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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881.

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6. Periode. Das Shogunat der Tokugawa etc.
schiede, dass hier um das Oshiro erst die Yashiki der Daimio folgten
und mit ihren Parkanlagen und Nebengebäuden für die Baishin oft
grosse Strecken einnahmen.

Die Samurai (chinesisch Shi oder Bushi) im gewöhnlichen, enge-
ren Sinne des Wortes bildeten die privilegierte Militärklasse des Sho-
gun und der Daimio *). Es waren Vasallen (Hörige) derselben mit
erblichen Einkünften unter 10 000 Koku. Nur ein kleiner Theil hatte
Grundbesitz; die meisten lebten gewissermassen von ihrer Herren
Tische, erhielten aus deren Magazinen für sehr geringe Leistungen
ihre regelmässigen Reisbezüge für kleine Familien von 3 -- 5 Per-
sonen und waren in ihrem Wohl und Wehe ganz abhängig vom Schick-
sal ihrer Herren. Die bei uns oft angewandte Bezeichnung "niederer
Adel" für diese Samuraiklasse ist nicht geeignet, von ihrer Stellung
und Bedeutung eine rechte Vorstellung zu geben. Ausser in ihrem
Stolze gibt es kaum noch Verwandtes zwischen ihnen und unserem
kleinen Adel, wenn auch der Ausgangspunkt des letzteren so ziem-
lich derselbe ist. Bezeichnender dürfte ein Vergleich der Samurai
mit den ehemaligen Strelitzen Russlands sein. Nicht sowohl durch
ihre individuelle Stellung und Bedeutung, als vielmehr in Folge der
durch ihre Gesammtheit von etwa 400 000 Haushaltungen repräsen-
tierten Macht und Intelligenz bildeten sie bis in die neueste Zeit die
einflussreichste, tonangebende Classe der japanischen Gesellschaft.
Sie waren nicht blos die berechtigten Träger scharfer Schwerter,
sondern auch der Nationalehre und der eigenthümlichen Formen, in
welchen sich das japanische Ehrgefühl äusserte; auch gingen alle
politischen Umwälzungen, einschliesslich der letzten epochemachenden,
welche den Zusammenbruch des Feudalismus bewirkten, von ihnen
aus. Die grosse Menge derselben bestand, wie Adams mit Recht
hervorhebt, aus sorglosen, trägen Burschen, die keinen andern Ge-
horsam kannten als den gegen ihren Herrn, für den sie jeden Augen-
blick bereit waren, ihr Leben zu lassen, sowohl auf dem Schlacht-
felde, als in Vertheidigung desselben gegen Mörder oder auch durch
freiwilligen oder befohlenen Selbstmord, wenn die Ehre und das Fa-
milieninteresse es erheischte. Des Samurai Begriffe von Ehre ver-
boten ihm jede Beschäftigung, die mit Gelderwerb verbunden war,
und bewirkten, dass er mit Verachtung auf den Gewerbe- und be-
sonders den Kaufmannstand herabsah; doch durfte er das Feld be-
bauen **). Die Pflichten dieses Gros der Samuraiklasse bestanden

*) Die Priester wurden ihr ebenfalls zugezählt.
**) Dies geschah jedoch nur in wenigen Herrschaften, wie in Satsuma und
Tosa. Man darf annehmen, dass ein Theil der grösseren physischen Kraft,

6. Periode. Das Shôgunat der Tokugawa etc.
schiede, dass hier um das Oshiro erst die Yashiki der Daimio folgten
und mit ihren Parkanlagen und Nebengebäuden für die Baishin oft
grosse Strecken einnahmen.

