Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Reeves, William Pember: Das politische Wahlrecht der Frauen in Australien. Übers. v. Romulus Grazer [i. e. Romulus Katscher]. Leipzig, 1904 (= Sozialer Fortschritt, Bd. 15/16).

Bild:
<< vorherige Seite
I.

Manche Gesellschaftsklassen sind zur politischen Macht geboren, andere
erwerben sie und wieder anderen wird sie aufgedrängt. Das letztere war
das Los der meisten, wenn nicht aller Frauen in den australischen Bundes-
staaten und im Staatenbunde Australien, wo die Frauen teils seit 1894, teils
seit Mai 1902 bei der Wahl von Parlamentsmitgliedern ihre Stimmen
abgeben können. In Süd-Australien wurde der Kampf um dieses Vorrecht
von Männern begonnen, geleitet und fast ganz durchgeführt. Die Rolle,
welche hierbei Miss Spence, Mrs. Nicols und ihre Anhängerinnen spielten, war
wohl nützlich, aber doch sehr untergeordnet. In West-Australien war dieser
Kampf gleichfalls Sache der Männer und die Verleihung des Wahlrechts
bildete ein blosses Auskunftsmittel, einen Schachzug im Spiele der Wahl-
umtriebe, welcher den Zweck verfolgte, das Gleichgewicht der Macht
zwischen zwei Abteilungen des Staates zu beeinflussen. Das Zugeständnis
des Stimmrechtes durch das Bundesparlament im Jahre 1902 war hauptsäch-
lich durch den Mangel jeder Art von Unruhe, eifriger Verfechtung oder
scharfer Zurückweisung bemerkenswert. In Neuseeland, wo den Frauen das
Wahlrecht zuerst eingeräumt wurde, war die Frage anfänglich zwar von
Politikern aufgeworfen und besprochen worden, die die Änderung aufrichtig,
wegen des ihr eigenen Wertes betrieben; als jedoch der Kampf zum Ent-
scheidungspunkte gelangte, verhüllten allgemeine Argumente kaum die
durch die Querfrage des Trinkverbotes hervorgerufene Aufregung. Gegen-
über der Trinkverbotfrage verschwand vorläufig die Frage des Anrechtes der
Frauen auf die Bürgerrechte fast ganz und eine bis dahin beiderseits unbe-
kannte Erregung charakterisierte den Streit. Das Auftauchen der Prohibi-
tionisten auf dem Schauplatze gestaltete die Frage im Jahre 1892 zum ersten
Male zum Mittelpunkte der Leidenschaften und Erregungen. Ob ihr heisses
Eintreten der Sache des Frauenstimmrechtes bei den Männern mehr nützte
als schadete, ist noch ein streitiger Punkt; es kann aber kühn behauptet
werden, dass das Verlangen nach dem Wahlrecht, soweit es sich in den
Reihen der weiblichen Bevölkerung äusserte, hauptsächlich von den Müttern
erweckt wurde. Ausserhalb ihrer Logen und ihres Christlichen Frauen-
Mässigkeitsbundes bekundete die Haltung der Frauen nur passives Interesse.
Sie wurden durch den Antrag weder abgestoßen noch beunruhigt; sie fanden
ihn eher angenehm als das Gegenteil - aber auch kaum mehr als das. Man

I.

