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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881.

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I. Geschichte des japanischen Volkes.
gabe der Regierung bot nach allen Richtungen grosse Schwierigkeiten,
welche sie vielfach noch durch ihre Unerfahrenheit und Ueberstürzung
vermehrte. Mit blinder Hast stürzte sie sich in alle möglichen kost-
spieligen Neuerungen. Enorme Summen wurden durch den Unter-
halt eines unnützen Beamtenheeres, die irrationellen Versuche, Yezo
zu colonisieren, den Bergbau zu heben und viele andere unnütze
Experimente und die fremden Rathgeber zu solchen verschlungen.
Fehlte Erfahrung und gereiftes Urteil bei Inaugurierung vieler dieser
Neuerungen, so mangelte es noch mehr an Ausdauer und geduldiger
Pflege zu ihrer gedeihlichen Entwickelung. In kindlicher Freude
und Hast ergriff man vielfach jeden neuen Gedanken, in kindlicher
Unbeständigkeit wurde man ihn bald müde.

Die Finanzen litten aber unter all diesen Ansprüchen an die-
selben mehr und mehr. Um ihnen aufzuhelfen, schritt man allmäh-
lich zu einer sogenannten Kapitalisierung des erblichen Einkommens
von Adel und Samurai, indem man für die Lebensrente Abfindungs-
summen substituierte und, statt solche baar zu zahlen, Obligationen
ausstellte. Dies geschah ohne Mitwirkung der Betheiligten, obgleich
es deren Interessen aufs empfindlichste schädigte. Die Regierung
vermehrte dadurch, sowie durch manche andere Massregeln die Zahl
derer, welche sich nach den Reistöpfen ihrer Feudalherren zurück-
sehnten und die ganze Revolution, theilweise ihr eigenes Werk, be-
klagten. Der Hass fiel, theils aus diesen, theils aus religiösen Grün-
den, in gleichem Grade auf die Fremden, wie auf diejenigen, welche
sich von denselben beeinflussen liessen. Jene Ronin, welche als
Auswurf ihrer Gesellschaftsklasse zu jedem schlechten Streiche fähig,
arbeitsscheu und unzufrieden waren, sobald es an den Magen ging,
hatten sich mit allen religiösen Fanatikern in ihrem Fremdenhass
und dem Rufe "Jo-i" so lange vereint, dass sie sich in die neuen
Verhältnisse nicht zu finden vermochten. Sie hatten zur Beseitigung
des Shogunats nach Kräften mitgewirkt *) und glaubten, nach der
Revolution am Ziele ihrer Wünsche zu sein, als sie plötzlich mit Er-
staunen und Entrüstung wahrnahmen, dass die Regierung des Mikado
den Bakufu in seiner Hinneigung zu den Fremden noch weit über-
traf und anfing, Alles nach ausländischem Einfluss und Schnitt ein-
zurichten.

Die Störungen und Gefahren, welche dem neuen Staatsleben in
dem ersten Jahrzehnt seiner Entwickelung erwuchsen, sind nicht von

*) Eine japanische Zeitung sagte später von dieser Mitwirkung: "Sie kommen
uns vor, wie wenn das Ungeziefer der Gefängnisse Anerkennung verlangte dafür,
dass es die Justiz unterstütze, indem es die armen Verurteilten plagt".

I. Geschichte des japanischen Volkes.
gabe der Regierung bot nach allen Richtungen grosse Schwierigkeiten,
welche sie vielfach noch durch ihre Unerfahrenheit und Ueberstürzung
vermehrte. Mit blinder Hast stürzte sie sich in alle möglichen kost-
spieligen Neuerungen. Enorme Summen wurden durch den Unter-
halt eines unnützen Beamtenheeres, die irrationellen Versuche, Yezo
zu colonisieren, den Bergbau zu heben und viele andere unnütze
Experimente und die fremden Rathgeber zu solchen verschlungen.
Fehlte Erfahrung und gereiftes Urteil bei Inaugurierung vieler dieser
Neuerungen, so mangelte es noch mehr an Ausdauer und geduldiger
Pflege zu ihrer gedeihlichen Entwickelung. In kindlicher Freude
und Hast ergriff man vielfach jeden neuen Gedanken, in kindlicher
Unbeständigkeit wurde man ihn bald müde.

