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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881.

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7. Periode. Japan seit dem Jahre 1854.
den geschlagenen Anhängern der früheren Herrschaft ausgegangen,
sondern von Solchen, welche im letzten Bürgerkriege eine hervor-
ragende Rolle unter den Stützen des Mikado gespielt hatten und dann,
weil ihr Ehrgeiz und ihre Erwartungen keine Befriedigung fanden,
ihre früheren Freunde in der Regierung verliessen, um sich als Führer
an die Spitze der Unzufriedenen und Rebellen gegen dieselbe zu
stellen. Bevor wir jedoch den bedeutendsten Aufständen, welche
hierdurch veranlasst wurden, uns zuwenden, wollen wir erst noch
der wichtigsten sonstigen Ereignisse gedenken, welche die Regierung
des jetzigen Mikado zu einer so denkwürdigen machen. Neuerungen
aller Art und ein lebhaftes Bestreben, die westliche Civilisation ein-
zuführen, zeichnen dieselbe aus. Schon im Jahre 1870 wurde Tokio
mit dem immer mehr emporblühenden Hafen Yokohama durch einen
Telegraphen verbunden und die Pläne zur Anlage einer Eisenbahn
genehmigt. Diese Arbeiten gingen von Engländern aus, welche auch
Leuchtthürme errichteten und in Osaka eine Münze anlegten. Bald
darauf gründete man eine von Engländern geleitete Navigationsschule,
sowie eine Art Polytechnicum. Franzosen hatten bereits unter dem
Shogunat zu Yokoska nicht weit von Yokohama ein Arsenal und eine
Werfte errichtet und waren in den Dienst der neuen Regierung über-
getreten. In Folge eines Vertrages mit der napoleonischen Regierung
kamen nach Beendigung des grossen Krieges in Frankreich franzö-
sische Instructeure nach Tokio, um die Armee zu reorganisieren.
Auch im Bergbau, bei Anlage einer Musterfilanda und als Rathgeber
bei Abfassung neuer Gesetze waren Franzosen thätig. Es ist nicht
mehr als billig, anzuerkennen, dass die meisten derselben tüchtige
Leute waren und, soweit sie vermochten, die ihnen anvertrauten Werke
löblich ausführten. Von den Holländern wollte man die Kunst des
Canalisierens, von den Amerikanern das Colonisieren lernen. Deutsche
wurden als Lehrer einer medicinischen Schule, sowie zur Leitung von
Bergwerken berufen.

Schon im Jahre 1871 erhielten die Samurai die Erlaubniss, ohne
Schwerter gehen zu dürfen. Viele machten davon Gebrauch. Hinfort
war die Beibehaltung der alten Tracht und des Schwertes das Schibolet
für den Samurai nach altem Schlage, die Nachahmung europäischer
Tracht aber verrieth den Fortschrittsmann. Auf der ersten Stufe dieses
Fortschrittes wurden nur die Extreme des Körpers bedacht, das Rasier-
messer stellte seine Functionen am Kopfe ein, denn nun trug man
das Haar nach Art der Europäer, Filzhüte und Stiefel, sowie Regen-
schirme kamen in Gunst und -- last, but not least -- im Haushalte
und Geschäfte die Petroleumlampen.

7. Periode. Japan seit dem Jahre 1854.
den geschlagenen Anhängern der früheren Herrschaft ausgegangen,
sondern von Solchen, welche im letzten Bürgerkriege eine hervor-
ragende Rolle unter den Stützen des Mikado gespielt hatten und dann,
weil ihr Ehrgeiz und ihre Erwartungen keine Befriedigung fanden,
ihre früheren Freunde in der Regierung verliessen, um sich als Führer
an die Spitze der Unzufriedenen und Rebellen gegen dieselbe zu
stellen. Bevor wir jedoch den bedeutendsten Aufständen, welche
hierdurch veranlasst wurden, uns zuwenden, wollen wir erst noch
der wichtigsten sonstigen Ereignisse gedenken, welche die Regierung
des jetzigen Mikado zu einer so denkwürdigen machen. Neuerungen
aller Art und ein lebhaftes Bestreben, die westliche Civilisation ein-
zuführen, zeichnen dieselbe aus. Schon im Jahre 1870 wurde Tôkio
mit dem immer mehr emporblühenden Hafen Yokohama durch einen
Telegraphen verbunden und die Pläne zur Anlage einer Eisenbahn
genehmigt. Diese Arbeiten gingen von Engländern aus, welche auch
Leuchtthürme errichteten und in Ôsaka eine Münze anlegten. Bald
darauf gründete man eine von Engländern geleitete Navigationsschule,
sowie eine Art Polytechnicum. Franzosen hatten bereits unter dem
Shôgunat zu Yokoska nicht weit von Yokohama ein Arsenal und eine
Werfte errichtet und waren in den Dienst der neuen Regierung über-
getreten. In Folge eines Vertrages mit der napoleonischen Regierung
kamen nach Beendigung des grossen Krieges in Frankreich franzö-
sische Instructeure nach Tôkio, um die Armee zu reorganisieren.
Auch im Bergbau, bei Anlage einer Musterfilanda und als Rathgeber
bei Abfassung neuer Gesetze waren Franzosen thätig. Es ist nicht
mehr als billig, anzuerkennen, dass die meisten derselben tüchtige
Leute waren und, soweit sie vermochten, die ihnen anvertrauten Werke
löblich ausführten. Von den Holländern wollte man die Kunst des
Canalisierens, von den Amerikanern das Colonisieren lernen. Deutsche
wurden als Lehrer einer medicinischen Schule, sowie zur Leitung von
Bergwerken berufen.

