Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803.war auf dem Wege der Genesung, er spielte seine Mona- ihn gigantisch über das Feld hin, zuckte das
Sonnenlicht nur noch schwach auf seinem Wipfel, so war dies die Stunde zum Abend- brodt. Sagen Sie doch, lieber Doktor! fuhr er fort, wo war ich, als ich diese Gegend hier zur Aussicht hatte? Die Gesellschaft suchte ihn abzuleiten, aber umsonst. Laut lachend wies er mit dem Stock gerade auf das Zimmer des Tollhauses hin, wo er zwey Monathe gesessen hatte. Ist dies da drüben nicht die Jammer- klause, sagte er, wo ihr mich armen Schächer so lange gefangen hieltet? Doch die Zeit ist vorüber; desto schöner lacht die Zukunft. Ich habe da drüben doch auch manche selige Stun- de genossen. Wenn ich des Morgens zum Fen- ster hinausblickte und die Lerche hörte, wenn ich Berg und Thal und Stadt und Feld im Schimmer der Morgenröthe und die Sonne dort hinter dem Rebenberg heraufzittern sah, und an die Millionen dachte, denen sie leuchtete! O, da war ich mitten in meinem Jammer glück- lich. Ich dächte, Vater! sagte er, wir be- suchten auf ein halbes Stündchen das Zimmer, wo sein Franz solang in schauernder Einsam- keit sass. Alles Widerstreben war umsonst; das Zimmer wurde geöffnet. Franz weinte, wie ein Kind, als er hineintrat. Ach mein Gott, rief er aus, da steht noch alles an dem nemlichen Orte. Hier die Bettlade; dort das hölzerne Tischgen und der Armen-Sünder- stuhl; das Christusbild hier an der Wand, dort die war auf dem Wege der Geneſung, er ſpielte ſeine Mona- ihn gigantiſch über das Feld hin, zuckte das
Sonnenlicht nur noch ſchwach auf ſeinem Wipfel, ſo war dies die Stunde zum Abend- brodt. Sagen Sie doch, lieber Doktor! fuhr er fort, wo war ich, als ich dieſe Gegend hier zur Ausſicht hatte? Die Geſellſchaft ſuchte ihn abzuleiten, aber umſonſt. Laut lachend wies er mit dem Stock gerade auf das Zimmer des Tollhauſes hin, wo er zwey Monathe geſeſſen hatte. Iſt dies da drüben nicht die Jammer- klauſe, ſagte er, wo ihr mich armen Schächer ſo lange gefangen hieltet? Doch die Zeit iſt vorüber; deſto ſchöner lacht die Zukunft. Ich habe da drüben doch auch manche ſelige Stun- de genoſſen. Wenn ich des Morgens zum Fen- ſter hinausblickte und die Lerche hörte, wenn ich Berg und Thal und Stadt und Feld im Schimmer der Morgenröthe und die Sonne dort hinter dem Rebenberg heraufzittern ſah, und an die Millionen dachte, denen ſie leuchtete! O, da war ich mitten in meinem Jammer glück- lich. Ich dächte, Vater! ſagte er, wir be- ſuchten auf ein halbes Stündchen das Zimmer, wo ſein Franz ſolang in ſchauernder Einſam- keit ſaſs. Alles Widerſtreben war umſonſt; das Zimmer wurde geöffnet. Franz weinte, wie ein Kind, als er hineintrat. Ach mein Gott, rief er aus, da ſteht noch alles an dem nemlichen Orte. Hier die Bettlade; dort das hölzerne Tiſchgen und der Armen-Sünder- ſtuhl; das Chriſtusbild hier an der Wand, dort die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0453" n="448"/> war auf dem Wege der Geneſung, er ſpielte ſeine<lb/> Geige wieder und trieb dieſe Lieblingsübung acht<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Mona-</fw><lb/><note next="#seg2pn_11_3" xml:id="seg2pn_11_2" prev="#seg2pn_11_1" place="foot" n="*)">ihn gigantiſch