Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843.Philosophie. (Melanchthon.) kreis jener Zeit, so konnte von einer mit unbedingtem Selbst-vertrauen auf die höchsten Probleme hinstrebenden Anstrengung des Gedankens überhaupt gar nicht die Rede seyn. Das Räthsel der Welt war schon gelöst, die Summe der Dinge war schon bekannt; die allgemeine Ansicht gieng vielmehr dahin, daß man "die allmächtige Kraft der göttlichen Ma- jestät nicht schärfer zu erforschen habe;" nicht ohne Tiefsinn sagt Herzogin Elisabeth von Braunschweig: "könnten wir Gott durch unsere Vernunft ausgründen, so nähme die Gottheit ein Ende." 1 Es konnte nur darauf ankommen, die Resul- tate des philosophischen Nachdenkens mit der Schrift in Ein- klang zu bringen. 2 Man dürfte wohl nicht sagen, daß daraus ein blos formelles Ergebniß hervorgegangen wäre. In den philosophischen Schriften Melanchthons treten einige Vorstellungen, besonders über das Wesen des Geistes, mit ei- genthümlicher Stärke auf. Die Meinung als sey die Seele einer reinen Tafel gleich und erwerbe die Begriffe erst durch Erfahrung, verwirft er mit Widerwillen: er weist vielmehr zwei verschiedene Arten angeborener Begriffe nach, speculative des reinen Denkens, und practische der Moral; 3 eine ganze Reihe von Urgrundsätzen beiderlei Art führt er auf; 4 von dem gott- ähnlichen Wesen des Geistes wohnt ihm eine unerschütter- 1 Fürstenspiegel von Strombeck p. 70. 2 Thesis von 1542: angeführt von Brucker Hist. phil. IV, 281. Prodest studiosis erudita collatio philosophiae et doctrinae quam deus tradidit ecclesiae. 3 Ethicae doctrinae elementa, 1554, p. 210. 4 Quodlibet est aut non est; omnia quae oriuntur, ab aliqua
causa oriuntur; effectus non est praestantior causa; veritas amanda est; pacta sunt servanda. De anima p. 265. Vergl. Buhle Ge- schichte der Philosophie II, 499 f. Philoſophie. (Melanchthon.) kreis jener Zeit, ſo konnte von einer mit unbedingtem Selbſt-vertrauen auf die höchſten Probleme hinſtrebenden Anſtrengung des Gedankens überhaupt gar nicht die Rede ſeyn. Das Räthſel der Welt war ſchon gelöſt, die Summe der Dinge war ſchon bekannt; die allgemeine Anſicht gieng vielmehr dahin, daß man „die allmächtige Kraft der göttlichen Ma- jeſtät nicht ſchärfer zu erforſchen habe;“ nicht ohne Tiefſinn ſagt Herzogin Eliſabeth von Braunſchweig: „könnten wir Gott durch unſere Vernunft ausgründen, ſo nähme die Gottheit ein Ende.“ 1 Es konnte nur darauf ankommen, die Reſul- tate des philoſophiſchen Nachdenkens mit der Schrift in Ein- klang zu bringen. 2 Man dürfte wohl nicht ſagen, daß daraus ein blos formelles Ergebniß hervorgegangen wäre. In den philoſophiſchen Schriften Melanchthons treten einige Vorſtellungen, beſonders über das Weſen des Geiſtes, mit ei- genthümlicher Stärke auf. Die Meinung als ſey die Seele einer reinen Tafel gleich und erwerbe die Begriffe erſt durch Erfahrung, verwirft er mit Widerwillen: er weiſt vielmehr zwei verſchiedene Arten angeborener Begriffe nach, ſpeculative des reinen Denkens, und practiſche der Moral; 3 eine ganze Reihe von Urgrundſätzen beiderlei Art führt er auf; 4 von dem gott- ähnlichen Weſen des Geiſtes wohnt ihm eine unerſchütter- 1 Fuͤrſtenſpiegel von Strombeck p. 70. 2 Theſis von 1542: angefuͤhrt von Brucker Hist. phil. IV, 281. Prodest studiosis erudita collatio philosophiae et doctrinae quam deus tradidit ecclesiae. 3 Ethicae doctrinae elementa, 1554, p. 210. 4 Quodlibet est aut non est; omnia quae oriuntur, ab aliqua
