Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

Gebrauch nothwendig, wenn die Verrücktheit
bereits vollkommen ausgebildet und alle Freiheit
des Willens beschränkt ist. Eher passt er im Be-
ginnen dieser Krankheit, besonders wenn dieselbe
durch unverschuldete Unglücksfälle hervorge-
bracht ist. Doch auch in diesem Falle pflegt die
trübe Stimmung der Seele mit verdoppelter Kraft
zurückzukehren, wenn der Rausch und die
künstliche Spannung vorüber ist.

Ferner bringen Wärme, besonders die
Wärme der Sonne und ein sanftes Streicheln
und Reiben des Körpers mit der Hand, mit
Flanell oder mit einer Fleischbürste einen ange-
nehmen Hautreiz hervor. Oft, sagt Parge-
ter
*) habe er die Beobachtung gemacht, dass
Kranke in der Tobsucht ruhig und vergnügt wur-
den, wenn man ihnen den Kopf schor und den-
selben mit einem Tuch rieb. Eben so erregt auch
das laue Bad ein angenehmes Gefühl. Ausser-
dem hat dasselbe noch den Vortheil, dass es die
Haut reinigt, dadurch die Gesundheit, und durch
dieselbe das angenehme Lebensgefühl fördert,
welches besonders für Wahnsinnige wichtig ist,
da sie mehr als andere sich verunreinigen. Man
könnte sie daher, wenigstens wöchentlich einmal
baden. Diesem füge ich den mässigen Kitzel

*) Theoretisch - praktische Abhandlung über den
Wahnsinn; aus dem Englischen, Leipzig 1793.
98 S.

Gebrauch nothwendig, wenn die Verrücktheit
bereits vollkommen ausgebildet und alle Freiheit
des Willens beſchränkt iſt. Eher paſst er im Be-
ginnen dieſer Krankheit, beſonders wenn dieſelbe
durch unverſchuldete Unglücksfälle hervorge-
bracht iſt. Doch auch in dieſem Falle pflegt die
trübe Stimmung der Seele mit verdoppelter Kraft
zurückzukehren, wenn der Rauſch und die
künſtliche Spannung vorüber iſt.

Ferner bringen Wärme, beſonders die
Wärme der Sonne und ein ſanftes Streicheln
und Reiben des Körpers mit der Hand, mit
Flanell oder mit einer Fleiſchbürſte einen ange-
nehmen Hautreiz hervor. Oft, ſagt Parge-
ter
*) habe er die Beobachtung gemacht, daſs
Kranke in der Tobſucht ruhig und vergnügt wur-
den, wenn man ihnen den Kopf ſchor und den-
ſelben mit einem Tuch rieb. Eben ſo erregt auch
das laue Bad ein angenehmes Gefühl. Auſser-
dem hat daſſelbe noch den Vortheil, daſs es die
Haut reinigt, dadurch die Geſundheit, und durch
dieſelbe das angenehme Lebensgefühl fördert,
welches beſonders für Wahnſinnige wichtig iſt,
da ſie mehr als andere ſich verunreinigen. Man
könnte ſie daher, wenigſtens wöchentlich einmal
baden. Dieſem füge ich den mäſsigen Kitzel