Die Finanzen litten aber unter all diesen Ansprüchen an die-
selben mehr und mehr. Um ihnen aufzuhelfen, schritt man allmäh-
lich zu einer sogenannten Kapitalisierung des erblichen Einkommens
von Adel und Samurai, indem man für die Lebensrente Abfindungs-
summen substituierte und, statt solche baar zu zahlen, Obligationen
ausstellte. Dies geschah ohne Mitwirkung der Betheiligten, obgleich
es deren Interessen aufs empfindlichste schädigte. Die Regierung
vermehrte dadurch, sowie durch manche andere Massregeln die Zahl
derer, welche sich nach den Reistöpfen ihrer Feudalherren zurück-
sehnten und die ganze Revolution, theilweise ihr eigenes Werk, be-
klagten. Der Hass fiel, theils aus diesen, theils aus religiösen Grün-
den, in gleichem Grade auf die Fremden, wie auf diejenigen, welche
sich von denselben beeinflussen liessen. Jene Rônin, welche als
Auswurf ihrer Gesellschaftsklasse zu jedem schlechten Streiche fähig,
arbeitsscheu und unzufrieden waren, sobald es an den Magen ging,
hatten sich mit allen religiösen Fanatikern in ihrem Fremdenhass
und dem Rufe »Jô-i« so lange vereint, dass sie sich in die neuen
Verhältnisse nicht zu finden vermochten. Sie hatten zur Beseitigung
des Shôgunats nach Kräften mitgewirkt *) und glaubten, nach der
Revolution am Ziele ihrer Wünsche zu sein, als sie plötzlich mit Er-
staunen und Entrüstung wahrnahmen, dass die Regierung des Mikado
den Bakufu in seiner Hinneigung zu den Fremden noch weit über-
traf und anfing, Alles nach ausländischem Einfluss und Schnitt ein-
zurichten.

Die Störungen und Gefahren, welche dem neuen Staatsleben in
dem ersten Jahrzehnt seiner Entwickelung erwuchsen, sind nicht von

*) Eine japanische Zeitung sagte später von dieser Mitwirkung: »Sie kommen
uns vor, wie wenn das Ungeziefer der Gefängnisse Anerkennung verlangte dafür,
dass es die Justiz unterstütze, indem es die armen Verurteilten plagt«.
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[422/0450] I. Geschichte des japanischen Volkes. gabe der Regierung bot nach allen Richtungen grosse Schwierigkeiten, welche sie vielfach noch durch ihre Unerfahrenheit und Ueberstürzung vermehrte. Mit blinder Hast stürzte sie sich in alle möglichen kost- spieligen Neuerungen. Enorme Summen wurden durch den Unter- halt eines unnützen Beamtenheeres, die irrationellen Versuche, Yezo zu colonisieren, den Bergbau zu heben und viele andere unnütze Experimente und die fremden Rathgeber zu solchen verschlungen. Fehlte Erfahrung und gereiftes Urteil bei Inaugurierung vieler dieser Neuerungen, so mangelte es noch mehr an Ausdauer und geduldiger Pflege zu ihrer gedeihlichen Entwickelung. In kindlicher Freude und Hast ergriff man vielfach jeden neuen Gedanken, in kindlicher Unbeständigkeit wurde man ihn bald müde. Die Finanzen litten aber unter all diesen Ansprüchen an die- selben mehr und mehr. Um ihnen aufzuhelfen, schritt man allmäh- lich zu einer sogenannten Kapitalisierung des erblichen Einkommens von Adel und Samurai, indem man für die Lebensrente Abfindungs- summen substituierte und, statt solche baar zu zahlen, Obligationen ausstellte. Dies geschah ohne Mitwirkung der Betheiligten, obgleich es deren Interessen aufs empfindlichste schädigte. Die Regierung vermehrte dadurch, sowie durch manche andere Massregeln die Zahl derer, welche sich nach den Reistöpfen ihrer Feudalherren zurück- sehnten und die ganze Revolution, theilweise ihr eigenes Werk, be- klagten. Der Hass fiel, theils aus diesen, theils aus religiösen Grün- den, in gleichem Grade auf die Fremden, wie auf diejenigen, welche sich von denselben beeinflussen liessen. Jene Rônin, welche als Auswurf ihrer Gesellschaftsklasse zu jedem schlechten Streiche fähig, arbeitsscheu und unzufrieden waren, sobald es an den Magen ging, hatten sich mit allen religiösen Fanatikern in ihrem Fremdenhass und dem Rufe »Jô-i« so lange vereint, dass sie sich in die neuen Verhältnisse nicht zu finden vermochten. Sie hatten zur Beseitigung des Shôgunats nach Kräften mitgewirkt *) und glaubten, nach der Revolution am Ziele ihrer Wünsche zu sein, als sie plötzlich mit Er- staunen und Entrüstung wahrnahmen, dass die Regierung des Mikado den Bakufu in seiner Hinneigung zu den Fremden noch weit über- traf und anfing, Alles nach ausländischem Einfluss und Schnitt ein- zurichten. Die Störungen und Gefahren, welche dem neuen Staatsleben in dem ersten Jahrzehnt seiner Entwickelung erwuchsen, sind nicht von *) Eine japanische Zeitung sagte später von dieser Mitwirkung: »Sie kommen uns vor, wie wenn das Ungeziefer der Gefängnisse Anerkennung verlangte dafür, dass es die Justiz unterstütze, indem es die armen Verurteilten plagt«.

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 422. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/450>, abgerufen am 22.11.2024.