causa oriuntur; effectus non est praestantior causa; veritas amanda est; pacta sunt servanda. De anima p. 265. Vergl. Buhle Ge- ſchichte der Philoſophie II, 499 f. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0501" n="489"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Philoſophie. (Melanchthon.)</hi></fw><lb/> kreis jener Zeit, ſo konnte von einer mit unbedingtem Selbſt-<lb/> vertrauen auf die höchſten Probleme hinſtrebenden Anſtrengung<lb/> des Gedankens überhaupt gar nicht die Rede ſeyn. Das<lb/> Räthſel der Welt war ſchon gelöſt, die Summe der Dinge<lb/> war ſchon bekannt; die allgemeine Anſicht gieng vielmehr<lb/> dahin, daß man „die allmächtige Kraft der göttlichen Ma-<lb/> jeſtät nicht ſchärfer zu erforſchen habe;“ nicht ohne Tiefſinn<lb/> ſagt Herzogin Eliſabeth von Braunſchweig: „könnten wir Gott<lb/> durch unſere Vernunft ausgründen, ſo nähme die Gottheit<lb/> ein Ende.“ <note place="foot" n="1">Fuͤrſtenſpiegel von Strombeck <hi rendition="#aq">p.</hi> 70.</note> Es konnte nur darauf ankommen, die Reſul-<lb/> tate des philoſophiſchen Nachdenkens mit der Schrift in Ein-<lb/> klang zu bringen. <note place="foot" n="2">Theſis von 1542: angefuͤhrt von Brucker <hi rendition="#aq">Hist. phil. IV,<lb/> 281. Prodest studiosis erudita collatio philosophiae et doctrinae<lb/> quam deus tradidit ecclesiae</hi>.</note> Man dürfte wohl nicht ſagen, daß<lb/> daraus ein blos formelles Ergebniß hervorgegangen wäre.<lb/> In den philoſophiſchen Schriften Melanchthons treten einige<lb/> Vorſtellungen, beſonders über das Weſen des Geiſtes, mit ei-<lb/> genthümlicher Stärke auf. Die Meinung als ſey die Seele<lb/> einer reinen Tafel gleich und erwerbe die Begriffe erſt durch<lb/> Erfahrung, verwirft er mit Widerwillen: er weiſt vielmehr zwei<lb/> verſchiedene Arten angeborener Begriffe nach, ſpeculative des<lb/> reinen Denkens, und practiſche der Moral; <note place="foot" n="3"><hi rendition="#aq">Ethicae doctrinae elementa, 1554, p.</hi> 210.</note> eine ganze Reihe<lb/> von Urgrundſätzen beiderlei Art führt er auf; <note place="foot" n="4"><hi rendition="#aq">Quodlibet est aut non est; omnia quae oriuntur, ab aliqua<lb/> causa oriuntur; effectus non est praestantior causa; veritas amanda<lb/> est; pacta sunt servanda. De anima p.</hi> 265. Vergl. Buhle Ge-<lb/> ſchichte der Philoſophie <hi rendition="#aq">II,</hi> 499 f.</note> von dem gott-<lb/> ähnlichen Weſen des Geiſtes wohnt ihm eine unerſchütter-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [489/0501]
Philoſophie. (Melanchthon.)
kreis jener Zeit, ſo konnte von einer mit unbedingtem Selbſt-
vertrauen auf die höchſten Probleme hinſtrebenden Anſtrengung
des Gedankens überhaupt gar nicht die Rede ſeyn. Das
Räthſel der Welt war ſchon gelöſt, die Summe der Dinge
war ſchon bekannt; die allgemeine Anſicht gieng vielmehr
dahin, daß man „die allmächtige Kraft der göttlichen Ma-
jeſtät nicht ſchärfer zu erforſchen habe;“ nicht ohne Tiefſinn
ſagt Herzogin Eliſabeth von Braunſchweig: „könnten wir Gott
durch unſere Vernunft ausgründen, ſo nähme die Gottheit
ein Ende.“ 1 Es konnte nur darauf ankommen, die Reſul-
tate des philoſophiſchen Nachdenkens mit der Schrift in Ein-
klang zu bringen. 2 Man dürfte wohl nicht ſagen, daß
daraus ein blos formelles Ergebniß hervorgegangen wäre.
In den philoſophiſchen Schriften Melanchthons treten einige
Vorſtellungen, beſonders über das Weſen des Geiſtes, mit ei-
genthümlicher Stärke auf. Die Meinung als ſey die Seele
einer reinen Tafel gleich und erwerbe die Begriffe erſt durch
Erfahrung, verwirft er mit Widerwillen: er weiſt vielmehr zwei
verſchiedene Arten angeborener Begriffe nach, ſpeculative des
reinen Denkens, und practiſche der Moral; 3 eine ganze Reihe
von Urgrundſätzen beiderlei Art führt er auf; 4 von dem gott-
ähnlichen Weſen des Geiſtes wohnt ihm eine unerſchütter-
1 Fuͤrſtenſpiegel von Strombeck p. 70.
2 Theſis von 1542: angefuͤhrt von Brucker Hist. phil. IV,
281. Prodest studiosis erudita collatio philosophiae et doctrinae
quam deus tradidit ecclesiae.
3 Ethicae doctrinae elementa, 1554, p. 210.
4 Quodlibet est aut non est; omnia quae oriuntur, ab aliqua
causa oriuntur; effectus non est praestantior causa; veritas amanda
est; pacta sunt servanda. De anima p. 265. Vergl. Buhle Ge-
ſchichte der Philoſophie II, 499 f.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |