2. Periode. Von der Gründung der Hauptstadt Kioto etc.
Benkei*), der Riese Goliath der Japaner, war ein sehr ge- wandter und verschlagener Charakter. Ursprünglich gefürchteter Räuber und Mörder, wurde er später der bis zum Tode treu ergebene Diener des Minamoto Yoshitsune, den er auf seinen Siegesfahrten, wie auf der Flucht vor Yoritomo stets begleitete. Auf einer Brücke zu Kioto, wo er früher die Passanten zu berauben und zu morden pflegte, traf ihn einst Yoshitsune, der einzige, der ihm gewachsen war. Im Kampfe, welcher sich bei dieser Gelegenheit entspann, lernte er die imponierende Kraft und Gewandtheit seines Gegners kennen, unterwarf sich ihm und folgte ihm für immer.
Viele Sagen von Benkei-san's Kraft und Verschlagenheit cursieren im Volke, auf den bemalten Drachen ist er eine Lieblingsfigur. Als er mit Yoshitsune auf der Flucht den Hakonepass überschritt, hatten sich beide als wandernde buddhistische Priester von der Secte der Yamabushi verkleidet. Der Genji-Soldat, welcher die Wache hatte, redete sie an, worauf Benkei, auf dessen Unkenntniss des Lesens speculierend, mit grosser Würde eine Rolle unbeschriebenen Papieres hervorzog, und, nachdem er sie ehrerbietig an die Stirn gedrückt hatte **), in der gewähltesten und frommsten Sprache den Inhalt eines Briefes improvisierte, den der Oberpriester des Hokoji-Tempels in Kioto geschrieben und womit er sie autorisiert haben sollte, Geld- beiträge für den Guss einer grossen Glocke zu sammeln. Beim ersten Nennen des Namens jenes im ganzen Lande berühmten und hoch- verehrten Priesters sei die Schildwache, heisst es, ehrerbietig auf die Knie gesunken und habe mit zur Erde gebeugtem Gesicht und ehr- furchtsvoller Scheu den Inhalt des Briefes angehört. Um weiter allen Verdacht zu beseitigen, bat Benkei den Posten um Entschuldigung wegen des unpassenden Benehmens seines Burschen, welcher unter- dess stehen geblieben war, indem er hervorhob, dass derselbe noch ein grober Klotz sei, der eben erst aus dem Reisfelde komme. Dann gab er dem Burschen einen Stoss und sagte ihm, er solle schnell auf seine Markknochen fallen und sich nicht wieder unterfangen, stehen
*) oder Benkei-san (sprich Benke-san) wie er im Volksmunde mit dem Affix für Herr gewöhnlich genannt wird.
**) Diese Art, das Schreiben eines Fürsten oder eines in hoher Verehrung stehenden Oberpriesters zu ehren, scheint bei den Orientalen weit verbreitet zu sein, vom Stillen- bis zum Atlantischen Ocean. Auf unserer marokkanischen Reise im Jahre 1872 hatten wir, mein Freund Professor von Fritsch in Halle und ich, mehrmals Gelegenheit, Aehnliches wahrzunehmen. So drückte der Kaid von Mogador einen vom Sultan zu unseren Gunsten verfassten und versiegelten Brief nach dem Oeffnen an die Stirn und küsste das Siegel, bevor er las.
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2. Periode. Von der Gründung der Hauptstadt Kiôto etc.
Benkei*), der Riese Goliath der Japaner, war ein sehr ge- wandter und verschlagener Charakter. Ursprünglich gefürchteter Räuber und Mörder, wurde er später der bis zum Tode treu ergebene Diener des Minamoto Yoshitsune, den er auf seinen Siegesfahrten, wie auf der Flucht vor Yoritomo stets begleitete. Auf einer Brücke zu Kiôto, wo er früher die Passanten zu berauben und zu morden pflegte, traf ihn einst Yoshitsune, der einzige, der ihm gewachsen war. Im Kampfe, welcher sich bei dieser Gelegenheit entspann, lernte er die imponierende Kraft und Gewandtheit seines Gegners kennen, unterwarf sich ihm und folgte ihm für immer.
