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Reeves, William Pember: Das politische Wahlrecht der Frauen in Australien. Übers. v. Romulus Grazer [i. e. Romulus Katscher]. Leipzig, 1904 (= Sozialer Fortschritt, Bd. 15/16).

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die Partei in solche Bedrängnis führen sollte, hatte gerade begonnen. Bis
auf wenige unterschätzten alle seine Gegner den neuen Ministerpräsidenten.
Die Führer der Parlamentsopposition kannten ihn als kühnen und geschickten
Guerillachef, der über eine rastlose Arbeitskraft verfügte und die parla-
mentarischen Formen und Gebräuche in hohem Grade beherrschte. Aber
ausserhalb des Parlamentes beging die Partei beharrlich den Missgriff, ihn
hauptsächlich nach seinen Reden zu beurteilen und die lockeren Karikaturen
geistreicher Zeitungsschreiber als Wahrheit hinzunehmen. Sie erkannten
selbst damals noch nicht, dass sie es mit einem scharfsichtigen Politiker voll
kühlen Mutes, Ausdauer und Entschlossenheit zu tun hatten, der eine unge-
wöhnliche Gewissenhaftigkeit und eine grosse Begabung besitzt, die Wahr-
scheinlichkeiten unter den schwierigsten Verhältnissen zu erwägen. Es war
klar, dass die Getränkefrage für die Liberalen eine unerquickliche sei und
dass die Zulassung der Frauen ihre Verlegenheiten nur vermehren musste.
Aber auch diese Anschauung gab im Oberhause nur gerade den Ausschlag.
Die Bill drang mit einer Majorität von nur zwei Stimmen durch und wäre
beinahe infolge eines Missverständnisses nur mit einer Stimme passiert. Es
war ein knapper Spielraum, aber er genügte, und die Knappheit des
Beschlusses verringerte nicht die Freude der Sieger, wohl aber verbitterte
sie die Betrachtungen der Besiegten.

II.

So erwachten denn eines schönen Septembermorgens die Frauen Neu-
seelands mit dem Bewusstsein, das Wahlrecht erlangt zu haben. Es war
ihnen freiwillig, ohne Zwang, auf die leichteste und unerwartetste Art der
Welt von männlichen Politikern gegeben worden, deren Führer zum grösseren
Teile durch das Lesen englischer Argumente - wie sie auf der anderen Erd-
hälfte Mill und seine Anhänger ebenso höflich wie vergebens ins Treffen ge-
führt hatten - zu dem Glauben an den Versuch bekehrt worden waren.
Die Zeit, während welcher die Frauen Neuseelands zu kämpfen oder zu
agitieren gehabt, war eine kurze gewesen. Keine Wahlrechtsliga hatte
den Kampf Jahr für Jahr ausgefochten; keine gutbesuchten Versammlungen
hatten den Ansprachen beredter und gebildeter, mit Urteilskraft und Macht
des Ausdruckes begabter Frauen gelauscht, deren persönliche Eigenschaften
noch wirksamer als Worte gegen die politische Unterwerfung ihres Geschlechtes
protestiert hätten. Von keiner Neuseeländer Rednerin oder Leiterin der
Frauenbewegung konnte selbst bei höflichster Übertreibung behauptet werden,
dass sie in den ersten Reihen gekämpft und einen leitenden Anteil daran
gehabt habe, die öffentliche Meinung zu bekehren. Ausserhalb der
Mässigkeitsvereine bildeten die weiblichen Redner in der Kolonie eine
sehr seltene Erscheinung, und als 1893 einige Rednerinnen sich unter
dem Drucke der Parteiführer ein Herz fassten, die Tribüne zu betreten
und kurze, leise Ansprachen zu halten, begrüsste die Zuhörerschaft sie
mit freundlicher Neugierde und gewährte ihnen dieselbe kritische Nach-
sicht, wie man sie artigen Kindern gewährt, die bei Schulfesten in
ihrer hastigen Weise Gedichte vortragen. Bis zu diesem ereignisreichen
Jahre hätten sie bedeutend weniger mit Politik zu tun gehabt als so manche
ihrer englischen Schwestern. Die Frauen waren und sind auch jetzt noch in

