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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803.

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fiel. Dieser versprach, sie zu heirathen, wenn
sie ihr ungescheutes Wesen ablegen, und brav
und arbeitsam seyn würde. In dem Augenblick
schien sie sich ihrer halbzerrissenen Kleider zu
schämen, nahm einen gewissen äussern Anstand
an, den sie vorher bey Seite setzte, bat um bes-
sere Kleidungsstücke, versprach zu arbeiten, Me-
dicin zu nehmen. Kurz ein helles Bewusstseyn,
geläutert von allen schiefen Ideen und Vorstel-
lungen, kehrte in ihre Seele zurück, und sie
ward in kurzer Zeit von ihrem Wahnsinn geheilt.
Nach der Genesung schämte sie sich ihres vergan-
genen Zustandes, und fragte nicht nach dem
jungen Manne, der die erste Gelegenheit zu ihrer
Genesung gab, wahrscheinlich weil sie es einsah,
dass jener ganze Vorgang nicht so ernstlich ge-
meint gewesen sey.

Die Wege zur Heilung sind verschieden.
Man sucht den Kranken zu zerstreuen, ihn von
dem Gegenstand seiner Liebe zu entfernen. Man
deckt ihm die Mängel desselben auf;


Fxige, quod cantet, si qua est sine voce puella,
Non didicit chordas tangere, posce lyram.
Turgida, si plena est, si fusca est, nigra vocetur,
Et potuit dici rustica, si qua proba est.

Ovidius.

Am schnellsten hilft man gewöhnlich dadurch,
dass man die Wünsche des Kranken befriedigt.
Die Ehefrau eines Mannes verliebte sich in einen
jungen Menschen, und wurde verrückt, als der-

fiel. Dieſer verſprach, ſie zu heirathen, wenn
ſie ihr ungeſcheutes Weſen ablegen, und brav
und arbeitſam ſeyn würde. In dem Augenblick
ſchien ſie ſich ihrer halbzerriſſenen Kleider zu
ſchämen, nahm einen gewiſſen äuſsern Anſtand
an, den ſie vorher bey Seite ſetzte, bat um beſ-
ſere Kleidungsſtücke, verſprach zu arbeiten, Me-
dicin zu nehmen. Kurz ein helles Bewuſstſeyn,
geläutert von allen ſchiefen Ideen und Vorſtel-
lungen, kehrte in ihre Seele zurück, und ſie
ward in kurzer Zeit von ihrem Wahnſinn geheilt.
Nach der Geneſung ſchämte ſie ſich ihres vergan-
genen Zuſtandes, und fragte nicht nach dem
jungen Manne, der die erſte Gelegenheit zu ihrer
Geneſung gab, wahrſcheinlich weil ſie es einſah,
daſs jener ganze Vorgang nicht ſo ernſtlich ge-
meint geweſen ſey.

Die Wege zur Heilung ſind verſchieden.
Man ſucht den Kranken zu zerſtreuen, ihn von
dem Gegenſtand ſeiner Liebe zu entfernen. Man
deckt ihm die Mängel deſſelben auf;


Fxige, quod cantet, ſi qua eſt ſine voce puella,
Non didicit chordas tangere, poſce lyram.
Turgida, ſi plena eſt, ſi fusca eſt, nigra vocetur,
Et potuit dici ruſtica, ſi qua proba eſt.

Ovidius.

Am ſchnellſten hilft man gewöhnlich dadurch,
daſs man die Wünſche des Kranken befriedigt.
Die Ehefrau eines Mannes verliebte ſich in einen
jungen Menſchen, und wurde verrückt, als der-

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[348/0353] fiel. Dieſer verſprach, ſie zu heirathen, wenn ſie ihr ungeſcheutes Weſen ablegen, und brav und arbeitſam ſeyn würde. In dem Augenblick ſchien ſie ſich ihrer halbzerriſſenen Kleider zu ſchämen, nahm einen gewiſſen äuſsern Anſtand an, den ſie vorher bey Seite ſetzte, bat um beſ- ſere Kleidungsſtücke, verſprach zu arbeiten, Me- dicin zu nehmen. Kurz ein helles Bewuſstſeyn, geläutert von allen ſchiefen Ideen und Vorſtel- lungen, kehrte in ihre Seele zurück, und ſie ward in kurzer Zeit von ihrem Wahnſinn geheilt. Nach der Geneſung ſchämte ſie ſich ihres vergan- genen Zuſtandes, und fragte nicht nach dem jungen Manne, der die erſte Gelegenheit zu ihrer Geneſung gab, wahrſcheinlich weil ſie es einſah, daſs jener ganze Vorgang nicht ſo ernſtlich ge- meint geweſen ſey. Die Wege zur Heilung ſind verſchieden. Man ſucht den Kranken zu zerſtreuen, ihn von dem Gegenſtand ſeiner Liebe zu entfernen. Man deckt ihm die Mängel deſſelben auf; Fxige, quod cantet, ſi qua eſt ſine voce puella, Non didicit chordas tangere, poſce lyram. Turgida, ſi plena eſt, ſi fusca eſt, nigra vocetur, Et potuit dici ruſtica, ſi qua proba eſt. Ovidius. Am ſchnellſten hilft man gewöhnlich dadurch, daſs man die Wünſche des Kranken befriedigt. Die Ehefrau eines Mannes verliebte ſich in einen jungen Menſchen, und wurde verrückt, als der-

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Zitationshilfe: Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/353>, abgerufen am 22.11.2024.