Die Samurai (chinesisch Shi oder Bushi) im gewöhnlichen, enge-
ren Sinne des Wortes bildeten die privilegierte Militärklasse des Shô-
gun und der Daimio *). Es waren Vasallen (Hörige) derselben mit
erblichen Einkünften unter 10 000 Koku. Nur ein kleiner Theil hatte
Grundbesitz; die meisten lebten gewissermassen von ihrer Herren
Tische, erhielten aus deren Magazinen für sehr geringe Leistungen
ihre regelmässigen Reisbezüge für kleine Familien von 3 — 5 Per-
sonen und waren in ihrem Wohl und Wehe ganz abhängig vom Schick-
sal ihrer Herren. Die bei uns oft angewandte Bezeichnung »niederer
Adel« für diese Samuraiklasse ist nicht geeignet, von ihrer Stellung
und Bedeutung eine rechte Vorstellung zu geben. Ausser in ihrem
Stolze gibt es kaum noch Verwandtes zwischen ihnen und unserem
kleinen Adel, wenn auch der Ausgangspunkt des letzteren so ziem-
lich derselbe ist. Bezeichnender dürfte ein Vergleich der Samurai
mit den ehemaligen Strelitzen Russlands sein. Nicht sowohl durch
ihre individuelle Stellung und Bedeutung, als vielmehr in Folge der
durch ihre Gesammtheit von etwa 400 000 Haushaltungen repräsen-
tierten Macht und Intelligenz bildeten sie bis in die neueste Zeit die
einflussreichste, tonangebende Classe der japanischen Gesellschaft.
Sie waren nicht blos die berechtigten Träger scharfer Schwerter,
sondern auch der Nationalehre und der eigenthümlichen Formen, in
welchen sich das japanische Ehrgefühl äusserte; auch gingen alle
politischen Umwälzungen, einschliesslich der letzten epochemachenden,
welche den Zusammenbruch des Feudalismus bewirkten, von ihnen
aus. Die grosse Menge derselben bestand, wie Adams mit Recht
hervorhebt, aus sorglosen, trägen Burschen, die keinen andern Ge-
horsam kannten als den gegen ihren Herrn, für den sie jeden Augen-
blick bereit waren, ihr Leben zu lassen, sowohl auf dem Schlacht-
felde, als in Vertheidigung desselben gegen Mörder oder auch durch
freiwilligen oder befohlenen Selbstmord, wenn die Ehre und das Fa-
milieninteresse es erheischte. Des Samurai Begriffe von Ehre ver-
boten ihm jede Beschäftigung, die mit Gelderwerb verbunden war,
und bewirkten, dass er mit Verachtung auf den Gewerbe- und be-
sonders den Kaufmannstand herabsah; doch durfte er das Feld be-
bauen **). Die Pflichten dieses Gros der Samuraiklasse bestanden

*) Die Priester wurden ihr ebenfalls zugezählt.
**) Dies geschah jedoch nur in wenigen Herrschaften, wie in Satsuma und
Tosa. Man darf annehmen, dass ein Theil der grösseren physischen Kraft,
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[375/0403] 6. Periode. Das Shôgunat der Tokugawa etc. schiede, dass hier um das Oshiro erst die Yashiki der Daimio folgten und mit ihren Parkanlagen und Nebengebäuden für die Baishin oft grosse Strecken einnahmen. Die Samurai (chinesisch Shi oder Bushi) im gewöhnlichen, enge- ren Sinne des Wortes bildeten die privilegierte Militärklasse des Shô- gun und der Daimio *). Es waren Vasallen (Hörige) derselben mit erblichen Einkünften unter 10 000 Koku. Nur ein kleiner Theil hatte Grundbesitz; die meisten lebten gewissermassen von ihrer Herren Tische, erhielten aus deren Magazinen für sehr geringe Leistungen ihre regelmässigen Reisbezüge für kleine Familien von 3 — 5 Per- sonen und waren in ihrem Wohl und Wehe ganz abhängig vom Schick- sal ihrer Herren. Die bei uns oft angewandte Bezeichnung »niederer Adel« für diese Samuraiklasse ist nicht geeignet, von ihrer Stellung und Bedeutung eine rechte Vorstellung zu geben. Ausser in ihrem Stolze gibt es kaum noch Verwandtes zwischen ihnen und unserem kleinen Adel, wenn auch der Ausgangspunkt des letzteren so ziem- lich derselbe ist. Bezeichnender dürfte ein Vergleich der Samurai mit den ehemaligen Strelitzen Russlands sein. Nicht sowohl durch ihre individuelle Stellung und Bedeutung, als vielmehr in Folge der durch ihre Gesammtheit von etwa 400 000 Haushaltungen repräsen- tierten Macht und Intelligenz bildeten sie bis in die neueste Zeit die einflussreichste, tonangebende Classe der japanischen Gesellschaft. Sie waren nicht blos die berechtigten Träger scharfer Schwerter, sondern auch der Nationalehre und der eigenthümlichen Formen, in welchen sich das japanische Ehrgefühl äusserte; auch gingen alle politischen Umwälzungen, einschliesslich der letzten epochemachenden, welche den Zusammenbruch des Feudalismus bewirkten, von ihnen aus. Die grosse Menge derselben bestand, wie Adams mit Recht hervorhebt, aus sorglosen, trägen Burschen, die keinen andern Ge- horsam kannten als den gegen ihren Herrn, für den sie jeden Augen- blick bereit waren, ihr Leben zu lassen, sowohl auf dem Schlacht- felde, als in Vertheidigung desselben gegen Mörder oder auch durch freiwilligen oder befohlenen Selbstmord, wenn die Ehre und das Fa- milieninteresse es erheischte. Des Samurai Begriffe von Ehre ver- boten ihm jede Beschäftigung, die mit Gelderwerb verbunden war, und bewirkten, dass er mit Verachtung auf den Gewerbe- und be- sonders den Kaufmannstand herabsah; doch durfte er das Feld be- bauen **). Die Pflichten dieses Gros der Samuraiklasse bestanden *) Die Priester wurden ihr ebenfalls zugezählt. **) Dies geschah jedoch nur in wenigen Herrschaften, wie in Satsuma und Tosa. Man darf annehmen, dass ein Theil der grösseren physischen Kraft,

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/403>, abgerufen am 22.11.2024.