die Partei in solche Bedrängnis führen sollte, hatte gerade begonnen. Bis
auf wenige unterschätzten alle seine Gegner den neuen Ministerpräsidenten.
Die Führer der Parlamentsopposition kannten ihn als kühnen und geschickten
Guerillachef, der über eine rastlose Arbeitskraft verfügte und die parla-
mentarischen Formen und Gebräuche in hohem Grade beherrschte. Aber
ausserhalb des Parlamentes beging die Partei beharrlich den Missgriff, ihn
hauptsächlich nach seinen Reden zu beurteilen und die lockeren Karikaturen
geistreicher Zeitungsschreiber als Wahrheit hinzunehmen. Sie erkannten
selbst damals noch nicht, dass sie es mit einem scharfsichtigen Politiker voll
kühlen Mutes, Ausdauer und Entschlossenheit zu tun hatten, der eine unge-
wöhnliche Gewissenhaftigkeit und eine grosse Begabung besitzt, die Wahr-
scheinlichkeiten unter den schwierigsten Verhältnissen zu erwägen. Es war
klar, dass die Getränkefrage für die Liberalen eine unerquickliche sei und
dass die Zulassung der Frauen ihre Verlegenheiten nur vermehren musste.
Aber auch diese Anschauung gab im Oberhause nur gerade den Ausschlag.
Die Bill drang mit einer Majorität von nur zwei Stimmen durch und wäre
beinahe infolge eines Missverständnisses nur mit einer Stimme passiert. Es
war ein knapper Spielraum, aber er genügte, und die Knappheit des
Beschlusses verringerte nicht die Freude der Sieger, wohl aber verbitterte
sie die Betrachtungen der Besiegten.

II.

So erwachten denn eines schönen Septembermorgens die Frauen Neu-
seelands mit dem Bewusstsein, das Wahlrecht erlangt zu haben. Es war
ihnen freiwillig, ohne Zwang, auf die leichteste und unerwartetste Art der
Welt von männlichen Politikern gegeben worden, deren Führer zum grösseren
Teile durch das Lesen englischer Argumente – wie sie auf der anderen Erd-
hälfte Mill und seine Anhänger ebenso höflich wie vergebens ins Treffen ge-
führt hatten – zu dem Glauben an den Versuch bekehrt worden waren.
Die Zeit, während welcher die Frauen Neuseelands zu kämpfen oder zu
agitieren gehabt, war eine kurze gewesen. Keine Wahlrechtsliga hatte
den Kampf Jahr für Jahr ausgefochten; keine gutbesuchten Versammlungen
hatten den Ansprachen beredter und gebildeter, mit Urteilskraft und Macht
des Ausdruckes begabter Frauen gelauscht, deren persönliche Eigenschaften
noch wirksamer als Worte gegen die politische Unterwerfung ihres Geschlechtes
protestiert hätten. Von keiner Neuseeländer Rednerin oder Leiterin der
Frauenbewegung konnte selbst bei höflichster Übertreibung behauptet werden,
dass sie in den ersten Reihen gekämpft und einen leitenden Anteil daran
gehabt habe, die öffentliche Meinung zu bekehren. Ausserhalb der
Mässigkeitsvereine bildeten die weiblichen Redner in der Kolonie eine
sehr seltene Erscheinung, und als 1893 einige Rednerinnen sich unter
dem Drucke der Parteiführer ein Herz fassten, die Tribüne zu betreten
und kurze, leise Ansprachen zu halten, begrüsste die Zuhörerschaft sie
mit freundlicher Neugierde und gewährte ihnen dieselbe kritische Nach-
sicht, wie man sie artigen Kindern gewährt, die bei Schulfesten in
ihrer hastigen Weise Gedichte vortragen. Bis zu diesem ereignisreichen
Jahre hätten sie bedeutend weniger mit Politik zu tun gehabt als so manche
ihrer englischen Schwestern. Die Frauen waren und sind auch jetzt noch in

