Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

Zehntes Buch. Achtes Capitel.
liche Überzeugung bei. So hat er denn auch, ohne an-
dere Beweise für das Daseyn Gottes zu verschmähen, doch
den moralischen mit besonderem Eifer ausgebildet. Die
natürliche Unterscheidung zwischen Gut und Böse, die dem
Menschen inwohne, das lastende Bewußtseyn welches aus
den Verbrechen entspringe, die Freudigkeit, mit der das
Gute erfülle, endlich den heroischen Aufschwung des Ge-
müthes bei der Gründung von Staaten oder auch im
Reiche der Wissenschaften, sieht er als Beweise eines gött-
lichen Ursprungs und eines höchsten Geistes an, von dem
der menschliche herrühre. Zwei Jahrhunderte beinahe -- so
lange nemlich der Glaube an die Offenbarung volles Leben
hatte -- sind diese Ansichten und das darauf gegründete sehr
einfache und bescheidene System in den protestantischen Schu-
len herrschend gewesen; während in den katholischen die siegrei-
chen Mönchsorden das labyrinthische Gebäude der früheren
Zeit auch mit dem ächten Aristoteles aufrecht zu erhalten
wußten. Später haben sich an den Gränzgebieten beider Wel-
ten andere Tendenzen des allgemeinen Geistes entwickelt. Selb-
ständig haben doch vornehmlich protestantische Gelehrten auf
den Gang der hiedurch angeregten Bewegung eingewirkt. Un-
möglich kann die Summe der Ideen die sich diesseit be-
festigt hatten, ohne Einfluß auf die Art und Weise gewe-
sen seyn wie dieß geschehen ist.

Welches aber auch das Verhältniß seyn mochte, in das
die Theologie zu andern Wissenschaften trat, Eine wenigstens
empfieng durch dieselbe einen neuen, überaus förderlichen An-
trieb, die Wissenschaft der Geschichte.

Wollte man sich den Fortschritt encyclopädischer Ge-

Zehntes Buch. Achtes Capitel.
liche Überzeugung bei. So hat er denn auch, ohne an-
dere Beweiſe für das Daſeyn Gottes zu verſchmähen, doch
den moraliſchen mit beſonderem Eifer ausgebildet. Die
natürliche Unterſcheidung zwiſchen Gut und Böſe, die dem
Menſchen inwohne, das laſtende Bewußtſeyn welches aus
den Verbrechen entſpringe, die Freudigkeit, mit der das
Gute erfülle, endlich den heroiſchen Aufſchwung des Ge-
müthes bei der Gründung von Staaten oder auch im
Reiche der Wiſſenſchaften, ſieht er als Beweiſe eines gött-
lichen Urſprungs und eines höchſten Geiſtes an, von dem
der menſchliche herrühre. Zwei Jahrhunderte beinahe — ſo
lange nemlich der Glaube an die Offenbarung volles Leben
hatte — ſind dieſe Anſichten und das darauf gegründete ſehr
einfache und beſcheidene Syſtem in den proteſtantiſchen Schu-
len herrſchend geweſen; während in den katholiſchen die ſiegrei-
chen Mönchsorden das labyrinthiſche Gebäude der früheren
Zeit auch mit dem ächten Ariſtoteles aufrecht zu erhalten
wußten. Später haben ſich an den Gränzgebieten beider Wel-
ten andere Tendenzen des allgemeinen Geiſtes entwickelt. Selb-
ſtändig haben doch vornehmlich proteſtantiſche Gelehrten auf
den Gang der hiedurch angeregten Bewegung eingewirkt. Un-
möglich kann die Summe der Ideen die ſich dieſſeit be-
feſtigt hatten, ohne Einfluß auf die Art und Weiſe gewe-
ſen ſeyn wie dieß geſchehen iſt.

Welches aber auch das Verhältniß ſeyn mochte, in das
die Theologie zu andern Wiſſenſchaften trat, Eine wenigſtens
empfieng durch dieſelbe einen neuen, überaus förderlichen An-
trieb, die Wiſſenſchaft der Geſchichte.