Viele Sagen von Benkei-san’s Kraft und Verschlagenheit cursieren im Volke, auf den bemalten Drachen ist er eine Lieblingsfigur. Als er mit Yoshitsune auf der Flucht den Hakonepass überschritt, hatten sich beide als wandernde buddhistische Priester von der Secte der Yamabushi verkleidet. Der Genji-Soldat, welcher die Wache hatte, redete sie an, worauf Benkei, auf dessen Unkenntniss des Lesens speculierend, mit grosser Würde eine Rolle unbeschriebenen Papieres hervorzog, und, nachdem er sie ehrerbietig an die Stirn gedrückt hatte **), in der gewähltesten und frommsten Sprache den Inhalt eines Briefes improvisierte, den der Oberpriester des Hokoji-Tempels in Kiôto geschrieben und womit er sie autorisiert haben sollte, Geld- beiträge für den Guss einer grossen Glocke zu sammeln. Beim ersten Nennen des Namens jenes im ganzen Lande berühmten und hoch- verehrten Priesters sei die Schildwache, heisst es, ehrerbietig auf die Knie gesunken und habe mit zur Erde gebeugtem Gesicht und ehr- furchtsvoller Scheu den Inhalt des Briefes angehört. Um weiter allen Verdacht zu beseitigen, bat Benkei den Posten um Entschuldigung wegen des unpassenden Benehmens seines Burschen, welcher unter- dess stehen geblieben war, indem er hervorhob, dass derselbe noch ein grober Klotz sei, der eben erst aus dem Reisfelde komme. Dann gab er dem Burschen einen Stoss und sagte ihm, er solle schnell auf seine Markknochen fallen und sich nicht wieder unterfangen, stehen
*) oder Benkei-san (sprich Bénke-san) wie er im Volksmunde mit dem Affix für Herr gewöhnlich genannt wird.
**) Diese Art, das Schreiben eines Fürsten oder eines in hoher Verehrung stehenden Oberpriesters zu ehren, scheint bei den Orientalen weit verbreitet zu sein, vom Stillen- bis zum Atlantischen Ocean. Auf unserer marokkanischen Reise im Jahre 1872 hatten wir, mein Freund Professor von Fritsch in Halle und ich, mehrmals Gelegenheit, Aehnliches wahrzunehmen. So drückte der Kaid von Mogador einen vom Sultan zu unseren Gunsten verfassten und versiegelten Brief nach dem Oeffnen an die Stirn und küsste das Siegel, bevor er las.
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2. Periode. Von der Gründung der Hauptstadt Kiôto etc.
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wandter und verschlagener Charakter. Ursprünglich gefürchteter
Räuber und Mörder, wurde er später der bis zum Tode treu ergebene
Diener des Minamoto Yoshitsune, den er auf seinen Siegesfahrten,
wie auf der Flucht vor Yoritomo stets begleitete. Auf einer Brücke
zu Kiôto, wo er früher die Passanten zu berauben und zu morden
pflegte, traf ihn einst Yoshitsune, der einzige, der ihm gewachsen
war. Im Kampfe, welcher sich bei dieser Gelegenheit entspann,
lernte er die imponierende Kraft und Gewandtheit seines Gegners
kennen, unterwarf sich ihm und folgte ihm für immer.
Viele Sagen von Benkei-san’s Kraft und Verschlagenheit cursieren
im Volke, auf den bemalten Drachen ist er eine Lieblingsfigur. Als
er mit Yoshitsune auf der Flucht den Hakonepass überschritt, hatten
sich beide als wandernde buddhistische Priester von der Secte der
Yamabushi verkleidet. Der Genji-Soldat, welcher die Wache hatte,
redete sie an, worauf Benkei, auf dessen Unkenntniss des Lesens
speculierend, mit grosser Würde eine Rolle unbeschriebenen Papieres
hervorzog, und, nachdem er sie ehrerbietig an die Stirn gedrückt
hatte **), in der gewähltesten und frommsten Sprache den Inhalt
eines Briefes improvisierte, den der Oberpriester des Hokoji-Tempels
in Kiôto geschrieben und womit er sie autorisiert haben sollte, Geld-
beiträge für den Guss einer grossen Glocke zu sammeln. Beim ersten
Nennen des Namens jenes im ganzen Lande berühmten und hoch-
verehrten Priesters sei die Schildwache, heisst es, ehrerbietig auf die
Knie gesunken und habe mit zur Erde gebeugtem Gesicht und ehr-
furchtsvoller Scheu den Inhalt des Briefes angehört. Um weiter allen
Verdacht zu beseitigen, bat Benkei den Posten um Entschuldigung
wegen des unpassenden Benehmens seines Burschen, welcher unter-
dess stehen geblieben war, indem er hervorhob, dass derselbe noch
ein grober Klotz sei, der eben erst aus dem Reisfelde komme. Dann
gab er dem Burschen einen Stoss und sagte ihm, er solle schnell auf
seine Markknochen fallen und sich nicht wieder unterfangen, stehen
*) oder Benkei-san (sprich Bénke-san) wie er im Volksmunde mit dem
Affix für Herr gewöhnlich genannt wird.
**) Diese Art, das Schreiben eines Fürsten oder eines in hoher Verehrung
stehenden Oberpriesters zu ehren, scheint bei den Orientalen weit verbreitet zu
sein, vom Stillen- bis zum Atlantischen Ocean. Auf unserer marokkanischen
Reise im Jahre 1872 hatten wir, mein Freund Professor von Fritsch in Halle
und ich, mehrmals Gelegenheit, Aehnliches wahrzunehmen. So drückte der Kaid
von Mogador einen vom Sultan zu unseren Gunsten verfassten und versiegelten
Brief nach dem Oeffnen an die Stirn und küsste das Siegel, bevor er las.
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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/301>, abgerufen am 22.11.2024.
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