Manche Gesellschaftsklassen sind zur politischen Macht geboren, andere
erwerben sie und wieder anderen wird sie aufgedrängt. Das letztere war
das Los der meisten, wenn nicht aller Frauen in den australischen Bundes-
staaten und im Staatenbunde Australien, wo die Frauen teils seit 1894, teils
seit Mai 1902 bei der Wahl von Parlamentsmitgliedern ihre Stimmen
abgeben können. In Süd-Australien wurde der Kampf um dieses Vorrecht
von Männern begonnen, geleitet und fast ganz durchgeführt. Die Rolle,
welche hierbei Miss Spence, Mrs. Nicols und ihre Anhängerinnen spielten, war
wohl nützlich, aber doch sehr untergeordnet. In West-Australien war dieser
Kampf gleichfalls Sache der Männer und die Verleihung des Wahlrechts
bildete ein blosses Auskunftsmittel, einen Schachzug im Spiele der Wahl-
umtriebe, welcher den Zweck verfolgte, das Gleichgewicht der Macht
zwischen zwei Abteilungen des Staates zu beeinflussen. Das Zugeständnis
des Stimmrechtes durch das Bundesparlament im Jahre 1902 war hauptsäch-
lich durch den Mangel jeder Art von Unruhe, eifriger Verfechtung oder
scharfer Zurückweisung bemerkenswert. In Neuseeland, wo den Frauen das
Wahlrecht zuerst eingeräumt wurde, war die Frage anfänglich zwar von
Politikern aufgeworfen und besprochen worden, die die Änderung aufrichtig,
wegen des ihr eigenen Wertes betrieben; als jedoch der Kampf zum Ent-
scheidungspunkte gelangte, verhüllten allgemeine Argumente kaum die
durch die Querfrage des Trinkverbotes hervorgerufene Aufregung. Gegen-
über der Trinkverbotfrage verschwand vorläufig die Frage des Anrechtes der
Frauen auf die Bürgerrechte fast ganz und eine bis dahin beiderseits unbe-
kannte Erregung charakterisierte den Streit. Das Auftauchen der Prohibi-
tionisten auf dem Schauplatze gestaltete die Frage im Jahre 1892 zum ersten
Male zum Mittelpunkte der Leidenschaften und Erregungen. Ob ihr heisses
Eintreten der Sache des Frauenstimmrechtes bei den Männern mehr nützte
als schadete, ist noch ein streitiger Punkt; es kann aber kühn behauptet
werden, dass das Verlangen nach dem Wahlrecht, soweit es sich in den
Reihen der weiblichen Bevölkerung äusserte, hauptsächlich von den Müttern
erweckt wurde. Ausserhalb ihrer Logen und ihres Christlichen Frauen-
Mässigkeitsbundes bekundete die Haltung der Frauen nur passives Interesse.
Sie wurden durch den Antrag weder abgestoßen noch beunruhigt; sie fanden
ihn eher angenehm als das Gegenteil – aber auch kaum mehr als das. Man

