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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881.

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6. Periode. Das Shogunat der Tokugawa etc.
familien, wovon weitaus die meisten in Yedo und Sumpu (Shidzuoka)
lebten. Eine zweite Classe von Samurai des Shogun bildeten die
Gokenin. Es waren die gemeinen Soldaten der Shogun-Armee und
niederen Beamten der Verwaltung. Sie hatten bis 500 Koku Reve-
nüen, durften in Yedo und auf der Landstrasse nicht reiten und muss-
ten sich in allen Stücken den Hatamoto gegenüber, welche vielfach
ihre Herren und Vorgesetzten waren, eines höflichen und entgegen-
kommenden Benehmens befleissigen.

Alle Vasallen der Daimio führten den Namen Kerai oder Bai-
shin
, d. h. doppelte Vasallen oder Diener der Diener. Sie kannten
blos die Interessen ihrer eigenen Feudalherrn und blickten mit Stolz
herab auf andere Samurai, wenn ihre Herren alten Familien ange-
hörten und grosse Besitzungen unter sich hatten. So dünkte sich der
Kerai des Daimio von 100 000 Koku mehr als der eines Lehnsherrn
von nur 10 000 Koku. Kamen sie aber nach Yedo, so galt allen
gegenüber das 40. Gesetz des Gongen-sama, welches anordnete, dass
Baishin den unmittelbaren Vasallen des Shogun gegenüber, ob es
nun Hatamoto oder Gokenin, und unbekümmert ob ihre Einkünfte
verhältnissmässig hoch oder niedrig waren, dieselbe Höflichkeit
zu beachten hatten, die sie ihren eigenen Fürsten erwiesen. Die
höchsten Beamten, selbst Karo (Minister), beugten sich dem entspre-
chend auf das unterwürfigste vor allen Samurai im Dienste des Shogun,
wenn sie auf das Schloss zu Yedo kamen.

Elternliebe und Vasallentreue bis zum Tode war die höchste
Pflicht, und das Schwert der grösste Stolz eines Samurai vom Daimio
herunter bis zu seinem Thürhüter. In letzterer befolgte man die Vor-
schriften des Confucius, welcher sagt: "Du sollst nicht leben unter
demselben Himmel und nicht betreten dieselbe Erde mit dem Mörder
deines Herrn." Geleitet von diesem Ausspruche gestattete Iyeyasu
die Blutrache, verlangte jedoch, dass Derjenige, welcher sie nehmen
wollte, dies einem besonders dazu bestimmten Beamten anzeige und
die Zeit angebe, innerhalb welcher er seinen Entschluss ausführen
wollte und musste. Versäumte er dies, so galt er für einen gemeinen
Mörder und wurde dem entsprechend bestraft. Das grossartigste und
interessanteste Beispiel der Lehnstreue gibt die Geschichte des Daimio
von Ako und der 47 Ronin, welche das Herz eines jeden Japaners
rührt und höher hebt, etwa wie die Tellsgeschichte wirkt bei uns *).

*) Eine höchst lehrreiche und lesenswerthe Bearbeitung dieser "Vasallen-
treue" erschien von meinem Freunde Dr. J. A. Junker von Langegg 1880
bei Breitkopf und Härtel in Leipzig.

6. Periode. Das Shôgunat der Tokugawa etc.
familien, wovon weitaus die meisten in Yedo und Sumpu (Shidzuoka)
lebten. Eine zweite Classe von Samurai des Shôgun bildeten die
Gokenin. Es waren die gemeinen Soldaten der Shôgun-Armee und
niederen Beamten der Verwaltung. Sie hatten bis 500 Koku Reve-
nüen, durften in Yedo und auf der Landstrasse nicht reiten und muss-
ten sich in allen Stücken den Hatamoto gegenüber, welche vielfach
ihre Herren und Vorgesetzten waren, eines höflichen und entgegen-
kommenden Benehmens befleissigen.

Alle Vasallen der Daimio führten den Namen Kerai oder Bai-
shin
, d. h. doppelte Vasallen oder Diener der Diener. Sie kannten
blos die Interessen ihrer eigenen Feudalherrn und blickten mit Stolz
herab auf andere Samurai, wenn ihre Herren alten Familien ange-
hörten und grosse Besitzungen unter sich hatten. So dünkte sich der
Kerai des Daimio von 100 000 Koku mehr als der eines Lehnsherrn
von nur 10 000 Koku. Kamen sie aber nach Yedo, so galt allen
gegenüber das 40. Gesetz des Gongen-sama, welches anordnete, dass
Baishin den unmittelbaren Vasallen des Shôgun gegenüber, ob es
nun Hatamoto oder Gokenin, und unbekümmert ob ihre Einkünfte
verhältnissmässig hoch oder niedrig waren, dieselbe Höflichkeit
zu beachten hatten, die sie ihren eigenen Fürsten erwiesen. Die
höchsten Beamten, selbst Karô (Minister), beugten sich dem entspre-
chend auf das unterwürfigste vor allen Samurai im Dienste des Shôgun,
wenn sie auf das Schloss zu Yedo kamen.

