trauen, Hass, Feindschaft und Rachsucht in ih- nen, ja sie gerathen in Wuth, wenn ihnen Ge- genstände vorkommen, die sie als Hindernisse in der Erreichung ihrer Zwecke ansehen. Beson- ders werfen sie diesen Verdacht leicht auf mo- ralische Wesen, und vorzüglich auf ihre Bekannte und Verwandte, weil sie von diesen eher als von Fremden Beziehungen auf sich erwarten müs- sen. Sie schlagen, verletzen oder tödten sie im Gefolge eines Vorsatzes. Wenn sie hingegen ohne Thatkraft sind und die Unerreichbarkeit ihrer Zwecke in dem Gegenstand suchen; so nä- hert sich ihre muthlose Traurigkeit der Verzweif- lung, sie suchen sich selbst zu tödten, begehen Handlungen, die den Tod nach sich ziehn oder bitten die Umstehenden sie umzubringen.
Der übrige Zustand der Seelenkräfte hängt von ihrer vormaligen Kultur und dem Grade ihrer nachherigen Verletzung ab. Der Kranke handelt mit Ueberlegung und Thatkraft, unter falschen Voraussetzungen und zu Gunsten eines thörichten Zwecks, wenn er denselben für er- reichbar hält; oder er ist unthätig, wenn er des Gegentheils überzeugt ist. Er ist bloss für seine Idee thätig, und unthätig für alles andere, wenn dieselbe ein grosses Interesse für ihn hat und ihr Gegenstand noch nicht erreicht ist. Im Gegen- theil kann er auch für andre Zwecke thätig seyn, wenn er in dem Wahn steht, dass seine fixe Idee bereits realisirt sey. Uebrigens hat der Kranke
trauen, Haſs, Feindſchaft und Rachſucht in ih- nen, ja ſie gerathen in Wuth, wenn ihnen Ge- genſtände vorkommen, die ſie als Hinderniſſe in der Erreichung ihrer Zwecke anſehen. Beſon- ders werfen ſie dieſen Verdacht leicht auf mo- raliſche Weſen, und vorzüglich auf ihre Bekannte und Verwandte, weil ſie von dieſen eher als von Fremden Beziehungen auf ſich erwarten müſ- ſen. Sie ſchlagen, verletzen oder tödten ſie im Gefolge eines Vorſatzes. Wenn ſie hingegen ohne Thatkraft ſind und die Unerreichbarkeit ihrer Zwecke in dem Gegenſtand ſuchen; ſo nä- hert ſich ihre muthloſe Traurigkeit der Verzweif- lung, ſie ſuchen ſich ſelbſt zu tödten, begehen Handlungen, die den Tod nach ſich ziehn oder bitten die Umſtehenden ſie umzubringen.
Der übrige Zuſtand der Seelenkräfte hängt von ihrer vormaligen Kultur und dem Grade ihrer nachherigen Verletzung ab. Der Kranke handelt mit Ueberlegung und Thatkraft, unter falſchen Vorausſetzungen und zu Gunſten eines thörichten Zwecks, wenn er denſelben für er- reichbar hält; oder er iſt unthätig, wenn er des Gegentheils überzeugt iſt. Er iſt bloſs für ſeine Idee thätig, und unthätig für alles andere, wenn dieſelbe ein groſses Intereſſe für ihn hat und ihr Gegenſtand noch nicht erreicht iſt. Im Gegen- theil kann er auch für andre Zwecke thätig ſeyn, wenn er in dem Wahn ſteht, daſs ſeine fixe Idee bereits realiſirt ſey. Uebrigens hat der Kranke
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trauen, Haſs, Feindſchaft und Rachſucht in ih-
nen, ja ſie gerathen in Wuth, wenn ihnen Ge-
genſtände vorkommen, die ſie als Hinderniſſe in
der Erreichung ihrer Zwecke anſehen. Beſon-
ders werfen ſie dieſen Verdacht leicht auf mo-
raliſche Weſen, und vorzüglich auf ihre Bekannte
und Verwandte, weil ſie von dieſen eher als
von Fremden Beziehungen auf ſich erwarten müſ-
ſen. Sie ſchlagen, verletzen oder tödten ſie im
Gefolge eines Vorſatzes. Wenn ſie hingegen
ohne Thatkraft ſind und die Unerreichbarkeit
ihrer Zwecke in dem Gegenſtand ſuchen; ſo nä-
hert ſich ihre muthloſe Traurigkeit der Verzweif-
lung, ſie ſuchen ſich ſelbſt zu tödten, begehen
Handlungen, die den Tod nach ſich ziehn oder
bitten die Umſtehenden ſie umzubringen.
Der übrige Zuſtand der Seelenkräfte hängt
von ihrer vormaligen Kultur und dem Grade
ihrer nachherigen Verletzung ab. Der Kranke
handelt mit Ueberlegung und Thatkraft, unter
falſchen Vorausſetzungen und zu Gunſten eines
thörichten Zwecks, wenn er denſelben für er-
reichbar hält; oder er iſt unthätig, wenn er des
Gegentheils überzeugt iſt. Er iſt bloſs für ſeine
Idee thätig, und unthätig für alles andere, wenn
dieſelbe ein groſses Intereſſe für ihn hat und ihr
Gegenſtand noch nicht erreicht iſt. Im Gegen-
theil kann er auch für andre Zwecke thätig ſeyn,
wenn er in dem Wahn ſteht, daſs ſeine fixe Idee
bereits realiſirt ſey. Uebrigens hat der Kranke
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/319>, abgerufen am 22.11.2024.
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