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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881.

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II. Ethnographie.
zum Theil auch in dem Bestreben, das Ansehen des Mikado zu för-
dern und dem Kamidienst neuen Aufschwung zu geben, denn das
Ziel des letzteren und seiner eifrigsten Vertreter ist doch immer nur
die Erreichung politischer Zwecke gewesen. Besondere Beamte hatten
zu untersuchen, wo ein alter Shintotempel allmählich der Verehrung
Buddhas eingeräumt worden war, und wo nur ein Schein von Recht
vorlag, wurde der Kami wieder in seine Halle eingeführt. Selbst
von den höheren Bergen, wie Tate-yama, Haku-san und anderen
holte man 1873 und 1874 die Statuen Buddhas aus den Tempelchen
und ersetzte sie durch Spiegel und Gohei. Bei dem berühmten Tempel
Kompira, jetzt Kotohira genannt, in Sanuki war 1875 auf einem Brett
angezeigt, dass wieder das gewöhnliche Shintogebet statt der Adresse
an Buddha gesprochen werden müsse. Im übrigen sind die Er-
scheinungen dort wohl wesentlich dieselben geblieben. Nach wie vor
strömen Pilger und Bettler in Menge herbei; nur sitzen dort statt der
Bonzen jetzt Kannushi und verkaufen für Geld und gute Worte die
ofuda oder Ablasskarten. Das gemeine Volk, dem Buddhismus zu-
gethan, sah die Entfernung seiner Götter mit Bedauern, fügte sich
aber, Jahrhunderte lang an sclavische Unterwürfigkeit gewöhnt, über-
all dem höheren Befehl. Den Bonzen ging die Sache natürlich weit
mehr zu Herzen und es heisst, dass sie in einigen Fällen ihren Tempel
lieber Nirwana als den Händen der Shintopriester übergaben. So sah
ich in der Neujahrsnacht 1874 den schönsten Tempel von Tokio, den
von Iyeyasu erbauten Zozoji in Shiba mit manchen alten Kunstwerken
in Flammen aufgehen nachdem er kurz zuvor zu einer Miya bestimmt
worden war.

Dieses Bestreben der Regierung, den Buddhismus durch den
Kamidienst zu verdrängen, hat glücklicherweise bedeutend nachge-
lassen. Es war auch ein sehr kurzsichtiges, eitles Bemühen, da es
kaum eine Religion gibt, die hohler wäre und weniger befriedigen
könnte, als der Shintoismus. Ihr gegenüber steht der Buddhismus,
wenn wir seinen groben Bilderdienst abstreifen, erhaben da. Er
appelliert an die religiöse Empfänglichkeit, an das Herz des Menschen
und vermochte desshalb so tiefe Wurzeln zu schlagen im besten Theile
des japanischen Volkes. Aber noch aus einem anderen Grunde ist
die Wiederbelebung des Shintoismus unmöglich. So lange nämlich
das japanische Volk, den fremden Einflüssen entzogen, in sclavischer
Unterwürfigkeit gehalten wurde und der Mikado in solcher Abge-
schiedenheit lebte, dass nur wenige seiner Unterthanen ihn zu sehen
bekamen, liess sich der alte Mythus seiner göttlichen Abstammung
mit allen seinen Consequenzen aufrecht erhalten, doch musste dieser

II. Ethnographie.
zum Theil auch in dem Bestreben, das Ansehen des Mikado zu för-
dern und dem Kamidienst neuen Aufschwung zu geben, denn das
Ziel des letzteren und seiner eifrigsten Vertreter ist doch immer nur
die Erreichung politischer Zwecke gewesen. Besondere Beamte hatten
zu untersuchen, wo ein alter Shintôtempel allmählich der Verehrung
Buddhas eingeräumt worden war, und wo nur ein Schein von Recht
vorlag, wurde der Kami wieder in seine Halle eingeführt. Selbst
von den höheren Bergen, wie Tate-yama, Haku-san und anderen
holte man 1873 und 1874 die Statuen Buddhas aus den Tempelchen
und ersetzte sie durch Spiegel und Gôhei. Bei dem berühmten Tempel
Kompira, jetzt Kotohira genannt, in Sanuki war 1875 auf einem Brett
angezeigt, dass wieder das gewöhnliche Shintôgebet statt der Adresse
an Buddha gesprochen werden müsse. Im übrigen sind die Er-
scheinungen dort wohl wesentlich dieselben geblieben. Nach wie vor
strömen Pilger und Bettler in Menge herbei; nur sitzen dort statt der
Bonzen jetzt Kannushi und verkaufen für Geld und gute Worte die
ofuda oder Ablasskarten. Das gemeine Volk, dem Buddhismus zu-
gethan, sah die Entfernung seiner Götter mit Bedauern, fügte sich
aber, Jahrhunderte lang an sclavische Unterwürfigkeit gewöhnt, über-
all dem höheren Befehl. Den Bonzen ging die Sache natürlich weit
mehr zu Herzen und es heisst, dass sie in einigen Fällen ihren Tempel
lieber Nirwâna als den Händen der Shintôpriester übergaben. So sah
ich in der Neujahrsnacht 1874 den schönsten Tempel von Tôkio, den
von Iyeyasu erbauten Zôzôji in Shiba mit manchen alten Kunstwerken
in Flammen aufgehen nachdem er kurz zuvor zu einer Miya bestimmt
worden war.