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0007" n="[5]"/>
      <div n="1">
        <head>I.</head><lb/>
        <p>Manche Gesellschaftsklassen sind zur politischen Macht geboren, andere<lb/>
erwerben sie und wieder anderen wird sie aufgedrängt. Das letztere war<lb/>
das Los der meisten, wenn nicht aller Frauen in den australischen Bundes-<lb/>
staaten und im Staatenbunde Australien, wo die Frauen teils seit 1894, teils<lb/>
seit Mai 1902 bei der Wahl von Parlamentsmitgliedern ihre Stimmen<lb/>
abgeben können. In Süd-Australien wurde der Kampf um dieses Vorrecht<lb/>
von Männern begonnen, geleitet und fast ganz durchgeführt. Die Rolle,<lb/>
welche hierbei Miss Spence, Mrs. Nicols und ihre Anhängerinnen spielten, war<lb/>
wohl nützlich, aber doch sehr untergeordnet. In West-Australien war dieser<lb/>
Kampf gleichfalls Sache der Männer und die Verleihung des Wahlrechts<lb/>
bildete ein blosses Auskunftsmittel, einen Schachzug im Spiele der Wahl-<lb/>
umtriebe, welcher den Zweck verfolgte, das Gleichgewicht der Macht<lb/>
zwischen zwei Abteilungen des Staates zu beeinflussen. Das Zugeständnis<lb/>
des Stimmrechtes durch das Bundesparlament im Jahre 1902 war hauptsäch-<lb/>
lich durch den Mangel jeder Art von Unruhe, eifriger Verfechtung oder<lb/>
scharfer Zurückweisung bemerkenswert. In Neuseeland, wo den Frauen das<lb/>
Wahlrecht zuerst eingeräumt wurde, war die Frage anfänglich zwar von<lb/>
Politikern aufgeworfen und besprochen worden, die die Änderung aufrichtig,<lb/>
wegen des ihr eigenen Wertes betrieben; als jedoch der Kampf zum Ent-<lb/>
scheidungspunkte gelangte, verhüllten allgemeine Argumente kaum die<lb/>
durch die Querfrage des Trinkverbotes hervorgerufene Aufregung. Gegen-<lb/>
über der Trinkverbotfrage verschwand vorläufig die Frage des Anrechtes der<lb/>
Frauen auf die Bürgerrechte fast ganz und eine bis dahin beiderseits unbe-<lb/>
kannte Erregung charakterisierte den Streit. Das Auftauchen der Prohibi-<lb/>
tionisten auf dem Schauplatze gestaltete die Frage im Jahre 1892 zum ersten<lb/>
Male zum Mittelpunkte der Leidenschaften und Erregungen. Ob ihr heisses<lb/>
Eintreten der Sache des Frauenstimmrechtes bei den Männern mehr nützte<lb/>
als schadete, ist noch ein streitiger Punkt; es kann aber kühn behauptet<lb/>
werden, dass das Verlangen nach dem Wahlrecht, soweit es sich in den<lb/>
Reihen der weiblichen Bevölkerung äusserte, hauptsächlich von den Müttern<lb/>
erweckt wurde. Ausserhalb ihrer Logen und ihres Christlichen Frauen-<lb/>
Mässigkeitsbundes bekundete die Haltung der Frauen nur passives Interesse.<lb/>
Sie wurden durch den Antrag weder abgestoßen noch beunruhigt; sie fanden<lb/>
ihn eher angenehm als das Gegenteil &#x2013; aber auch kaum mehr als das. Man<lb/>
&#x2003;
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[5]/0007] I. Manche Gesellschaftsklassen sind zur politischen Macht geboren, andere erwerben sie und wieder anderen wird sie aufgedrängt. Das letztere war das Los der meisten, wenn nicht aller Frauen in den australischen Bundes- staaten und im Staatenbunde Australien, wo die Frauen teils seit 1894, teils seit Mai 1902 bei der Wahl von Parlamentsmitgliedern ihre Stimmen abgeben können. In Süd-Australien wurde der Kampf um dieses Vorrecht von Männern begonnen, geleitet und fast ganz durchgeführt. Die Rolle, welche hierbei Miss Spence, Mrs. Nicols und ihre Anhängerinnen spielten, war wohl nützlich, aber doch sehr untergeordnet. In West-Australien war dieser Kampf gleichfalls Sache der Männer und die Verleihung des Wahlrechts bildete ein blosses Auskunftsmittel, einen Schachzug im Spiele der Wahl- umtriebe, welcher den Zweck verfolgte, das Gleichgewicht der Macht zwischen zwei Abteilungen des Staates zu beeinflussen. Das Zugeständnis des Stimmrechtes durch das Bundesparlament im Jahre 1902 war hauptsäch- lich durch den Mangel jeder Art von Unruhe, eifriger Verfechtung oder scharfer Zurückweisung bemerkenswert. In Neuseeland, wo den Frauen das Wahlrecht zuerst eingeräumt wurde, war die Frage anfänglich zwar von Politikern aufgeworfen und besprochen worden, die die Änderung aufrichtig, wegen des ihr eigenen Wertes betrieben; als jedoch der Kampf zum Ent- scheidungspunkte gelangte, verhüllten allgemeine Argumente kaum die durch die Querfrage des Trinkverbotes hervorgerufene Aufregung. Gegen- über der Trinkverbotfrage verschwand vorläufig die Frage des Anrechtes der Frauen auf die Bürgerrechte fast ganz und eine bis dahin beiderseits unbe- kannte Erregung charakterisierte den Streit. Das Auftauchen der Prohibi- tionisten auf dem Schauplatze gestaltete die Frage im Jahre 1892 zum ersten Male zum Mittelpunkte der Leidenschaften und Erregungen. Ob ihr heisses Eintreten der Sache des Frauenstimmrechtes bei den Männern mehr nützte als schadete, ist noch ein streitiger Punkt; es kann aber kühn behauptet werden, dass das Verlangen nach dem Wahlrecht, soweit es sich in den Reihen der weiblichen Bevölkerung äusserte, hauptsächlich von den Müttern erweckt wurde. Ausserhalb ihrer Logen und ihres Christlichen Frauen- Mässigkeitsbundes bekundete die Haltung der Frauen nur passives Interesse. Sie wurden durch den Antrag weder abgestoßen noch beunruhigt; sie fanden ihn eher angenehm als das Gegenteil – aber auch kaum mehr als das. Man  

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2018-12-06T12:34:34Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-12-06T12:34:34Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: gekennzeichnet; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: keine Angabe; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): keine Angabe; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/reeves_wahlrecht_1904
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/reeves_wahlrecht_1904/7
Zitationshilfe: Reeves, William Pember: Das politische Wahlrecht der Frauen in Australien. Übers. v. Romulus Grazer [i. e. Romulus Katscher]. Leipzig, 1904 (= Sozialer Fortschritt, Bd. 15/16), S. [5]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reeves_wahlrecht_1904/7>, abgerufen am 24.11.2024.