“
2 Z B. bei der Erklaͤrung der Entelechie: de anima p. 19.
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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843, S. 488. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843/500>, abgerufen am 22.11.2024.
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