fürchtete *). Ferner giebt es gewisse Gegen- stände, an welche der Mensch sich mit Wärme hängt, weil sie mit seinem Interesse in enger Ver- bindung stehn und der Organismus hat die Eigen- schaft, dass seine Aktionen um so leichter wieder- kehren als sie oft wiederholt sind. Diese Gegen- stände ziehn ihn ursprünglich durch ihr Interesse willkührlich an und halten ihn in der Folge, in dem Maasse, wie das Interesse verlöscht, durch die Gewohnheit gezwungen fest. Der Art sind des- potische Staatsverfassungen, Inquisitionen, Ty- ranney der Pfaffen, Unglücksfälle, die uns als moralisches Wesen treffen, Beschimpfungen unse- rer Ehre, erlittenes Unrecht, Vorwürfe des Ge- wissens und Verlust solcher Personen, die durch die Bande des Bluts und der Freundschaft mit uns verbunden sind. Allein auch die blosse Gewohn- heit kann Gefühle und Ideen fixiren, die ohne besonderes Interesse wegen einer äusseren Noth- wendigkeit oft wiederholt werden. Ich habe ei- nen alten Mann gekannt, der den grössten Theil seines Lebens mit Korrekturen zugebracht hatte. Er dachte an nichts als an diesen Gegenstand, träumte des Nachts und phantasirte im Fieber da- von. Zugleich muss man die Disposition des Menschen und seine äusseren Verhältnisse mit in Anschlag bringen. Leidenschaftliche Gegenstände gewinnen vorzüglich über Personen eine Herr-
*)Cabanis l. c. T. I. p. 170.
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fürchtete *). Ferner giebt es gewiſſe Gegen- ſtände, an welche der Menſch ſich mit Wärme hängt, weil ſie mit ſeinem Intereſſe in enger Ver- bindung ſtehn und der Organiſmus hat die Eigen- ſchaft, daſs ſeine Aktionen um ſo leichter wieder- kehren als ſie oft wiederholt ſind. Dieſe Gegen- ſtände ziehn ihn urſprünglich durch ihr Intereſſe willkührlich an und halten ihn in der Folge, in dem Maaſse, wie das Intereſſe verlöſcht, durch die Gewohnheit gezwungen feſt. Der Art ſind des- potiſche Staatsverfaſſungen, Inquiſitionen, Ty- ranney der Pfaffen, Unglücksfälle, die uns als moraliſches Weſen treffen, Beſchimpfungen unſe- rer Ehre, erlittenes Unrecht, Vorwürfe des Ge- wiſſens und Verluſt ſolcher Perſonen, die durch die Bande des Bluts und der Freundſchaft mit uns verbunden ſind. Allein auch die bloſse Gewohn- heit kann Gefühle und Ideen fixiren, die ohne beſonderes Intereſſe wegen einer äuſseren Noth- wendigkeit oft wiederholt werden. Ich habe ei- nen alten Mann gekannt, der den gröſsten Theil ſeines Lebens mit Korrekturen zugebracht hatte. Er dachte an nichts als an dieſen Gegenſtand, träumte des Nachts und phantaſirte im Fieber da- von. Zugleich muſs man die Dispoſition des Menſchen und ſeine äuſseren Verhältniſſe mit in Anſchlag bringen. Leidenſchaftliche Gegenſtände gewinnen vorzüglich über Perſonen eine Herr-
*)Cabanis l. c. T. I. p. 170.
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[321/0326]
fürchtete *). Ferner giebt es gewiſſe Gegen-
ſtände, an welche der Menſch ſich mit Wärme
hängt, weil ſie mit ſeinem Intereſſe in enger Ver-
bindung ſtehn und der Organiſmus hat die Eigen-
ſchaft, daſs ſeine Aktionen um ſo leichter wieder-
kehren als ſie oft wiederholt ſind. Dieſe Gegen-
ſtände ziehn ihn urſprünglich durch ihr Intereſſe
willkührlich an und halten ihn in der Folge, in
dem Maaſse, wie das Intereſſe verlöſcht, durch die
Gewohnheit gezwungen feſt. Der Art ſind des-
potiſche Staatsverfaſſungen, Inquiſitionen, Ty-
ranney der Pfaffen, Unglücksfälle, die uns als
moraliſches Weſen treffen, Beſchimpfungen unſe-
rer Ehre, erlittenes Unrecht, Vorwürfe des Ge-
wiſſens und Verluſt ſolcher Perſonen, die durch
die Bande des Bluts und der Freundſchaft mit uns
verbunden ſind. Allein auch die bloſse Gewohn-
heit kann Gefühle und Ideen fixiren, die ohne
beſonderes Intereſſe wegen einer äuſseren Noth-
wendigkeit oft wiederholt werden. Ich habe ei-
nen alten Mann gekannt, der den gröſsten Theil
ſeines Lebens mit Korrekturen zugebracht hatte.
Er dachte an nichts als an dieſen Gegenſtand,
träumte des Nachts und phantaſirte im Fieber da-
von. Zugleich muſs man die Dispoſition des
Menſchen und ſeine äuſseren Verhältniſſe mit in
Anſchlag bringen. Leidenſchaftliche Gegenſtände
gewinnen vorzüglich über Perſonen eine Herr-
*) Cabanis l. c. T. I. p. 170.
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/326>, abgerufen am 21.11.2024.
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