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[10/0012] die Partei in solche Bedrängnis führen sollte, hatte gerade begonnen. Bis auf wenige unterschätzten alle seine Gegner den neuen Ministerpräsidenten. Die Führer der Parlamentsopposition kannten ihn als kühnen und geschickten Guerillachef, der über eine rastlose Arbeitskraft verfügte und die parla- mentarischen Formen und Gebräuche in hohem Grade beherrschte. Aber ausserhalb des Parlamentes beging die Partei beharrlich den Missgriff, ihn hauptsächlich nach seinen Reden zu beurteilen und die lockeren Karikaturen geistreicher Zeitungsschreiber als Wahrheit hinzunehmen. Sie erkannten selbst damals noch nicht, dass sie es mit einem scharfsichtigen Politiker voll kühlen Mutes, Ausdauer und Entschlossenheit zu tun hatten, der eine unge- wöhnliche Gewissenhaftigkeit und eine grosse Begabung besitzt, die Wahr- scheinlichkeiten unter den schwierigsten Verhältnissen zu erwägen. Es war klar, dass die Getränkefrage für die Liberalen eine unerquickliche sei und dass die Zulassung der Frauen ihre Verlegenheiten nur vermehren musste. Aber auch diese Anschauung gab im Oberhause nur gerade den Ausschlag. Die Bill drang mit einer Majorität von nur zwei Stimmen durch und wäre beinahe infolge eines Missverständnisses nur mit einer Stimme passiert. Es war ein knapper Spielraum, aber er genügte, und die Knappheit des Beschlusses verringerte nicht die Freude der Sieger, wohl aber verbitterte sie die Betrachtungen der Besiegten. II. So erwachten denn eines schönen Septembermorgens die Frauen Neu- seelands mit dem Bewusstsein, das Wahlrecht erlangt zu haben. Es war ihnen freiwillig, ohne Zwang, auf die leichteste und unerwartetste Art der Welt von männlichen Politikern gegeben worden, deren Führer zum grösseren Teile durch das Lesen englischer Argumente – wie sie auf der anderen Erd- hälfte Mill und seine Anhänger ebenso höflich wie vergebens ins Treffen ge- führt hatten – zu dem Glauben an den Versuch bekehrt worden waren. Die Zeit, während welcher die Frauen Neuseelands zu kämpfen oder zu agitieren gehabt, war eine kurze gewesen. Keine Wahlrechtsliga hatte den Kampf Jahr für Jahr ausgefochten; keine gutbesuchten Versammlungen hatten den Ansprachen beredter und gebildeter, mit Urteilskraft und Macht des Ausdruckes begabter Frauen gelauscht, deren persönliche Eigenschaften noch wirksamer als Worte gegen die politische Unterwerfung ihres Geschlechtes protestiert hätten. Von keiner Neuseeländer Rednerin oder Leiterin der Frauenbewegung konnte selbst bei höflichster Übertreibung behauptet werden, dass sie in den ersten Reihen gekämpft und einen leitenden Anteil daran gehabt habe, die öffentliche Meinung zu bekehren. Ausserhalb der Mässigkeitsvereine bildeten die weiblichen Redner in der Kolonie eine sehr seltene Erscheinung, und als 1893 einige Rednerinnen sich unter dem Drucke der Parteiführer ein Herz fassten, die Tribüne zu betreten und kurze, leise Ansprachen zu halten, begrüsste die Zuhörerschaft sie mit freundlicher Neugierde und gewährte ihnen dieselbe kritische Nach- sicht, wie man sie artigen Kindern gewährt, die bei Schulfesten in ihrer hastigen Weise Gedichte vortragen. Bis zu diesem ereignisreichen Jahre hätten sie bedeutend weniger mit Politik zu tun gehabt als so manche ihrer englischen Schwestern. Die Frauen waren und sind auch jetzt noch in  

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2018-12-06T12:34:34Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-12-06T12:34:34Z)

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Zitationshilfe: Reeves, William Pember: Das politische Wahlrecht der Frauen in Australien. Übers. v. Romulus Grazer [i. e. Romulus Katscher]. Leipzig, 1904 (= Sozialer Fortschritt, Bd. 15/16), S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reeves_wahlrecht_1904/12>, abgerufen am 21.11.2024.