Schon im Jahre 1871 erhielten die Samurai die Erlaubniss, ohne
Schwerter gehen zu dürfen. Viele machten davon Gebrauch. Hinfort
war die Beibehaltung der alten Tracht und des Schwertes das Schibolet
für den Samurai nach altem Schlage, die Nachahmung europäischer
Tracht aber verrieth den Fortschrittsmann. Auf der ersten Stufe dieses
Fortschrittes wurden nur die Extreme des Körpers bedacht, das Rasier-
messer stellte seine Functionen am Kopfe ein, denn nun trug man
das Haar nach Art der Europäer, Filzhüte und Stiefel, sowie Regen-
schirme kamen in Gunst und — last, but not least — im Haushalte
und Geschäfte die Petroleumlampen.

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[423/0451] 7. Periode. Japan seit dem Jahre 1854. den geschlagenen Anhängern der früheren Herrschaft ausgegangen, sondern von Solchen, welche im letzten Bürgerkriege eine hervor- ragende Rolle unter den Stützen des Mikado gespielt hatten und dann, weil ihr Ehrgeiz und ihre Erwartungen keine Befriedigung fanden, ihre früheren Freunde in der Regierung verliessen, um sich als Führer an die Spitze der Unzufriedenen und Rebellen gegen dieselbe zu stellen. Bevor wir jedoch den bedeutendsten Aufständen, welche hierdurch veranlasst wurden, uns zuwenden, wollen wir erst noch der wichtigsten sonstigen Ereignisse gedenken, welche die Regierung des jetzigen Mikado zu einer so denkwürdigen machen. Neuerungen aller Art und ein lebhaftes Bestreben, die westliche Civilisation ein- zuführen, zeichnen dieselbe aus. Schon im Jahre 1870 wurde Tôkio mit dem immer mehr emporblühenden Hafen Yokohama durch einen Telegraphen verbunden und die Pläne zur Anlage einer Eisenbahn genehmigt. Diese Arbeiten gingen von Engländern aus, welche auch Leuchtthürme errichteten und in Ôsaka eine Münze anlegten. Bald darauf gründete man eine von Engländern geleitete Navigationsschule, sowie eine Art Polytechnicum. Franzosen hatten bereits unter dem Shôgunat zu Yokoska nicht weit von Yokohama ein Arsenal und eine Werfte errichtet und waren in den Dienst der neuen Regierung über- getreten. In Folge eines Vertrages mit der napoleonischen Regierung kamen nach Beendigung des grossen Krieges in Frankreich franzö- sische Instructeure nach Tôkio, um die Armee zu reorganisieren. Auch im Bergbau, bei Anlage einer Musterfilanda und als Rathgeber bei Abfassung neuer Gesetze waren Franzosen thätig. Es ist nicht mehr als billig, anzuerkennen, dass die meisten derselben tüchtige Leute waren und, soweit sie vermochten, die ihnen anvertrauten Werke löblich ausführten. Von den Holländern wollte man die Kunst des Canalisierens, von den Amerikanern das Colonisieren lernen. Deutsche wurden als Lehrer einer medicinischen Schule, sowie zur Leitung von Bergwerken berufen. Schon im Jahre 1871 erhielten die Samurai die Erlaubniss, ohne Schwerter gehen zu dürfen. Viele machten davon Gebrauch. Hinfort war die Beibehaltung der alten Tracht und des Schwertes das Schibolet für den Samurai nach altem Schlage, die Nachahmung europäischer Tracht aber verrieth den Fortschrittsmann. Auf der ersten Stufe dieses Fortschrittes wurden nur die Extreme des Körpers bedacht, das Rasier- messer stellte seine Functionen am Kopfe ein, denn nun trug man das Haar nach Art der Europäer, Filzhüte und Stiefel, sowie Regen- schirme kamen in Gunst und — last, but not least — im Haushalte und Geschäfte die Petroleumlampen.

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 423. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/451>, abgerufen am 22.11.2024.