über das Feld hin, zuckte das<lb/> Sonnenlicht nur noch ſchwach auf ſeinem<lb/> Wipfel, ſo war dies die Stunde zum Abend-<lb/> brodt. Sagen Sie doch, lieber Doktor! fuhr er<lb/> fort, wo war ich, als ich dieſe Gegend hier<lb/> zur Ausſicht hatte? Die Geſellſchaft ſuchte ihn<lb/> abzuleiten, aber umſonſt. Laut lachend wies<lb/> er mit dem Stock gerade auf das Zimmer des<lb/> Tollhauſes hin, wo er zwey Monathe geſeſſen<lb/> hatte. Iſt dies da drüben nicht die Jammer-<lb/> klauſe, ſagte er, wo ihr mich armen Schächer<lb/> ſo lange gefangen hieltet? Doch die Zeit iſt<lb/> vorüber; deſto ſchöner lacht die Zukunft. Ich<lb/> habe da drüben doch auch manche ſelige Stun-<lb/> de genoſſen. Wenn ich des Morgens zum Fen-<lb/> ſter hinausblickte und die Lerche hörte, wenn<lb/> ich Berg und Thal und Stadt und Feld im<lb/> Schimmer der Morgenröthe und die Sonne dort<lb/> hinter dem Rebenberg heraufzittern ſah, und<lb/> an die Millionen dachte, denen ſie leuchtete! O,<lb/> da war ich mitten in meinem Jammer glück-<lb/> lich. Ich dächte, Vater! ſagte er, wir be-<lb/> ſuchten auf ein halbes Stündchen das Zimmer,<lb/> wo ſein <hi rendition="#g">Franz</hi> ſolang in ſchauernder Einſam-<lb/> keit ſaſs. Alles Widerſtreben war umſonſt;<lb/> das Zimmer wurde geöffnet. <hi rendition="#g">Franz</hi> weinte,<lb/> wie ein Kind, als er hineintrat. Ach mein<lb/> Gott, rief er aus, da ſteht noch alles an dem<lb/> nemlichen Orte. Hier die Bettlade; dort das<lb/> hölzerne Tiſchgen und der Armen-Sünder-<lb/> ſtuhl; das Chriſtusbild hier an der Wand, dort<lb/> <fw place="bottom" type="catch">die</fw></note><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [448/0453]
war auf dem Wege der Geneſung, er ſpielte ſeine
Geige wieder und trieb dieſe Lieblingsübung acht
Mona-
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*) ihn gigantiſch über das Feld hin, zuckte das
Sonnenlicht nur noch ſchwach auf ſeinem
Wipfel, ſo war dies die Stunde zum Abend-
brodt. Sagen Sie doch, lieber Doktor! fuhr er
fort, wo war ich, als ich dieſe Gegend hier
zur Ausſicht hatte? Die Geſellſchaft ſuchte ihn
abzuleiten, aber umſonſt. Laut lachend wies
er mit dem Stock gerade auf das Zimmer des
Tollhauſes hin, wo er zwey Monathe geſeſſen
hatte. Iſt dies da drüben nicht die Jammer-
klauſe, ſagte er, wo ihr mich armen Schächer
ſo lange gefangen hieltet? Doch die Zeit iſt
vorüber; deſto ſchöner lacht die Zukunft. Ich
habe da drüben doch auch manche ſelige Stun-
de genoſſen. Wenn ich des Morgens zum Fen-
ſter hinausblickte und die Lerche hörte, wenn
ich Berg und Thal und Stadt und Feld im
Schimmer der Morgenröthe und die Sonne dort
hinter dem Rebenberg heraufzittern ſah, und
an die Millionen dachte, denen ſie leuchtete! O,
da war ich mitten in meinem Jammer glück-
lich. Ich dächte, Vater! ſagte er, wir be-
ſuchten auf ein halbes Stündchen das Zimmer,
wo ſein Franz ſolang in ſchauernder Einſam-
keit ſaſs. Alles Widerſtreben war umſonſt;
das Zimmer wurde geöffnet. Franz weinte,
wie ein Kind, als er hineintrat. Ach mein
Gott, rief er aus, da ſteht noch alles an dem
nemlichen Orte. Hier die Bettlade; dort das
hölzerne Tiſchgen und der Armen-Sünder-
ſtuhl; das Chriſtusbild hier an der Wand, dort
die
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