1. Ainos und Japaner, Ursprung, Körperbeschaffenheit etc.
d. h. die vom Himmel scheinende Gottheit, thronte über der Erde, die ihr unterstellt wurde, und Tsuki-no-kami, die Mondgöttin, vertrat ihre Stelle während der Nacht.
Als Enkel der Sonnengöttin wird Ninigi-no-mikoto genannt. Derselbe erhielt von ihr den Auftrag, vom Himmel herabzusteigen und die Erde zu regieren. Mit seinem Himmelsschwerte, Ama-no- sakahoko genannt, sondierte er den Boden unter sich, liess sich als- dann auf dem Takachiho von Kirishima-yama an der Grenze von Hiuga und Osumi nieder und gründete in Kiushiu ein Reich. Sein Grossenkel war Jimmu-Tenno (siehe pag. 244).
Der mythischen Ausschmückung entkleidet, erscheint uns dieser Stammvater des japanischen Herrscherhauses wie ein normannischer Viking, der mit seinem Gefolge auf Abenteuer und Eroberung aus- fährt. Die Feinde, welche er traf und besiegte, dürften kein fremdes, sondern ein stamm- und sprachverwandtes Volk gewesen sein, Nach- kommen von alten Einwanderern, welche Jahrhunderte zuvor gleich seinen eigenen Vorfahren wahrscheinlich von Asien herübergekommen waren. Zur Begründung dieser Ansicht mag unter anderem hervor- gehoben werden, dass in der Geschichte des 12. Mikado (pag. 248) ein hoher Würdenträger erwähnt wird, den sein Herrscher auf eine Inspectionsreise nach den nordöstlichen Provinzen aussandte. Als der- selbe zurückkehrte, erzählte er dem Mikado von einem seltsamen Volke, das ganz im Norden wohne, dem Haarwuchs keine Schranke setze, noch Pflege zu Theil werden lasse, und die befremdende Sitte des Tättowierens übe. Dieses Volk nannte er Emishi oder Yezo (sprich Esso).
Ohne Zweifel darf hieraus geschlossen werden, dass diese neue und auffallende Erscheinung im Gegensatz zur Civilisation des er- oberten Landes stand, dass sie nur auffallen konnte, wenn hier das ganze Volk, die Abkömmlinge der aus Kiushiu gekommenen Eroberer sowohl als die Unterworfenen, von vornherein eine grössere Gemein- schaft der Sprache, Sitte und Abstammung besass. Es geht dies ferner auch aus den Namen der von Jimmu-Tenno und seinen Nach- folgern besiegten Feinde hervor, welche in den alten Geschichtsquellen erwähnt und in gleicher Weise wie die Namen der Eroberer gebildet sind. Waren, wie man weiter annehmen darf, die südlichen Theile des japanischen Reiches bei der Einwanderung von Jimmu-Tenno's Vorfahren nicht menschenleer, sondern wahrscheinlich ebenfalls von Emishi oder Verwandten derselben, wenn auch nur dünn bevölkert, so hatte doch seitdem eine totale Vermischung stattgefunden, ebenso, wie sich dieselbe später mit den Eingeborenen des nördlichen Hondo vollzog.
Rein, Japan I. 29
1. Ainos und Japaner, Ursprung, Körperbeschaffenheit etc.
d. h. die vom Himmel scheinende Gottheit, thronte über der Erde, die ihr unterstellt wurde, und Tsuki-no-kami, die Mondgöttin, vertrat ihre Stelle während der Nacht.
Als Enkel der Sonnengöttin wird Ninigi-no-mikoto genannt. Derselbe erhielt von ihr den Auftrag, vom Himmel herabzusteigen und die Erde zu regieren. Mit seinem Himmelsschwerte, Ama-no- sakahoko genannt, sondierte er den Boden unter sich, liess sich als- dann auf dem Takachiho von Kirishima-yama an der Grenze von Hiuga und Ôsumi nieder und gründete in Kiushiu ein Reich. Sein Grossenkel war Jimmu-Tennô (siehe pag. 244).
Der mythischen Ausschmückung entkleidet, erscheint uns dieser Stammvater des japanischen Herrscherhauses wie ein normannischer Viking, der mit seinem Gefolge auf Abenteuer und Eroberung aus- fährt. Die Feinde, welche er traf und besiegte, dürften kein fremdes, sondern ein stamm- und sprachverwandtes Volk gewesen sein, Nach- kommen von alten Einwanderern, welche Jahrhunderte zuvor gleich seinen eigenen Vorfahren wahrscheinlich von Asien herübergekommen waren. Zur Begründung dieser Ansicht mag unter anderem hervor- gehoben werden, dass in der Geschichte des 12. Mikado (pag. 248) ein hoher Würdenträger erwähnt wird, den sein Herrscher auf eine Inspectionsreise nach den nordöstlichen Provinzen aussandte. Als der- selbe zurückkehrte, erzählte er dem Mikado von einem seltsamen Volke, das ganz im Norden wohne, dem Haarwuchs keine Schranke setze, noch Pflege zu Theil werden lasse, und die befremdende Sitte des Tättowierens übe. Dieses Volk nannte er Emishi oder Yezo (sprich Esso).
