geworden und zwar in Folge des Seichterwerdens der Eingänge beider- seits von O-shima. Man wird hier zunächst an ein Versanden denken; doch diese Annahme ist nicht zulässig, denn weder mündet hier ein Fluss, von dem es herrühren könnte, noch ist die Strömung und Wellenbewegung längs der Küste geeignet, dies zu bewirken.
Eine halbe Stunde von Kisenuma liegt am nördlichsten Zipfel der Bai der kleine Ort Shishiori, dessen Bewohner am flachen Ge- stade Seesalz gewinnen. Ein neu angelegter Weg führt von Kisenuma am Rande der Bucht hin und hält sich etwa 0,5 Meter über dem höchsten Wasserstande. Bald nach Kisenuma biegt er um eine steil zu ihm abfallende graue Kalksteinwand, welche von schmalen Kalk- spathadern durchzogen und gleich der Schieferformation ringsum ohne Zweifel paläozoischen Ursprungs ist. An dieser Wand nun gewahrt man dicht über dem Wege ein etwa 80 cm breites horizontales Band, in welchem der Kalkstein wie ein Schwamm grob durchlöchert ist. Lithophaga, die weit verbreitete Saxicava rugosa und insbesondere Petricola japonica Dunker (sp. n.), deren Schalen noch wohl erhalten in manchen der Höhlungen zu sehen sind, legen hier über die jüngste Geschichte dieser Küste ein eben so deutliches Zeugniss ab, wie Modiola lithophaga in den Säulen des Serapis-Tempels bei Puzzuoli. Man muss die Hebung, welche die Küste von Kamaye-ura in neuester Zeit erfahren hat, auf mindestens 1,5 Meter veranschlagen. Ohne Zweifel steht damit das Seichterwerden der Einfahrt bei Oshima in innigster Verbindung und findet dadurch seine natürliche Erklärung.
In seiner Studie über die Ebene von Yedo*) hat Naumann sichere Beweise für die recente Hebung derselben, ja der ganzen Ebene von Kuwanto gebracht. Er hat darauf aufmerksam gemacht, dass Karten aus der 1. Hälfte des 11. Jahrhunderts die Yedobucht viel weiter nach Norden gehen lassen; die Mündung des Sumida lag mehr zurück, und der Boden der ganzen Unterstadt des heutigen Tokio war unter Wasser. Noch in der Mitte des 16. Jahrhunderts bedeckte das Meer die beiden Stadttheile zur Linken des Flusses, nämlich Fuka-gawa und Honjo, vollständig. Es gab somit eine Zeit, wo der jetzt so dicht bevölkerte Distrikt Asakusa am Meere lag und die nur in Salzwasser gedeihende Alge Porphyra vulgaris Ag. in seiner nächsten Nähe wuchs. Daher stammt für sie der Name Asakusa nori, welcher zuerst die Aufmerksamkeit Naumann's auf diese interessanten Ver- hältnisse lenkte.
Naumann weist nach, dass das Zurückweichen des Meeres nicht
*)Petermann's Mittheilungen 1879, pag. 121.
Rein, Japan I. 5
Wirkungen subterraner Kräfte.
geworden und zwar in Folge des Seichterwerdens der Eingänge beider- seits von Ô-shima. Man wird hier zunächst an ein Versanden denken; doch diese Annahme ist nicht zulässig, denn weder mündet hier ein Fluss, von dem es herrühren könnte, noch ist die Strömung und Wellenbewegung längs der Küste geeignet, dies zu bewirken.
Eine halbe Stunde von Kisenuma liegt am nördlichsten Zipfel der Bai der kleine Ort Shishiori, dessen Bewohner am flachen Ge- stade Seesalz gewinnen. Ein neu angelegter Weg führt von Kisenuma am Rande der Bucht hin und hält sich etwa 0,5 Meter über dem höchsten Wasserstande. Bald nach Kisenuma biegt er um eine steil zu ihm abfallende graue Kalksteinwand, welche von schmalen Kalk- spathadern durchzogen und gleich der Schieferformation ringsum ohne Zweifel paläozoischen Ursprungs ist. An dieser Wand nun gewahrt man dicht über dem Wege ein etwa 80 cm breites horizontales Band, in welchem der Kalkstein wie ein Schwamm grob durchlöchert ist. Lithophaga, die weit verbreitete Saxicava rugosa und insbesondere Petricola japonica Dunker (sp. n.), deren Schalen noch wohl erhalten in manchen der Höhlungen zu sehen sind, legen hier über die jüngste Geschichte dieser Küste ein eben so deutliches Zeugniss ab, wie Modiola lithophaga in den Säulen des Serapis-Tempels bei Puzzuoli. Man muss die Hebung, welche die Küste von Kamaye-ura in neuester Zeit erfahren hat, auf mindestens 1,5 Meter veranschlagen. Ohne Zweifel steht damit das Seichterwerden der Einfahrt bei Ôshima in innigster Verbindung und findet dadurch seine natürliche Erklärung.
