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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881.

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II. Ethnographie.
Empfang bereitet. Kein Wunder, dass unter solchen Umständen die
Urteile derjenigen Fremden, welche in Japan nur ein kurzes Gast-
recht beanspruchen, dem Volke überaus günstig sind. Die Japaner
sind gefällig, passen sich gern an und ahmen leicht nach; sie sind
neugierig, aber wenig mittheilsam. Doch muss man ihre Verschlossen-
heit in allem, was Staatseinrichtungen, Religion etc. betrifft, theils
der Ignoranz, theils einer Jahrhunderte langen eigenartigen Erziehung
unter dem Drucke der Gesetze des Iyeyasu und der Spione zuschreiben.
In Wahrheitsliebe stehen die Japaner nach meinen Erfahrungen uns
Europäern nicht nach.

"Ich kam nun zurück", so schreibt ein Landsmann und feiner
Beobachter *), "in ein mir bekanntes Land, nach dem ich mitten in
China eine tiefe Sehnsucht empfunden hatte. Schmutz, Gestank, Be-
trug, unwürdiger und widerlicher Sklavensinn, gepaart mit unmoti-
viertem Hochmuth, sind die Grundelemente der chinesischen Welt.
Ueber der japanischen ruht charakteristisch: höchste Reinlichkeit,
Zierlichkeit, Gefühl für Schicklichkeit und Maass, unverkennbare
Würde und Selbstachtung".

Derselbe Autor, zugleich ein guter Kenner des polnischen Volkes,
stellt zwischen diesem und dem japanischen Vergleiche an und er-
kennt dabei manche verwandte Züge. Arbeitsam, bedürfnisslos und
genügsam, abgehärtet gegen Witterungseinflüsse, leichtlebig und von
ritterlichem Sinne findet er beide und ist geneigt, darin die tiefsitzen-
den Spuren des tatarischen Einflusses zu erkennen, welcher sich einst-
mals von der Oder bis zum Stillen Ocean geltend machte und wie in
Sitte und Lebensanschauung, so auch in der Sprache nachweisbar ist.
Nach mancher anderen Seite sind die Unterschiede zwischen beiden
Völkern freilich so auffallend und gross, wie nur möglich.

Der Japaner stellt sein Licht nicht unter den Scheffel. Wer aber
länger mit ihm verkehrt, lernt neben den erwähnten und einigen an-
deren lobenswerthen Eigenschaften, zu denen wir vor allem auch
blinde Ergebenheit und Liebe der Kinder gegen ihre Eltern und eine
warme Vaterlandsliebe rechnen müssen, auch manche andere kennen,
durch die sich derselbe nicht besonders empfiehlt. Wir sind, ge-
stützt auf vielseitige und mancherlei Beobachtungen, zwar nicht ge-
neigt, Alles zu unterschreiben, was jeder mit enttäuschten Hoff-
nungen aus japanischen Diensten in die Heimath Zurückkehrende
über die Schattenseiten des Volkscharakters zu berichten weiss, finden
aber, dass es darunter manchen scharfen Beobachter und objectiven

*) Dr. H. Maron: Japan und China. Reiseskizzen I, pag. 59.

II. Ethnographie.
Empfang bereitet. Kein Wunder, dass unter solchen Umständen die
Urteile derjenigen Fremden, welche in Japan nur ein kurzes Gast-
recht beanspruchen, dem Volke überaus günstig sind. Die Japaner
sind gefällig, passen sich gern an und ahmen leicht nach; sie sind
neugierig, aber wenig mittheilsam. Doch muss man ihre Verschlossen-
heit in allem, was Staatseinrichtungen, Religion etc. betrifft, theils
der Ignoranz, theils einer Jahrhunderte langen eigenartigen Erziehung
unter dem Drucke der Gesetze des Iyeyasu und der Spione zuschreiben.
In Wahrheitsliebe stehen die Japaner nach meinen Erfahrungen uns
Europäern nicht nach.

»Ich kam nun zurück«, so schreibt ein Landsmann und feiner
Beobachter *), »in ein mir bekanntes Land, nach dem ich mitten in
China eine tiefe Sehnsucht empfunden hatte. Schmutz, Gestank, Be-
trug, unwürdiger und widerlicher Sklavensinn, gepaart mit unmoti-
viertem Hochmuth, sind die Grundelemente der chinesischen Welt.
Ueber der japanischen ruht charakteristisch: höchste Reinlichkeit,
Zierlichkeit, Gefühl für Schicklichkeit und Maass, unverkennbare
Würde und Selbstachtung«.