Ohne Zweifel darf hieraus geschlossen werden, dass diese neue und auffallende Erscheinung im Gegensatz zur Civilisation des er- oberten Landes stand, dass sie nur auffallen konnte, wenn hier das ganze Volk, die Abkömmlinge der aus Kiushiu gekommenen Eroberer sowohl als die Unterworfenen, von vornherein eine grössere Gemein- schaft der Sprache, Sitte und Abstammung besass. Es geht dies ferner auch aus den Namen der von Jimmu-Tennô und seinen Nach- folgern besiegten Feinde hervor, welche in den alten Geschichtsquellen erwähnt und in gleicher Weise wie die Namen der Eroberer gebildet sind. Waren, wie man weiter annehmen darf, die südlichen Theile des japanischen Reiches bei der Einwanderung von Jimmu-Tennô’s Vorfahren nicht menschenleer, sondern wahrscheinlich ebenfalls von Emishi oder Verwandten derselben, wenn auch nur dünn bevölkert, so hatte doch seitdem eine totale Vermischung stattgefunden, ebenso, wie sich dieselbe später mit den Eingeborenen des nördlichen Hondo vollzog.
Rein, Japan I. 29
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1. Ainos und Japaner, Ursprung, Körperbeschaffenheit etc.
d. h. die vom Himmel scheinende Gottheit, thronte über der Erde,
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ihre Stelle während der Nacht.
Als Enkel der Sonnengöttin wird Ninigi-no-mikoto genannt.
Derselbe erhielt von ihr den Auftrag, vom Himmel herabzusteigen
und die Erde zu regieren. Mit seinem Himmelsschwerte, Ama-no-
sakahoko genannt, sondierte er den Boden unter sich, liess sich als-
dann auf dem Takachiho von Kirishima-yama an der Grenze von
Hiuga und Ôsumi nieder und gründete in Kiushiu ein Reich. Sein
Grossenkel war Jimmu-Tennô (siehe pag. 244).
Der mythischen Ausschmückung entkleidet, erscheint uns dieser
Stammvater des japanischen Herrscherhauses wie ein normannischer
Viking, der mit seinem Gefolge auf Abenteuer und Eroberung aus-
fährt. Die Feinde, welche er traf und besiegte, dürften kein fremdes,
sondern ein stamm- und sprachverwandtes Volk gewesen sein, Nach-
kommen von alten Einwanderern, welche Jahrhunderte zuvor gleich
seinen eigenen Vorfahren wahrscheinlich von Asien herübergekommen
waren. Zur Begründung dieser Ansicht mag unter anderem hervor-
gehoben werden, dass in der Geschichte des 12. Mikado (pag. 248)
ein hoher Würdenträger erwähnt wird, den sein Herrscher auf eine
Inspectionsreise nach den nordöstlichen Provinzen aussandte. Als der-
selbe zurückkehrte, erzählte er dem Mikado von einem seltsamen
Volke, das ganz im Norden wohne, dem Haarwuchs keine Schranke
setze, noch Pflege zu Theil werden lasse, und die befremdende Sitte
des Tättowierens übe. Dieses Volk nannte er Emishi oder Yezo
(sprich Esso).
Ohne Zweifel darf hieraus geschlossen werden, dass diese neue
und auffallende Erscheinung im Gegensatz zur Civilisation des er-
oberten Landes stand, dass sie nur auffallen konnte, wenn hier das
ganze Volk, die Abkömmlinge der aus Kiushiu gekommenen Eroberer
sowohl als die Unterworfenen, von vornherein eine grössere Gemein-
schaft der Sprache, Sitte und Abstammung besass. Es geht dies
ferner auch aus den Namen der von Jimmu-Tennô und seinen Nach-
folgern besiegten Feinde hervor, welche in den alten Geschichtsquellen
erwähnt und in gleicher Weise wie die Namen der Eroberer gebildet
sind. Waren, wie man weiter annehmen darf, die südlichen Theile
des japanischen Reiches bei der Einwanderung von Jimmu-Tennô’s
Vorfahren nicht menschenleer, sondern wahrscheinlich ebenfalls von
Emishi oder Verwandten derselben, wenn auch nur dünn bevölkert, so
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sich dieselbe später mit den Eingeborenen des nördlichen Hondo vollzog.
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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 449. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/481>, abgerufen am 22.11.2024.
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