Elternliebe und Vasallentreue bis zum Tode war die höchste
Pflicht, und das Schwert der grösste Stolz eines Samurai vom Daimio
herunter bis zu seinem Thürhüter. In letzterer befolgte man die Vor-
schriften des Confucius, welcher sagt: »Du sollst nicht leben unter
demselben Himmel und nicht betreten dieselbe Erde mit dem Mörder
deines Herrn.« Geleitet von diesem Ausspruche gestattete Iyeyasu
die Blutrache, verlangte jedoch, dass Derjenige, welcher sie nehmen
wollte, dies einem besonders dazu bestimmten Beamten anzeige und
die Zeit angebe, innerhalb welcher er seinen Entschluss ausführen
wollte und musste. Versäumte er dies, so galt er für einen gemeinen
Mörder und wurde dem entsprechend bestraft. Das grossartigste und
interessanteste Beispiel der Lehnstreue gibt die Geschichte des Daimio
von Ako und der 47 Rônin, welche das Herz eines jeden Japaners
rührt und höher hebt, etwa wie die Tellsgeschichte wirkt bei uns *).

*) Eine höchst lehrreiche und lesenswerthe Bearbeitung dieser »Vasallen-
treue« erschien von meinem Freunde Dr. J. A. Junker von Langegg 1880
bei Breitkopf und Härtel in Leipzig.
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[377/0405] 6. Periode. Das Shôgunat der Tokugawa etc. familien, wovon weitaus die meisten in Yedo und Sumpu (Shidzuoka) lebten. Eine zweite Classe von Samurai des Shôgun bildeten die Gokenin. Es waren die gemeinen Soldaten der Shôgun-Armee und niederen Beamten der Verwaltung. Sie hatten bis 500 Koku Reve- nüen, durften in Yedo und auf der Landstrasse nicht reiten und muss- ten sich in allen Stücken den Hatamoto gegenüber, welche vielfach ihre Herren und Vorgesetzten waren, eines höflichen und entgegen- kommenden Benehmens befleissigen. Alle Vasallen der Daimio führten den Namen Kerai oder Bai- shin, d. h. doppelte Vasallen oder Diener der Diener. Sie kannten blos die Interessen ihrer eigenen Feudalherrn und blickten mit Stolz herab auf andere Samurai, wenn ihre Herren alten Familien ange- hörten und grosse Besitzungen unter sich hatten. So dünkte sich der Kerai des Daimio von 100 000 Koku mehr als der eines Lehnsherrn von nur 10 000 Koku. Kamen sie aber nach Yedo, so galt allen gegenüber das 40. Gesetz des Gongen-sama, welches anordnete, dass Baishin den unmittelbaren Vasallen des Shôgun gegenüber, ob es nun Hatamoto oder Gokenin, und unbekümmert ob ihre Einkünfte verhältnissmässig hoch oder niedrig waren, dieselbe Höflichkeit zu beachten hatten, die sie ihren eigenen Fürsten erwiesen. Die höchsten Beamten, selbst Karô (Minister), beugten sich dem entspre- chend auf das unterwürfigste vor allen Samurai im Dienste des Shôgun, wenn sie auf das Schloss zu Yedo kamen. Elternliebe und Vasallentreue bis zum Tode war die höchste Pflicht, und das Schwert der grösste Stolz eines Samurai vom Daimio herunter bis zu seinem Thürhüter. In letzterer befolgte man die Vor- schriften des Confucius, welcher sagt: »Du sollst nicht leben unter demselben Himmel und nicht betreten dieselbe Erde mit dem Mörder deines Herrn.« Geleitet von diesem Ausspruche gestattete Iyeyasu die Blutrache, verlangte jedoch, dass Derjenige, welcher sie nehmen wollte, dies einem besonders dazu bestimmten Beamten anzeige und die Zeit angebe, innerhalb welcher er seinen Entschluss ausführen wollte und musste. Versäumte er dies, so galt er für einen gemeinen Mörder und wurde dem entsprechend bestraft. Das grossartigste und interessanteste Beispiel der Lehnstreue gibt die Geschichte des Daimio von Ako und der 47 Rônin, welche das Herz eines jeden Japaners rührt und höher hebt, etwa wie die Tellsgeschichte wirkt bei uns *). *) Eine höchst lehrreiche und lesenswerthe Bearbeitung dieser »Vasallen- treue« erschien von meinem Freunde Dr. J. A. Junker von Langegg 1880 bei Breitkopf und Härtel in Leipzig.

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/405>, abgerufen am 22.11.2024.