Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

es aber drey verschiedene Arten, nach welchen
der Organismus von innen nach aussen wirken
kann, Instinct, sinnliche Begierde und
freier Wille, die sich nach den Bestimmungs-
gründen unterscheiden, durch welche das Wirken
nach aussen zu Stande kömmt. Der Instinct
ist ein blinder Drang, der das Thier als Auto-
mat handeln lässt, ohne dass es sich dabey ir-
gend eines Zwecks weder der Lust noch des ver-
ständigen Interesses bewusst ist. Es bewegt sich
nach einer Polarität, die seiner Organisation un-
auslöschlich eingeprägt ist, wie sich der Magnet
gegen Norden dreht, oder wie ein Froschschenkel
zuckt, wenn sein Nerve mit dem galvanischen
Apparat in Berührung gebracht wird. Diesen
Impuls zum Wirken finden wir auf der äussersten
Grenze der Animalität in den Kunstfertigkeiten
der Thiere am stärksten ausgedrückt. In dem
Maasse, als die Organisationen sich dieser niedrig-
sten Staffel entwinden und mit Gefühlswerkzeu-
gen und Sinnorganen versehen werden, schwindet
der Instinct immer mehr, die Sinnlichkeit ent-
wickelt sich, mit ihr keimen Vorstellungen von
Lust und Schmerz auf, die sich endlich in dem
Menschen in ihrer grössten Vollendung ankündi-
gen und ihn durch die Freiheit des Willens über
die ganze Thierheit erheben. Allein wenn gleich
die Natur den Menschen durch die vollkommnere
Ausbildung seiner Organisation von den Instincten
entbunden hat, so ist es doch möglich, dass er

es aber drey verſchiedene Arten, nach welchen
der Organiſmus von innen nach auſsen wirken
kann, Inſtinct, ſinnliche Begierde und
freier Wille, die ſich nach den Beſtimmungs-
gründen unterſcheiden, durch welche das Wirken
nach auſsen zu Stande kömmt. Der Inſtinct
iſt ein blinder Drang, der das Thier als Auto-
mat handeln läſst, ohne daſs es ſich dabey ir-
gend eines Zwecks weder der Luſt noch des ver-
ſtändigen Intereſſes bewuſst iſt. Es bewegt ſich
nach einer Polarität, die ſeiner Organiſation un-
auslöſchlich eingeprägt iſt, wie ſich der Magnet
gegen Norden dreht, oder wie ein Froſchſchenkel
zuckt, wenn ſein Nerve mit dem galvaniſchen
Apparat in Berührung gebracht wird. Dieſen
Impuls zum Wirken finden wir auf der äuſserſten
Grenze der Animalität in den Kunſtfertigkeiten
der Thiere am ſtärkſten ausgedrückt. In dem
Maaſse, als die Organiſationen ſich dieſer niedrig-
ſten Staffel entwinden und mit Gefühlswerkzeu-
gen und Sinnorganen verſehen werden, ſchwindet
der Inſtinct immer mehr, die Sinnlichkeit ent-
wickelt ſich, mit ihr keimen Vorſtellungen von
Luſt und Schmerz auf, die ſich endlich in dem
Menſchen in ihrer gröſsten Vollendung ankündi-
gen und ihn durch die Freiheit des Willens über
die ganze Thierheit erheben. Allein wenn gleich
die Natur den Menſchen durch die vollkommnere
Ausbildung ſeiner Organiſation von den Inſtincten
entbunden hat, ſo iſt es doch möglich, daſs er

