Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803.lungsvermögens, die sich auf einen den Ohren sang, brauste und rauschte es, die Getränke hatten einen fremden Geschmack, vor den Augen lagen Berge, die Objekte hatten die Farben des Regenbogens, der Rand des Trink- gefässes erschien ungleich, als wenn Blumen- kohlköpfe und andere Gewächse daraus hervor- gewachsen wären. In dem reinsten Getränk sah sie Thiere, eine Kreuzspinne, Eidechse und eine Schlange, und wunderte sich, dass auch wir sie nicht sahen. Mit der Exacerbation erschie- nen wirkliche und zahlreiche Phantasmen. Sie sah Thiere, Menschen, Verwandte, Geister ohne Zahl. Einige Zeit sass Friedrich der Grosse, den sie noch kurz vor seinem Tode gesehen hat- te, die ganzen Nächte durch an ihrem Bette, so lebhaft, wie es nur in der Wirklichkeit hätte geschehen können. Sobald es finster im Zimmer wird, oder der Kranke die Augen schliesst, er- scheinen ihm Ungeheuer und grässliche Gesich- ter, die ihn angrinzen. Er erkennt diesen Zu- stand noch selbst als Phantasm, oder lässt sich durch Gründe seiner Freunde, und durch meh- rere Erleuchtung der Gegenstände davon über- zeugen. Er spricht irre, wenn er einschlum- mert, und die Besonnenheit seiner Verhältnisse durch die Entziehung der Sinneswirkungen ge- schwächt ist. Beim Erwachen sagt er, dass ihm sein Irrereden wie ein lebhafter Traum vor- komme. Alles dies sind Spiele einer überspann- ten Thätigkeit in den äusseren Sinneswerkzeu- gen und in den Organen der Phantasie. Reils Fieberlehre, B. 4. §. 67. U 2
lungsvermögens, die ſich auf einen den Ohren ſang, brauſte und rauſchte es, die Getränke hatten einen fremden Geſchmack, vor den Augen lagen Berge, die Objekte hatten die Farben des Regenbogens, der Rand des Trink- gefäſses erſchien ungleich, als wenn Blumen- kohlköpfe und andere Gewächſe daraus hervor- gewachſen wären. In dem reinſten Getränk ſah ſie Thiere, eine Kreuzſpinne, Eidechſe und eine Schlange, und wunderte ſich, daſs auch wir ſie nicht ſahen. Mit der Exacerbation erſchie- nen wirkliche und zahlreiche Phantasmen. Sie ſah Thiere, Menſchen, Verwandte, Geiſter ohne Zahl. Einige Zeit ſaſs Friedrich der Groſse, den ſie noch kurz vor ſeinem Tode geſehen hat- te, die ganzen Nächte durch an ihrem Bette, ſo lebhaft, wie es nur in der Wirklichkeit hätte geſchehen können. Sobald es finſter im Zimmer wird, oder der Kranke die Augen ſchlieſst, er- ſcheinen ihm Ungeheuer und gräſsliche Geſich- ter, die ihn angrinzen. Er erkennt dieſen Zu- ſtand noch ſelbſt als Phantasm, oder läſst ſich durch Gründe ſeiner Freunde, und durch meh- rere Erleuchtung der Gegenſtände davon über- zeugen. Er ſpricht irre, wenn er einſchlum- mert, und die Beſonnenheit ſeiner Verhältniſſe durch die Entziehung der Sinneswirkungen ge- ſchwächt iſt. Beim Erwachen ſagt er, daſs ihm ſein Irrereden wie ein lebhafter Traum vor- komme. Alles dies ſind Spiele einer überſpann- ten Thätigkeit in den äuſseren Sinneswerkzeu- gen und in den Organen der Phantaſie. Reils Fieberlehre, B. 4. §. 67. U 2
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*) den Ohren ſang, brauſte und rauſchte es, die
Getränke hatten einen fremden Geſchmack, vor
den Augen lagen Berge, die Objekte hatten die
Farben des Regenbogens, der Rand des Trink-
gefäſses erſchien ungleich, als wenn Blumen-
kohlköpfe und andere Gewächſe daraus hervor-
gewachſen wären. In dem reinſten Getränk ſah
ſie Thiere, eine Kreuzſpinne, Eidechſe und eine
Schlange, und wunderte ſich, daſs auch wir
ſie nicht ſahen. Mit der Exacerbation erſchie-
nen wirkliche und zahlreiche Phantasmen. Sie
ſah Thiere, Menſchen, Verwandte, Geiſter ohne
Zahl. Einige Zeit ſaſs Friedrich der Groſse,
den ſie noch kurz vor ſeinem Tode geſehen hat-
te, die ganzen Nächte durch an ihrem Bette,
ſo lebhaft, wie es nur in der Wirklichkeit hätte
geſchehen können. Sobald es finſter im Zimmer
wird, oder der Kranke die Augen ſchlieſst, er-
ſcheinen ihm Ungeheuer und gräſsliche Geſich-
ter, die ihn angrinzen. Er erkennt dieſen Zu-
ſtand noch ſelbſt als Phantasm, oder läſst ſich
durch Gründe ſeiner Freunde, und durch meh-
rere Erleuchtung der Gegenſtände davon über-
zeugen. Er ſpricht irre, wenn er einſchlum-
mert, und die Beſonnenheit ſeiner Verhältniſſe
durch die Entziehung der Sinneswirkungen ge-
ſchwächt iſt. Beim Erwachen ſagt er, daſs ihm
ſein Irrereden wie ein lebhafter Traum vor-
komme. Alles dies ſind Spiele einer überſpann-
ten Thätigkeit in den äuſseren Sinneswerkzeu-
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