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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881.

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6. Religiöse Zustände.
hunderts hatten ihrer Sache zwar einen schweren Schlag versetzt,
aber unter den Tokugawa gewann sie wieder neuen Halt, wenn auch
Macht und Einfluss wie früher nie wiederkehrten. Iyeyasu gehörte
der Yodosecte an und sprach den Wunsch aus, dass auch seine Nach-
kommen ihr treu bleiben möchten. Zum Andenken an seine acht-
zehnmalige Errettung aus Lebensgefahr baute er ihr 18 verschiedene,
glänzend ausgestattete Tempel. Nach seiner Anordnung hatten Bonzen
die Civilstandsregister zu führen und bei Beerdigungen, auch der
Shintoisten, zu celebrieren. Aber auch dem Ahnendienste war er ge-
neigt. So bestanden denn Jahrhunderte hindurch Kami- und Buddha-
dienst neben einander, ja wie in China das Volk Ahnendienst und
Buddhismus vereinigte, so auch in Japan bis in die Neuzeit. Sie hat
wie so manches Andere auch das religiöse Leben tief erschüttert,
aber nicht wie in politischen und socialen Dingen neue Normen ge-
schaffen.

"Bis zur Zeit der Restauration waren die Leichtgläubigkeit und
das Vertrauen des Volkes in die Kraft der Götter gross", schrieb
vor einigen Jahren ein früherer Kamipriester in einer japanischen
Zeitung, und fuhr dann fort: "Es gab kaum einen Augenblick, wo
man nicht Händeklatschen, Trommeln und Beten hörte. Ob es diese
oder jene Secte, ein Kami (Shintogott) oder Hotoke (Buddhagott),
ein Götze aus Holz, Thon oder Stein war, die Leute pflegten ihn zu
verehren, zu ihm zu beten und ihm Reis, Blumen, Kerzen etc. zu
opfern. Die sehr Frommen warfen sich nieder und berührten mit
dem Gesicht den Boden, indem sie hofften, dass hierdurch ihre Ge-
bete um so eher erhört würden, und wiederholten: Namu Amida
Butsu oder Namu mio-ho-ren ge-kio oder Taka magahara (ni kami
todomari"*).

Das Jahr 1868 war, wie schon angedeutet, auch für den Buddhis-
mus verhängnissvoll. Nachdem man die Reduction der früheren Ein-
künfte der alten Feudalherren und ihrer Vasallen, der Samurai,
glücklich durchgeführt hatte, wandte man sich in gleicher Weise
gegen viele buddhistische Tempel und Klöster und reducierte die
Einkünfte derselben auf Sporteln und milde Gaben. Es geschah dies

*) Namu Amida Butsu. Diese indischen Worte in der Bedeutung "Heil dem
ewigen Lichtglanz Buddha" bilden das gewöhnliche Gebet der Buddhisten. Statt
ihrer gebraucht die Nichiren-Secte die chinesische Transliteration Namu mio-ho-
ren-ge-kio (Heil den Rettung bringenden Offenbarungen des Gesetzes) aus einer
der ältesten canonischen Schriften. Das Gebet der Shintoisten beginnt mit den
altjapanischen Worten: "Taka magahara in kami-todomari", d. h. "O Kami, der
du thronest im hohen Himmelsfelde".

6. Religiöse Zustände.
hunderts hatten ihrer Sache zwar einen schweren Schlag versetzt,
aber unter den Tokugawa gewann sie wieder neuen Halt, wenn auch
Macht und Einfluss wie früher nie wiederkehrten. Iyeyasu gehörte
der Yôdôsecte an und sprach den Wunsch aus, dass auch seine Nach-
kommen ihr treu bleiben möchten. Zum Andenken an seine acht-
zehnmalige Errettung aus Lebensgefahr baute er ihr 18 verschiedene,
glänzend ausgestattete Tempel. Nach seiner Anordnung hatten Bonzen
die Civilstandsregister zu führen und bei Beerdigungen, auch der
Shintôisten, zu celebrieren. Aber auch dem Ahnendienste war er ge-
neigt. So bestanden denn Jahrhunderte hindurch Kami- und Buddha-
dienst neben einander, ja wie in China das Volk Ahnendienst und
Buddhismus vereinigte, so auch in Japan bis in die Neuzeit. Sie hat
wie so manches Andere auch das religiöse Leben tief erschüttert,
aber nicht wie in politischen und socialen Dingen neue Normen ge-
schaffen.