Wollte man ſich den Fortſchritt encyclopädiſcher Ge-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0502" n="490"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zehntes Buch. Achtes Capitel</hi>.</fw><lb/>
liche Überzeugung bei. So hat er denn auch, ohne an-<lb/>
dere Bewei&#x017F;e für das Da&#x017F;eyn Gottes zu ver&#x017F;chmähen, doch<lb/>
den morali&#x017F;chen mit be&#x017F;onderem Eifer ausgebildet. Die<lb/>
natürliche Unter&#x017F;cheidung zwi&#x017F;chen Gut und Bö&#x017F;e, die dem<lb/>
Men&#x017F;chen inwohne, das la&#x017F;tende Bewußt&#x017F;eyn welches aus<lb/>
den Verbrechen ent&#x017F;pringe, die Freudigkeit, mit der das<lb/>
Gute erfülle, endlich den heroi&#x017F;chen Auf&#x017F;chwung des Ge-<lb/>
müthes bei der Gründung von Staaten oder auch im<lb/>
Reiche der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften, &#x017F;ieht er als Bewei&#x017F;e eines gött-<lb/>
lichen Ur&#x017F;prungs und eines höch&#x017F;ten Gei&#x017F;tes an, von dem<lb/>
der men&#x017F;chliche herrühre. Zwei Jahrhunderte beinahe &#x2014; &#x017F;o<lb/>
lange nemlich der Glaube an die Offenbarung volles Leben<lb/>
hatte &#x2014; &#x017F;ind die&#x017F;e An&#x017F;ichten und das darauf gegründete &#x017F;ehr<lb/>
einfache und be&#x017F;cheidene Sy&#x017F;tem in den prote&#x017F;tanti&#x017F;chen Schu-<lb/>
len herr&#x017F;chend gewe&#x017F;en; während in den katholi&#x017F;chen die &#x017F;iegrei-<lb/>
chen Mönchsorden das labyrinthi&#x017F;che Gebäude der früheren<lb/>
Zeit auch mit dem ächten Ari&#x017F;toteles aufrecht zu erhalten<lb/>
wußten. Später haben &#x017F;ich an den Gränzgebieten beider Wel-<lb/>
ten andere Tendenzen des allgemeinen Gei&#x017F;tes entwickelt. Selb-<lb/>
&#x017F;tändig haben doch vornehmlich prote&#x017F;tanti&#x017F;che Gelehrten auf<lb/>
den Gang der hiedurch angeregten Bewegung eingewirkt. Un-<lb/>
möglich kann die Summe der Ideen die &#x017F;ich die&#x017F;&#x017F;eit be-<lb/>
fe&#x017F;tigt hatten, ohne Einfluß auf die Art und Wei&#x017F;e gewe-<lb/>
&#x017F;en &#x017F;eyn wie dieß ge&#x017F;chehen i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Welches aber auch das Verhältniß &#x017F;eyn mochte, in das<lb/>
die Theologie zu andern Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften trat, Eine wenig&#x017F;tens<lb/>
empfieng durch die&#x017F;elbe einen neuen, überaus förderlichen An-<lb/>
trieb, die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft der Ge&#x017F;chichte.</p><lb/>
          <p>Wollte man &#x017F;ich den Fort&#x017F;chritt encyclopädi&#x017F;cher Ge-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[490/0502] Zehntes Buch. Achtes Capitel. liche Überzeugung bei. So hat er denn auch, ohne an- dere Beweiſe für das Daſeyn Gottes zu verſchmähen, doch den moraliſchen mit beſonderem Eifer ausgebildet. Die natürliche Unterſcheidung zwiſchen Gut und Böſe, die dem Menſchen inwohne, das laſtende Bewußtſeyn welches aus den Verbrechen entſpringe, die Freudigkeit, mit der das Gute erfülle, endlich den heroiſchen Aufſchwung des Ge- müthes bei der Gründung von Staaten oder auch im Reiche der Wiſſenſchaften, ſieht er als Beweiſe eines gött- lichen Urſprungs und eines höchſten Geiſtes an, von dem der menſchliche herrühre. Zwei Jahrhunderte beinahe — ſo lange nemlich der Glaube an die Offenbarung volles Leben hatte — ſind dieſe Anſichten und das darauf gegründete ſehr einfache und beſcheidene Syſtem in den proteſtantiſchen Schu- len herrſchend geweſen; während in den katholiſchen die ſiegrei- chen Mönchsorden das labyrinthiſche Gebäude der früheren Zeit auch mit dem ächten Ariſtoteles aufrecht zu erhalten wußten. Später haben ſich an den Gränzgebieten beider Wel- ten andere Tendenzen des allgemeinen Geiſtes entwickelt. Selb- ſtändig haben doch vornehmlich proteſtantiſche Gelehrten auf den Gang der hiedurch angeregten Bewegung eingewirkt. Un- möglich kann die Summe der Ideen die ſich dieſſeit be- feſtigt hatten, ohne Einfluß auf die Art und Weiſe gewe- ſen ſeyn wie dieß geſchehen iſt. Welches aber auch das Verhältniß ſeyn mochte, in das die Theologie zu andern Wiſſenſchaften trat, Eine wenigſtens empfieng durch dieſelbe einen neuen, überaus förderlichen An- trieb, die Wiſſenſchaft der Geſchichte. Wollte man ſich den Fortſchritt encyclopädiſcher Ge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843/502
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843, S. 490. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843/502>, abgerufen am 23.05.2024.