*) Theoretiſch ‒ praktiſche Abhandlung über den
Wahnſinn; aus dem Engliſchen, Leipzig 1793.
98 S.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0189" n="184"/>
Gebrauch nothwendig, wenn die Verrücktheit<lb/>
bereits vollkommen ausgebildet und alle Freiheit<lb/>
des Willens be&#x017F;chränkt i&#x017F;t. Eher pa&#x017F;st er im Be-<lb/>
ginnen die&#x017F;er Krankheit, be&#x017F;onders wenn die&#x017F;elbe<lb/>
durch unver&#x017F;chuldete Unglücksfälle hervorge-<lb/>
bracht i&#x017F;t. Doch auch in die&#x017F;em Falle pflegt die<lb/>
trübe Stimmung der Seele mit verdoppelter Kraft<lb/>
zurückzukehren, wenn der Rau&#x017F;ch und die<lb/>
kün&#x017F;tliche Spannung vorüber i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Ferner bringen <hi rendition="#g">Wärme</hi>, be&#x017F;onders die<lb/>
Wärme der Sonne und ein &#x017F;anftes <hi rendition="#g">Streicheln</hi><lb/>
und <hi rendition="#g">Reiben</hi> des Körpers mit der Hand, mit<lb/>
Flanell oder mit einer Flei&#x017F;chbür&#x017F;te einen ange-<lb/>
nehmen Hautreiz hervor. Oft, &#x017F;agt <hi rendition="#g">Parge-<lb/>
ter</hi> <note place="foot" n="*)">Theoreti&#x017F;ch &#x2012; prakti&#x017F;che Abhandlung über den<lb/>
Wahn&#x017F;inn; aus dem Engli&#x017F;chen, Leipzig 1793.<lb/>
98 S.</note> habe er die Beobachtung gemacht, da&#x017F;s<lb/>
Kranke in der Tob&#x017F;ucht ruhig und vergnügt wur-<lb/>
den, wenn man ihnen den Kopf &#x017F;chor und den-<lb/>
&#x017F;elben mit einem Tuch rieb. Eben &#x017F;o erregt auch<lb/>
das <hi rendition="#g">laue Bad</hi> ein angenehmes Gefühl. Au&#x017F;ser-<lb/>
dem hat da&#x017F;&#x017F;elbe noch den Vortheil, da&#x017F;s es die<lb/>
Haut reinigt, dadurch die Ge&#x017F;undheit, und durch<lb/>
die&#x017F;elbe das angenehme Lebensgefühl fördert,<lb/>
welches be&#x017F;onders für Wahn&#x017F;innige wichtig i&#x017F;t,<lb/>
da &#x017F;ie mehr als andere &#x017F;ich verunreinigen. Man<lb/>
könnte &#x017F;ie daher, wenig&#x017F;tens wöchentlich einmal<lb/>
baden. Die&#x017F;em füge ich den mä&#x017F;sigen <hi rendition="#g">Kitzel</hi><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[184/0189] Gebrauch nothwendig, wenn die Verrücktheit bereits vollkommen ausgebildet und alle Freiheit des Willens beſchränkt iſt. Eher paſst er im Be- ginnen dieſer Krankheit, beſonders wenn dieſelbe durch unverſchuldete Unglücksfälle hervorge- bracht iſt. Doch auch in dieſem Falle pflegt die trübe Stimmung der Seele mit verdoppelter Kraft zurückzukehren, wenn der Rauſch und die künſtliche Spannung vorüber iſt. Ferner bringen Wärme, beſonders die Wärme der Sonne und ein ſanftes Streicheln und Reiben des Körpers mit der Hand, mit Flanell oder mit einer Fleiſchbürſte einen ange- nehmen Hautreiz hervor. Oft, ſagt Parge- ter *) habe er die Beobachtung gemacht, daſs Kranke in der Tobſucht ruhig und vergnügt wur- den, wenn man ihnen den Kopf ſchor und den- ſelben mit einem Tuch rieb. Eben ſo erregt auch das laue Bad ein angenehmes Gefühl. Auſser- dem hat daſſelbe noch den Vortheil, daſs es die Haut reinigt, dadurch die Geſundheit, und durch dieſelbe das angenehme Lebensgefühl fördert, welches beſonders für Wahnſinnige wichtig iſt, da ſie mehr als andere ſich verunreinigen. Man könnte ſie daher, wenigſtens wöchentlich einmal baden. Dieſem füge ich den mäſsigen Kitzel *) Theoretiſch ‒ praktiſche Abhandlung über den Wahnſinn; aus dem Engliſchen, Leipzig 1793. 98 S.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/189
Zitationshilfe: Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/189>, abgerufen am 15.05.2024.