In seiner Studie über die Ebene von Yedo*) hat Naumann sichere Beweise für die recente Hebung derselben, ja der ganzen Ebene von Kuwantô gebracht. Er hat darauf aufmerksam gemacht, dass Karten aus der 1. Hälfte des 11. Jahrhunderts die Yedobucht viel weiter nach Norden gehen lassen; die Mündung des Sumida lag mehr zurück, und der Boden der ganzen Unterstadt des heutigen Tôkio war unter Wasser. Noch in der Mitte des 16. Jahrhunderts bedeckte das Meer die beiden Stadttheile zur Linken des Flusses, nämlich Fuka-gawa und Honjô, vollständig. Es gab somit eine Zeit, wo der jetzt so dicht bevölkerte Distrikt Asakusa am Meere lag und die nur in Salzwasser gedeihende Alge Porphyra vulgaris Ag. in seiner nächsten Nähe wuchs. Daher stammt für sie der Name Asakusa nori, welcher zuerst die Aufmerksamkeit Naumann’s auf diese interessanten Ver- hältnisse lenkte.
Naumann weist nach, dass das Zurückweichen des Meeres nicht
*)Petermann’s Mittheilungen 1879, pag. 121.
Rein, Japan I. 5
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Wirkungen subterraner Kräfte.
geworden und zwar in Folge des Seichterwerdens der Eingänge beider-
seits von Ô-shima. Man wird hier zunächst an ein Versanden denken;
doch diese Annahme ist nicht zulässig, denn weder mündet hier ein
Fluss, von dem es herrühren könnte, noch ist die Strömung und
Wellenbewegung längs der Küste geeignet, dies zu bewirken.
Eine halbe Stunde von Kisenuma liegt am nördlichsten Zipfel
der Bai der kleine Ort Shishiori, dessen Bewohner am flachen Ge-
stade Seesalz gewinnen. Ein neu angelegter Weg führt von Kisenuma
am Rande der Bucht hin und hält sich etwa 0,5 Meter über dem
höchsten Wasserstande. Bald nach Kisenuma biegt er um eine steil
zu ihm abfallende graue Kalksteinwand, welche von schmalen Kalk-
spathadern durchzogen und gleich der Schieferformation ringsum ohne
Zweifel paläozoischen Ursprungs ist. An dieser Wand nun gewahrt
man dicht über dem Wege ein etwa 80 cm breites horizontales Band,
in welchem der Kalkstein wie ein Schwamm grob durchlöchert ist.
Lithophaga, die weit verbreitete Saxicava rugosa und insbesondere
Petricola japonica Dunker (sp. n.), deren Schalen noch wohl erhalten
in manchen der Höhlungen zu sehen sind, legen hier über die jüngste
Geschichte dieser Küste ein eben so deutliches Zeugniss ab, wie
Modiola lithophaga in den Säulen des Serapis-Tempels bei Puzzuoli.
Man muss die Hebung, welche die Küste von Kamaye-ura in neuester
Zeit erfahren hat, auf mindestens 1,5 Meter veranschlagen. Ohne
Zweifel steht damit das Seichterwerden der Einfahrt bei Ôshima in
innigster Verbindung und findet dadurch seine natürliche Erklärung.
In seiner Studie über die Ebene von Yedo *) hat Naumann
sichere Beweise für die recente Hebung derselben, ja der ganzen
Ebene von Kuwantô gebracht. Er hat darauf aufmerksam gemacht,
dass Karten aus der 1. Hälfte des 11. Jahrhunderts die Yedobucht
viel weiter nach Norden gehen lassen; die Mündung des Sumida lag
mehr zurück, und der Boden der ganzen Unterstadt des heutigen Tôkio
war unter Wasser. Noch in der Mitte des 16. Jahrhunderts bedeckte
das Meer die beiden Stadttheile zur Linken des Flusses, nämlich
Fuka-gawa und Honjô, vollständig. Es gab somit eine Zeit, wo der
jetzt so dicht bevölkerte Distrikt Asakusa am Meere lag und die nur in
Salzwasser gedeihende Alge Porphyra vulgaris Ag. in seiner nächsten
Nähe wuchs. Daher stammt für sie der Name Asakusa nori, welcher
zuerst die Aufmerksamkeit Naumann’s auf diese interessanten Ver-
hältnisse lenkte.
Naumann weist nach, dass das Zurückweichen des Meeres nicht
*) Petermann’s Mittheilungen 1879, pag. 121.
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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/85>, abgerufen am 21.11.2024.
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