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0171" n="166"/>
es aber <hi rendition="#g">drey</hi> ver&#x017F;chiedene Arten, nach welchen<lb/>
der Organi&#x017F;mus von innen nach au&#x017F;sen wirken<lb/>
kann, <hi rendition="#g">In&#x017F;tinct, &#x017F;innliche Begierde</hi> und<lb/><hi rendition="#g">freier Wille</hi>, die &#x017F;ich nach den Be&#x017F;timmungs-<lb/>
gründen unter&#x017F;cheiden, durch welche das Wirken<lb/>
nach au&#x017F;sen zu Stande kömmt. Der <hi rendition="#g">In&#x017F;tinct</hi><lb/>
i&#x017F;t ein blinder Drang, der das Thier als Auto-<lb/>
mat handeln lä&#x017F;st, ohne da&#x017F;s es &#x017F;ich dabey ir-<lb/>
gend eines Zwecks weder der Lu&#x017F;t noch des ver-<lb/>
&#x017F;tändigen Intere&#x017F;&#x017F;es bewu&#x017F;st i&#x017F;t. Es bewegt &#x017F;ich<lb/>
nach einer Polarität, die &#x017F;einer Organi&#x017F;ation un-<lb/>
auslö&#x017F;chlich eingeprägt i&#x017F;t, wie &#x017F;ich der Magnet<lb/>
gegen Norden dreht, oder wie ein Fro&#x017F;ch&#x017F;chenkel<lb/>
zuckt, wenn &#x017F;ein Nerve mit dem galvani&#x017F;chen<lb/>
Apparat in Berührung gebracht wird. Die&#x017F;en<lb/>
Impuls zum Wirken finden wir auf der äu&#x017F;ser&#x017F;ten<lb/>
Grenze der Animalität in den Kun&#x017F;tfertigkeiten<lb/>
der Thiere am &#x017F;tärk&#x017F;ten ausgedrückt. In dem<lb/>
Maa&#x017F;se, als die Organi&#x017F;ationen &#x017F;ich die&#x017F;er niedrig-<lb/>
&#x017F;ten Staffel entwinden und mit Gefühlswerkzeu-<lb/>
gen und Sinnorganen ver&#x017F;ehen werden, &#x017F;chwindet<lb/>
der In&#x017F;tinct immer mehr, die Sinnlichkeit ent-<lb/>
wickelt &#x017F;ich, mit ihr keimen Vor&#x017F;tellungen von<lb/>
Lu&#x017F;t und Schmerz auf, die &#x017F;ich endlich in dem<lb/>
Men&#x017F;chen in ihrer grö&#x017F;sten Vollendung ankündi-<lb/>
gen und ihn durch die Freiheit des Willens über<lb/>
die ganze Thierheit erheben. Allein wenn gleich<lb/>
die Natur den Men&#x017F;chen durch die vollkommnere<lb/>
Ausbildung &#x017F;einer Organi&#x017F;ation von den In&#x017F;tincten<lb/>
entbunden hat, &#x017F;o i&#x017F;t es doch möglich, da&#x017F;s er<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[166/0171] es aber drey verſchiedene Arten, nach welchen der Organiſmus von innen nach auſsen wirken kann, Inſtinct, ſinnliche Begierde und freier Wille, die ſich nach den Beſtimmungs- gründen unterſcheiden, durch welche das Wirken nach auſsen zu Stande kömmt. Der Inſtinct iſt ein blinder Drang, der das Thier als Auto- mat handeln läſst, ohne daſs es ſich dabey ir- gend eines Zwecks weder der Luſt noch des ver- ſtändigen Intereſſes bewuſst iſt. Es bewegt ſich nach einer Polarität, die ſeiner Organiſation un- auslöſchlich eingeprägt iſt, wie ſich der Magnet gegen Norden dreht, oder wie ein Froſchſchenkel zuckt, wenn ſein Nerve mit dem galvaniſchen Apparat in Berührung gebracht wird. Dieſen Impuls zum Wirken finden wir auf der äuſserſten Grenze der Animalität in den Kunſtfertigkeiten der Thiere am ſtärkſten ausgedrückt. In dem Maaſse, als die Organiſationen ſich dieſer niedrig- ſten Staffel entwinden und mit Gefühlswerkzeu- gen und Sinnorganen verſehen werden, ſchwindet der Inſtinct immer mehr, die Sinnlichkeit ent- wickelt ſich, mit ihr keimen Vorſtellungen von Luſt und Schmerz auf, die ſich endlich in dem Menſchen in ihrer gröſsten Vollendung ankündi- gen und ihn durch die Freiheit des Willens über die ganze Thierheit erheben. Allein wenn gleich die Natur den Menſchen durch die vollkommnere Ausbildung ſeiner Organiſation von den Inſtincten entbunden hat, ſo iſt es doch möglich, daſs er

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/171
Zitationshilfe: Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/171>, abgerufen am 09.11.2024.