In Rücksicht der Kur kommt es zuvörderst darauf an, die Liebe zu entdecken, wenn sie ver- heimlicht wird. Dazu hat der Arzt Welt- und Menschenkenntniss nöthig, um die Geheimnisse des Herzens zu ahnen; das Zutrauen des Kran- ken, um sie aus demselben hervorzulocken. Ga- len entdeckte die Liebe einer römischen Dame zu dem Schauspieler Pylades dadurch, dass sie erröthete, als sein Name zufällig genannt wurde. Eine Frau, sagt Sauvages*), die ih- ren Mann zärtlich liebte, und das nemliche von ihm glaubte, erfuhr, dass er ihr untreu sey, und beschloss zu sterben. Doch kämpfte lange Re- ligion, Abscheu für Selbstmord und Liebe zu ihren Kindern wider diesen Entschluss, bis sie endlich unterlag. Ihr Arzt, der ihr unstatthafte Dinge aus der Apotheke verschrieben hatte, wür- de sie leicht haben retten können, wenn er die Ursache ihrer Krankheit geahndet hätte. Der Dr. Stütz**) kurirte ein wahnsinniges Mäd- chen, bey der alle Arten anderer Mittel umsonst versucht waren, endlich auf folgende Art. Er bemerkte nemlich, dass es auf alle Mannsbilder, den Wärter, Aufseher u. s. w. verliebte Augen warf, und es gern hörte, wenn man vom Heira- then sprach. Er liess also einen ordentlichen jun- gen Mann zur Kranken gehen, der ihr wohlge-
*) Nosol. T. III. P. I. p. 232.
**) Med. Annalen, Mai 1802. Correspondenzblatt S. 77.
In Rückſicht der Kur kommt es zuvörderſt darauf an, die Liebe zu entdecken, wenn ſie ver- heimlicht wird. Dazu hat der Arzt Welt- und Menſchenkenntniſs nöthig, um die Geheimniſſe des Herzens zu ahnen; das Zutrauen des Kran- ken, um ſie aus demſelben hervorzulocken. Ga- len entdeckte die Liebe einer römiſchen Dame zu dem Schauſpieler Pylades dadurch, daſs ſie erröthete, als ſein Name zufällig genannt wurde. Eine Frau, ſagt Sauvages*), die ih- ren Mann zärtlich liebte, und das nemliche von ihm glaubte, erfuhr, daſs er ihr untreu ſey, und beſchloſs zu ſterben. Doch kämpfte lange Re- ligion, Abſcheu für Selbſtmord und Liebe zu ihren Kindern wider dieſen Entſchluſs, bis ſie endlich unterlag. Ihr Arzt, der ihr unſtatthafte Dinge aus der Apotheke verſchrieben hatte, wür- de ſie leicht haben retten können, wenn er die Urſache ihrer Krankheit geahndet hätte. Der Dr. Stütz**) kurirte ein wahnſinniges Mäd- chen, bey der alle Arten anderer Mittel umſonſt verſucht waren, endlich auf folgende Art. Er bemerkte nemlich, daſs es auf alle Mannsbilder, den Wärter, Aufſeher u. ſ. w. verliebte Augen warf, und es gern hörte, wenn man vom Heira- then ſprach. Er lieſs alſo einen ordentlichen jun- gen Mann zur Kranken gehen, der ihr wohlge-
*) Noſol. T. III. P. I. p. 232.
**) Med. Annalen, Mai 1802. Correſpondenzblatt S. 77.
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In Rückſicht der Kur kommt es zuvörderſt
darauf an, die Liebe zu entdecken, wenn ſie ver-
heimlicht wird. Dazu hat der Arzt Welt- und
Menſchenkenntniſs nöthig, um die Geheimniſſe
des Herzens zu ahnen; das Zutrauen des Kran-
ken, um ſie aus demſelben hervorzulocken. Ga-
len entdeckte die Liebe einer römiſchen Dame
zu dem Schauſpieler Pylades dadurch, daſs
ſie erröthete, als ſein Name zufällig genannt
wurde. Eine Frau, ſagt Sauvages *), die ih-
ren Mann zärtlich liebte, und das nemliche von
ihm glaubte, erfuhr, daſs er ihr untreu ſey, und
beſchloſs zu ſterben. Doch kämpfte lange Re-
ligion, Abſcheu für Selbſtmord und Liebe zu
ihren Kindern wider dieſen Entſchluſs, bis ſie
endlich unterlag. Ihr Arzt, der ihr unſtatthafte
Dinge aus der Apotheke verſchrieben hatte, wür-
de ſie leicht haben retten können, wenn er die
Urſache ihrer Krankheit geahndet hätte. Der
Dr. Stütz **) kurirte ein wahnſinniges Mäd-
chen, bey der alle Arten anderer Mittel umſonſt
verſucht waren, endlich auf folgende Art. Er
bemerkte nemlich, daſs es auf alle Mannsbilder,
den Wärter, Aufſeher u. ſ. w. verliebte Augen
warf, und es gern hörte, wenn man vom Heira-
then ſprach. Er lieſs alſo einen ordentlichen jun-
gen Mann zur Kranken gehen, der ihr wohlge-
*) Noſol. T. III. P. I. p. 232.
**) Med. Annalen, Mai 1802. Correſpondenzblatt
S. 77.
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/352>, abgerufen am 22.11.2024.
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