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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803.

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als ein hitziges Fieber oder als eine schwere Ner-
venkrankheit vorzustellen. Ihr wahres Bild wür-
de ihn mit Schauder und namenloser Traurigkeit
erfüllen. Besonders verwahre man ihn, dass er
nicht solche Epochen seiner Krankheit erfahre,
die nach seinem Dafürhalten seine politische Exi-
stenz zernichten *). Schon der Gedanke im Toll-
hause gewesen zu seyn, ist dem besonnenen Manne
schrecklich! Doch ist ohne Tollhaus die Heilung
schwierig, unmöglich. Wie soll diese Kollision
vermittelt werden? Ein wahnsinniger Musikus

*) Welche schauderhafte Folgen die Erinnerung,
im Tollhause gewesen zu seyn, haben könne,
mag folgende Geschichte lehren. Ein junger
Theologe wurde durch das eifrige Studium der
Apocalypse toll. Er genas. Man nahm ihn
aus dem Tollhause weg, gab ihn in eine Pri-
vatpension, und verheimlichte ihm sorgfältig
seine Krankheit und seinen ehemaligen Aufent-
haltsort. Als er wenigstens dem Schein nach
vollkommen genesen war, kam der Vater vom
Lande herein, das Genesungsfest seines Sohnes
zu feiern. Nach Tische wurde ein Spatzier-
gang vorgeschlagen in eine Allee, die vom
Tollhause sichtbar war. Auf einmal blieb der
Reconvalescent tiefsinnig stehn. Mein Gott, rief
er aus, die Gegend ist mir so bekannt, alles
umher mir so vertraut, so frisch und so leben-
dig in meiner Seele. Diesen Baum da habe ich
oft Tage lang beobachtet. Er war meine Uhr.
Stund er im Volllichte und warf er seinen ein-
geschrumpften Schatten quer durch die Allee,
so war es Zeit zum Mittagsessen. Streckte er

als ein hitziges Fieber oder als eine ſchwere Ner-
venkrankheit vorzuſtellen. Ihr wahres Bild wür-
de ihn mit Schauder und namenloſer Traurigkeit
erfüllen. Beſonders verwahre man ihn, daſs er
nicht ſolche Epochen ſeiner Krankheit erfahre,
die nach ſeinem Dafürhalten ſeine politiſche Exi-
ſtenz zernichten *). Schon der Gedanke im Toll-
hauſe geweſen zu ſeyn, iſt dem beſonnenen Manne
ſchrecklich! Doch iſt ohne Tollhaus die Heilung
ſchwierig, unmöglich. Wie ſoll dieſe Kolliſion
vermittelt werden? Ein wahnſinniger Muſikus

*) Welche ſchauderhafte Folgen die Erinnerung,
im Tollhauſe geweſen zu ſeyn, haben könne,
mag folgende Geſchichte lehren. Ein junger
Theologe wurde durch das eifrige Studium der
Apocalypſe toll. Er genas. Man nahm ihn
aus dem Tollhauſe weg, gab ihn in eine Pri-
vatpenſion, und verheimlichte ihm ſorgfältig
ſeine Krankheit und ſeinen ehemaligen Aufent-
haltsort. Als er wenigſtens dem Schein nach
vollkommen geneſen war, kam der Vater vom
Lande herein, das Geneſungsfeſt ſeines Sohnes
zu feiern. Nach Tiſche wurde ein Spatzier-
gang vorgeſchlagen in eine Allee, die vom
Tollhauſe ſichtbar war. Auf einmal blieb der
Reconvaleſcent tiefſinnig ſtehn. Mein Gott, rief
er aus, die Gegend iſt mir ſo bekannt, alles
umher mir ſo vertraut, ſo friſch und ſo leben-
dig in meiner Seele. Dieſen Baum da habe ich
oft Tage lang beobachtet. Er war meine Uhr.
Stund er im Volllichte und warf er ſeinen ein-
geſchrumpften Schatten quer durch die Allee,
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[447/0452] als ein hitziges Fieber oder als eine ſchwere Ner- venkrankheit vorzuſtellen. Ihr wahres Bild wür- de ihn mit Schauder und namenloſer Traurigkeit erfüllen. Beſonders verwahre man ihn, daſs er nicht ſolche Epochen ſeiner Krankheit erfahre, die nach ſeinem Dafürhalten ſeine politiſche Exi- ſtenz zernichten *). Schon der Gedanke im Toll- hauſe geweſen zu ſeyn, iſt dem beſonnenen Manne ſchrecklich! Doch iſt ohne Tollhaus die Heilung ſchwierig, unmöglich. Wie ſoll dieſe Kolliſion vermittelt werden? Ein wahnſinniger Muſikus *) Welche ſchauderhafte Folgen die Erinnerung, im Tollhauſe geweſen zu ſeyn, haben könne, mag folgende Geſchichte lehren. Ein junger Theologe wurde durch das eifrige Studium der Apocalypſe toll. Er genas. Man nahm ihn aus dem Tollhauſe weg, gab ihn in eine Pri- vatpenſion, und verheimlichte ihm ſorgfältig ſeine Krankheit und ſeinen ehemaligen Aufent- haltsort. Als er wenigſtens dem Schein nach vollkommen geneſen war, kam der Vater vom Lande herein, das Geneſungsfeſt ſeines Sohnes zu feiern. Nach Tiſche wurde ein Spatzier- gang vorgeſchlagen in eine Allee, die vom Tollhauſe ſichtbar war. Auf einmal blieb der Reconvaleſcent tiefſinnig ſtehn. Mein Gott, rief er aus, die Gegend iſt mir ſo bekannt, alles umher mir ſo vertraut, ſo friſch und ſo leben- dig in meiner Seele. Dieſen Baum da habe ich oft Tage lang beobachtet. Er war meine Uhr. Stund er im Volllichte und warf er ſeinen ein- geſchrumpften Schatten quer durch die Allee, ſo war es Zeit zum Mittagseſſen. Streckte er

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Zitationshilfe: Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 447. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/452>, abgerufen am 22.11.2024.