Dieses Bestreben der Regierung, den Buddhismus durch den
Kamidienst zu verdrängen, hat glücklicherweise bedeutend nachge-
lassen. Es war auch ein sehr kurzsichtiges, eitles Bemühen, da es
kaum eine Religion gibt, die hohler wäre und weniger befriedigen
könnte, als der Shintôismus. Ihr gegenüber steht der Buddhismus,
wenn wir seinen groben Bilderdienst abstreifen, erhaben da. Er
appelliert an die religiöse Empfänglichkeit, an das Herz des Menschen
und vermochte desshalb so tiefe Wurzeln zu schlagen im besten Theile
des japanischen Volkes. Aber noch aus einem anderen Grunde ist
die Wiederbelebung des Shintôismus unmöglich. So lange nämlich
das japanische Volk, den fremden Einflüssen entzogen, in sclavischer
Unterwürfigkeit gehalten wurde und der Mikado in solcher Abge-
schiedenheit lebte, dass nur wenige seiner Unterthanen ihn zu sehen
bekamen, liess sich der alte Mythus seiner göttlichen Abstammung
mit allen seinen Consequenzen aufrecht erhalten, doch musste dieser

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[536/0574] II. Ethnographie. zum Theil auch in dem Bestreben, das Ansehen des Mikado zu för- dern und dem Kamidienst neuen Aufschwung zu geben, denn das Ziel des letzteren und seiner eifrigsten Vertreter ist doch immer nur die Erreichung politischer Zwecke gewesen. Besondere Beamte hatten zu untersuchen, wo ein alter Shintôtempel allmählich der Verehrung Buddhas eingeräumt worden war, und wo nur ein Schein von Recht vorlag, wurde der Kami wieder in seine Halle eingeführt. Selbst von den höheren Bergen, wie Tate-yama, Haku-san und anderen holte man 1873 und 1874 die Statuen Buddhas aus den Tempelchen und ersetzte sie durch Spiegel und Gôhei. Bei dem berühmten Tempel Kompira, jetzt Kotohira genannt, in Sanuki war 1875 auf einem Brett angezeigt, dass wieder das gewöhnliche Shintôgebet statt der Adresse an Buddha gesprochen werden müsse. Im übrigen sind die Er- scheinungen dort wohl wesentlich dieselben geblieben. Nach wie vor strömen Pilger und Bettler in Menge herbei; nur sitzen dort statt der Bonzen jetzt Kannushi und verkaufen für Geld und gute Worte die ofuda oder Ablasskarten. Das gemeine Volk, dem Buddhismus zu- gethan, sah die Entfernung seiner Götter mit Bedauern, fügte sich aber, Jahrhunderte lang an sclavische Unterwürfigkeit gewöhnt, über- all dem höheren Befehl. Den Bonzen ging die Sache natürlich weit mehr zu Herzen und es heisst, dass sie in einigen Fällen ihren Tempel lieber Nirwâna als den Händen der Shintôpriester übergaben. So sah ich in der Neujahrsnacht 1874 den schönsten Tempel von Tôkio, den von Iyeyasu erbauten Zôzôji in Shiba mit manchen alten Kunstwerken in Flammen aufgehen nachdem er kurz zuvor zu einer Miya bestimmt worden war. Dieses Bestreben der Regierung, den Buddhismus durch den Kamidienst zu verdrängen, hat glücklicherweise bedeutend nachge- lassen. Es war auch ein sehr kurzsichtiges, eitles Bemühen, da es kaum eine Religion gibt, die hohler wäre und weniger befriedigen könnte, als der Shintôismus. Ihr gegenüber steht der Buddhismus, wenn wir seinen groben Bilderdienst abstreifen, erhaben da. Er appelliert an die religiöse Empfänglichkeit, an das Herz des Menschen und vermochte desshalb so tiefe Wurzeln zu schlagen im besten Theile des japanischen Volkes. Aber noch aus einem anderen Grunde ist die Wiederbelebung des Shintôismus unmöglich. So lange nämlich das japanische Volk, den fremden Einflüssen entzogen, in sclavischer Unterwürfigkeit gehalten wurde und der Mikado in solcher Abge- schiedenheit lebte, dass nur wenige seiner Unterthanen ihn zu sehen bekamen, liess sich der alte Mythus seiner göttlichen Abstammung mit allen seinen Consequenzen aufrecht erhalten, doch musste dieser

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 536. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/574>, abgerufen am 22.11.2024.