f) Fixer Wahnsinn, der sich auf Liebe be- zieht. Ich übergehe den bloss thierischen Trieb zum physischen Genuss, der durch Krankheit des Körpers so übermässig werden kann, dass er die Vernunft überflügelt, und zu absurden Hand- lungen leitet. Kranke dieser Art müssen eine magere Diät halten, Pflanzen essen, Wasser trin- ken, Eier, Fleisch, Gewürze, gegohrne Geträn- ke und andere reizende Nahrung meiden, im Schweiss des Angesichts ihr Brodt essen, damit der Ueberfluss drängender Säfte zerstreut werde *). Sie müssen die Geburtstheile kühl halten, kalt baden, Kampfer speisen und im Nothfall durch Entledigungen ihre innere Gluth abkühlen **).
Ich spreche hier vorzüglich von der plato- nischen Liebe, die nicht nach wollüstigen Um- armungen strebt, sondern in den moralischen Vollkommenheiten ihres Gegenstandes eine Gott- heit anbetet, und im Besitz desselben das Glück des Lebens setzt. Jugendliches Alter, ein ver- liebtes Naturell und eine überspannte Phantasie macht geneigt zu dieser Phantasterey, die in der Folge, wenn ihr nicht genüget wird, in Lebens- überdruss, dumpfe Melancholie und Narrheit übergehen kann.
*) Venus otia amat. Qui finem quaeris amoris, Cedit amor rebus, res age tutus eris. Ovidius.
**)Krüger Diss. de matrimonio multorum mor- borum remedio. Francof. ad Viadr. 1749.
f) Fixer Wahnſinn, der ſich auf Liebe be- zieht. Ich übergehe den bloſs thieriſchen Trieb zum phyſiſchen Genuſs, der durch Krankheit des Körpers ſo übermäſsig werden kann, daſs er die Vernunft überflügelt, und zu abſurden Hand- lungen leitet. Kranke dieſer Art müſſen eine magere Diät halten, Pflanzen eſſen, Waſſer trin- ken, Eier, Fleiſch, Gewürze, gegohrne Geträn- ke und andere reizende Nahrung meiden, im Schweiſs des Angeſichts ihr Brodt eſſen, damit der Ueberfluſs drängender Säfte zerſtreut werde *). Sie müſſen die Geburtstheile kühl halten, kalt baden, Kampfer ſpeiſen und im Nothfall durch Entledigungen ihre innere Gluth abkühlen **).
Ich ſpreche hier vorzüglich von der plato- niſchen Liebe, die nicht nach wollüſtigen Um- armungen ſtrebt, ſondern in den moraliſchen Vollkommenheiten ihres Gegenſtandes eine Gott- heit anbetet, und im Beſitz deſſelben das Glück des Lebens ſetzt. Jugendliches Alter, ein ver- liebtes Naturell und eine überſpannte Phantaſie macht geneigt zu dieſer Phantaſterey, die in der Folge, wenn ihr nicht genüget wird, in Lebens- überdruſs, dumpfe Melancholie und Narrheit übergehen kann.
*) Venus otia amat. Qui finem quaeris amoris, Cedit amor rebus, res age tutus eris. Ovidius.
**)Krüger Diſſ. de matrimonio multorum mor- borum remedio. Francof. ad Viadr. 1749.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0351"n="346"/><p>f) Fixer Wahnſinn, der ſich auf <hirendition="#g">Liebe</hi> be-<lb/>
zieht. Ich übergehe den bloſs thieriſchen Trieb<lb/>
zum phyſiſchen Genuſs, der durch Krankheit<lb/>
des Körpers ſo übermäſsig werden kann, daſs er<lb/>
die Vernunft überflügelt, und zu abſurden Hand-<lb/>
lungen leitet. Kranke dieſer Art müſſen eine<lb/>
magere Diät halten, Pflanzen eſſen, Waſſer trin-<lb/>
ken, Eier, Fleiſch, Gewürze, gegohrne Geträn-<lb/>
ke und andere reizende Nahrung meiden, im<lb/>
Schweiſs des Angeſichts ihr Brodt eſſen, damit<lb/>
der Ueberfluſs drängender Säfte zerſtreut werde <noteplace="foot"n="*)">Venus otia amat. Qui finem quaeris amoris,<lb/>
Cedit amor rebus, res age tutus eris.<lb/><hirendition="#g">Ovidius</hi>.</note>.<lb/>
Sie müſſen die Geburtstheile kühl halten, kalt<lb/>
baden, Kampfer ſpeiſen und im Nothfall durch<lb/>
Entledigungen ihre innere Gluth abkühlen <noteplace="foot"n="**)"><hirendition="#g">Krüger</hi> Diſſ. de matrimonio multorum mor-<lb/>
borum remedio. Francof. ad Viadr. 1749.</note>.</p><lb/><p>Ich ſpreche hier vorzüglich von der plato-<lb/>
niſchen Liebe, die nicht nach wollüſtigen Um-<lb/>
armungen ſtrebt, ſondern in den moraliſchen<lb/>
Vollkommenheiten ihres Gegenſtandes eine Gott-<lb/>
heit anbetet, und im Beſitz deſſelben das Glück<lb/>
des Lebens ſetzt. Jugendliches Alter, ein ver-<lb/>
liebtes Naturell und eine überſpannte Phantaſie<lb/>
macht geneigt zu dieſer Phantaſterey, die in der<lb/>
Folge, wenn ihr nicht genüget wird, in Lebens-<lb/>
überdruſs, dumpfe Melancholie und Narrheit<lb/>
übergehen kann.</p><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[346/0351]
f) Fixer Wahnſinn, der ſich auf Liebe be-
zieht. Ich übergehe den bloſs thieriſchen Trieb
zum phyſiſchen Genuſs, der durch Krankheit
des Körpers ſo übermäſsig werden kann, daſs er
die Vernunft überflügelt, und zu abſurden Hand-
lungen leitet. Kranke dieſer Art müſſen eine
magere Diät halten, Pflanzen eſſen, Waſſer trin-
ken, Eier, Fleiſch, Gewürze, gegohrne Geträn-
ke und andere reizende Nahrung meiden, im
Schweiſs des Angeſichts ihr Brodt eſſen, damit
der Ueberfluſs drängender Säfte zerſtreut werde *).
Sie müſſen die Geburtstheile kühl halten, kalt
baden, Kampfer ſpeiſen und im Nothfall durch
Entledigungen ihre innere Gluth abkühlen **).
Ich ſpreche hier vorzüglich von der plato-
niſchen Liebe, die nicht nach wollüſtigen Um-
armungen ſtrebt, ſondern in den moraliſchen
Vollkommenheiten ihres Gegenſtandes eine Gott-
heit anbetet, und im Beſitz deſſelben das Glück
des Lebens ſetzt. Jugendliches Alter, ein ver-
liebtes Naturell und eine überſpannte Phantaſie
macht geneigt zu dieſer Phantaſterey, die in der
Folge, wenn ihr nicht genüget wird, in Lebens-
überdruſs, dumpfe Melancholie und Narrheit
übergehen kann.
*) Venus otia amat. Qui finem quaeris amoris,
Cedit amor rebus, res age tutus eris.
Ovidius.
**) Krüger Diſſ. de matrimonio multorum mor-
borum remedio. Francof. ad Viadr. 1749.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/351>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.