Derselbe Autor, zugleich ein guter Kenner des polnischen Volkes,
stellt zwischen diesem und dem japanischen Vergleiche an und er-
kennt dabei manche verwandte Züge. Arbeitsam, bedürfnisslos und
genügsam, abgehärtet gegen Witterungseinflüsse, leichtlebig und von
ritterlichem Sinne findet er beide und ist geneigt, darin die tiefsitzen-
den Spuren des tatarischen Einflusses zu erkennen, welcher sich einst-
mals von der Oder bis zum Stillen Ocean geltend machte und wie in
Sitte und Lebensanschauung, so auch in der Sprache nachweisbar ist.
Nach mancher anderen Seite sind die Unterschiede zwischen beiden
Völkern freilich so auffallend und gross, wie nur möglich.

Der Japaner stellt sein Licht nicht unter den Scheffel. Wer aber
länger mit ihm verkehrt, lernt neben den erwähnten und einigen an-
deren lobenswerthen Eigenschaften, zu denen wir vor allem auch
blinde Ergebenheit und Liebe der Kinder gegen ihre Eltern und eine
warme Vaterlandsliebe rechnen müssen, auch manche andere kennen,
durch die sich derselbe nicht besonders empfiehlt. Wir sind, ge-
stützt auf vielseitige und mancherlei Beobachtungen, zwar nicht ge-
neigt, Alles zu unterschreiben, was jeder mit enttäuschten Hoff-
nungen aus japanischen Diensten in die Heimath Zurückkehrende
über die Schattenseiten des Volkscharakters zu berichten weiss, finden
aber, dass es darunter manchen scharfen Beobachter und objectiven

*) Dr. H. Maron: Japan und China. Reiseskizzen I, pag. 59.
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[456/0490] II. Ethnographie. Empfang bereitet. Kein Wunder, dass unter solchen Umständen die Urteile derjenigen Fremden, welche in Japan nur ein kurzes Gast- recht beanspruchen, dem Volke überaus günstig sind. Die Japaner sind gefällig, passen sich gern an und ahmen leicht nach; sie sind neugierig, aber wenig mittheilsam. Doch muss man ihre Verschlossen- heit in allem, was Staatseinrichtungen, Religion etc. betrifft, theils der Ignoranz, theils einer Jahrhunderte langen eigenartigen Erziehung unter dem Drucke der Gesetze des Iyeyasu und der Spione zuschreiben. In Wahrheitsliebe stehen die Japaner nach meinen Erfahrungen uns Europäern nicht nach. »Ich kam nun zurück«, so schreibt ein Landsmann und feiner Beobachter *), »in ein mir bekanntes Land, nach dem ich mitten in China eine tiefe Sehnsucht empfunden hatte. Schmutz, Gestank, Be- trug, unwürdiger und widerlicher Sklavensinn, gepaart mit unmoti- viertem Hochmuth, sind die Grundelemente der chinesischen Welt. Ueber der japanischen ruht charakteristisch: höchste Reinlichkeit, Zierlichkeit, Gefühl für Schicklichkeit und Maass, unverkennbare Würde und Selbstachtung«. Derselbe Autor, zugleich ein guter Kenner des polnischen Volkes, stellt zwischen diesem und dem japanischen Vergleiche an und er- kennt dabei manche verwandte Züge. Arbeitsam, bedürfnisslos und genügsam, abgehärtet gegen Witterungseinflüsse, leichtlebig und von ritterlichem Sinne findet er beide und ist geneigt, darin die tiefsitzen- den Spuren des tatarischen Einflusses zu erkennen, welcher sich einst- mals von der Oder bis zum Stillen Ocean geltend machte und wie in Sitte und Lebensanschauung, so auch in der Sprache nachweisbar ist. Nach mancher anderen Seite sind die Unterschiede zwischen beiden Völkern freilich so auffallend und gross, wie nur möglich. Der Japaner stellt sein Licht nicht unter den Scheffel. Wer aber länger mit ihm verkehrt, lernt neben den erwähnten und einigen an- deren lobenswerthen Eigenschaften, zu denen wir vor allem auch blinde Ergebenheit und Liebe der Kinder gegen ihre Eltern und eine warme Vaterlandsliebe rechnen müssen, auch manche andere kennen, durch die sich derselbe nicht besonders empfiehlt. Wir sind, ge- stützt auf vielseitige und mancherlei Beobachtungen, zwar nicht ge- neigt, Alles zu unterschreiben, was jeder mit enttäuschten Hoff- nungen aus japanischen Diensten in die Heimath Zurückkehrende über die Schattenseiten des Volkscharakters zu berichten weiss, finden aber, dass es darunter manchen scharfen Beobachter und objectiven *) Dr. H. Maron: Japan und China. Reiseskizzen I, pag. 59.

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 456. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/490>, abgerufen am 22.11.2024.