»Bis zur Zeit der Restauration waren die Leichtgläubigkeit und
das Vertrauen des Volkes in die Kraft der Götter gross«, schrieb
vor einigen Jahren ein früherer Kamipriester in einer japanischen
Zeitung, und fuhr dann fort: »Es gab kaum einen Augenblick, wo
man nicht Händeklatschen, Trommeln und Beten hörte. Ob es diese
oder jene Secte, ein Kami (Shintôgott) oder Hotoke (Buddhagott),
ein Götze aus Holz, Thon oder Stein war, die Leute pflegten ihn zu
verehren, zu ihm zu beten und ihm Reis, Blumen, Kerzen etc. zu
opfern. Die sehr Frommen warfen sich nieder und berührten mit
dem Gesicht den Boden, indem sie hofften, dass hierdurch ihre Ge-
bete um so eher erhört würden, und wiederholten: Namu Amida
Butsu oder Namu miô-hô-ren ge-kiô oder Taka magahara (ni kami
todomari«*).

Das Jahr 1868 war, wie schon angedeutet, auch für den Buddhis-
mus verhängnissvoll. Nachdem man die Reduction der früheren Ein-
künfte der alten Feudalherren und ihrer Vasallen, der Samurai,
glücklich durchgeführt hatte, wandte man sich in gleicher Weise
gegen viele buddhistische Tempel und Klöster und reducierte die
Einkünfte derselben auf Sporteln und milde Gaben. Es geschah dies

*) Namu Amida Butsu. Diese indischen Worte in der Bedeutung »Heil dem
ewigen Lichtglanz Buddha« bilden das gewöhnliche Gebet der Buddhisten. Statt
ihrer gebraucht die Nichiren-Secte die chinesische Transliteration Namu miô-hô-
ren-ge-kiô (Heil den Rettung bringenden Offenbarungen des Gesetzes) aus einer
der ältesten canonischen Schriften. Das Gebet der Shintôisten beginnt mit den
altjapanischen Worten: »Taka magahara in kami-todomari«, d. h. »O Kami, der
du thronest im hohen Himmelsfelde«.
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[535/0573] 6. Religiöse Zustände. hunderts hatten ihrer Sache zwar einen schweren Schlag versetzt, aber unter den Tokugawa gewann sie wieder neuen Halt, wenn auch Macht und Einfluss wie früher nie wiederkehrten. Iyeyasu gehörte der Yôdôsecte an und sprach den Wunsch aus, dass auch seine Nach- kommen ihr treu bleiben möchten. Zum Andenken an seine acht- zehnmalige Errettung aus Lebensgefahr baute er ihr 18 verschiedene, glänzend ausgestattete Tempel. Nach seiner Anordnung hatten Bonzen die Civilstandsregister zu führen und bei Beerdigungen, auch der Shintôisten, zu celebrieren. Aber auch dem Ahnendienste war er ge- neigt. So bestanden denn Jahrhunderte hindurch Kami- und Buddha- dienst neben einander, ja wie in China das Volk Ahnendienst und Buddhismus vereinigte, so auch in Japan bis in die Neuzeit. Sie hat wie so manches Andere auch das religiöse Leben tief erschüttert, aber nicht wie in politischen und socialen Dingen neue Normen ge- schaffen. »Bis zur Zeit der Restauration waren die Leichtgläubigkeit und das Vertrauen des Volkes in die Kraft der Götter gross«, schrieb vor einigen Jahren ein früherer Kamipriester in einer japanischen Zeitung, und fuhr dann fort: »Es gab kaum einen Augenblick, wo man nicht Händeklatschen, Trommeln und Beten hörte. Ob es diese oder jene Secte, ein Kami (Shintôgott) oder Hotoke (Buddhagott), ein Götze aus Holz, Thon oder Stein war, die Leute pflegten ihn zu verehren, zu ihm zu beten und ihm Reis, Blumen, Kerzen etc. zu opfern. Die sehr Frommen warfen sich nieder und berührten mit dem Gesicht den Boden, indem sie hofften, dass hierdurch ihre Ge- bete um so eher erhört würden, und wiederholten: Namu Amida Butsu oder Namu miô-hô-ren ge-kiô oder Taka magahara (ni kami todomari« *). Das Jahr 1868 war, wie schon angedeutet, auch für den Buddhis- mus verhängnissvoll. Nachdem man die Reduction der früheren Ein- künfte der alten Feudalherren und ihrer Vasallen, der Samurai, glücklich durchgeführt hatte, wandte man sich in gleicher Weise gegen viele buddhistische Tempel und Klöster und reducierte die Einkünfte derselben auf Sporteln und milde Gaben. Es geschah dies *) Namu Amida Butsu. Diese indischen Worte in der Bedeutung »Heil dem ewigen Lichtglanz Buddha« bilden das gewöhnliche Gebet der Buddhisten. Statt ihrer gebraucht die Nichiren-Secte die chinesische Transliteration Namu miô-hô- ren-ge-kiô (Heil den Rettung bringenden Offenbarungen des Gesetzes) aus einer der ältesten canonischen Schriften. Das Gebet der Shintôisten beginnt mit den altjapanischen Worten: »Taka magahara in kami-todomari«, d. h. »O Kami, der du thronest im hohen Himmelsfelde«.

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 535. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/573>, abgerufen am 22.11.2024.