Die Gewichtszunahme der Raupen ist also eine ganz enorme, namentlich nach der vierten Häutung. Die spinnreifen Raupen haben ihr Lebendgewicht fast um das 5400 fache vermehrt und zwar inner- halb 34 Tagen und 10 Stunden der gesammten Entwickelungszeit. Während von den frisch ausgekrochenen Räupchen 2415 auf ein Gramm gehen, wiegt von den spinnreifen ein einziges 2,22 mal so viel.
Die Raupe verliert vor dem Verspinnen ihre Fresslust, kriecht un- ruhig umher, richtet sich oft sphinxartig empor, entleert sich ihrer Excremente und wird auffallend durchscheinend. Die grösste Ver- änderung ist jedoch in ihrem Innern vorgegangen. Die beiden Spinn- drüsen, -- lange gewundene Schläuche, welche beiderseits des Er- nährungscanals der Raupe sich befinden --, haben sich allmählich mit durchsichtigem, dickflüssigem Seidenstoff gefüllt, welcher beim Ver- spinnen der Raupe aus ihnen durch die sogenannten Spinnwarzen am Kopfe hervortritt und zu zwei getrennten Fäden erstarrt, die sich aber sofort in dem kurzen, gemeinsamen Ausführungscanal in Folge ihres Leimüberzugs zu einem Doppelfaden verkitten. Die Länge desselben wechselt bei verschiedenen Rassen und Cocons nach ihrem Seiden- reichthum zwischen 350 und 650 Meter.*)
Zum Verspinnen sucht sich die Raupe gern einen Winkel, die Gabel eines Zweiges oder sonstige Anhaltpunkte für ihre ersten Fäden auf. Der Seidenzüchter kommt ihr bei dieser Neigung zur Hülfe und wendet verschiedene Vorkehrungen an, um die Coconsbildung zu för- dern. Eine der einfachsten und zweckdienlichsten ist die, dass man über dem Lager der spinnreifen Raupen Rapsstengel ausbreitet, deren zahlreiche, leichte Verästelungen denselben Gelegenheit zur Befestigung ihrer ersten Fäden bieten. An andern Orten Japans bindet man kleine lockere Wellen von stark verästeltem Reissig so lang, als das Lager breit ist, und legt sie quer über dasselbe. In Nagahama am Biwa- See sah ich noch ein anderes, ganz abweichendes Verfahren anwen- den, indem man eine Art kleiner Strohdüten über dem Lager aus- breitete, welche die Raupen leicht erreichten und gern zur Verpuppung benutzten.
Das Verpuppen ist in 3--4 Tagen fertig. Die Raupe macht zuerst eine lockere, ellipsoidische Hülle und dann erst, von dieser getragen,
*) Unter dem jap. Namen Tengusu, engl. Silkworm-gut, franz. fil de Flo- rence, kennt man im Handel starke Seidenfäden vom Aussehen der Violinsaiten. Sie werden in China direkt aus den Spinndrüsen ausgewachsener Seidenraupen dargestellt und seit einiger Zeit bei uns zu chirurgischen Nähten, sonst aber viel zu Angelschnüren verwendet. (Siehe auch Caligula japonica Butl.)
I. Land- und Forstwirthschaft.
Die Gewichtszunahme der Raupen ist also eine ganz enorme, namentlich nach der vierten Häutung. Die spinnreifen Raupen haben ihr Lebendgewicht fast um das 5400 fache vermehrt und zwar inner- halb 34 Tagen und 10 Stunden der gesammten Entwickelungszeit. Während von den frisch ausgekrochenen Räupchen 2415 auf ein Gramm gehen, wiegt von den spinnreifen ein einziges 2,22 mal so viel.
Die Raupe verliert vor dem Verspinnen ihre Fresslust, kriecht un- ruhig umher, richtet sich oft sphinxartig empor, entleert sich ihrer Excremente und wird auffallend durchscheinend. Die grösste Ver- änderung ist jedoch in ihrem Innern vorgegangen. Die beiden Spinn- drüsen, — lange gewundene Schläuche, welche beiderseits des Er- nährungscanals der Raupe sich befinden —, haben sich allmählich mit durchsichtigem, dickflüssigem Seidenstoff gefüllt, welcher beim Ver- spinnen der Raupe aus ihnen durch die sogenannten Spinnwarzen am Kopfe hervortritt und zu zwei getrennten Fäden erstarrt, die sich aber sofort in dem kurzen, gemeinsamen Ausführungscanal in Folge ihres Leimüberzugs zu einem Doppelfaden verkitten. Die Länge desselben wechselt bei verschiedenen Rassen und Cocons nach ihrem Seiden- reichthum zwischen 350 und 650 Meter.*)
Zum Verspinnen sucht sich die Raupe gern einen Winkel, die Gabel eines Zweiges oder sonstige Anhaltpunkte für ihre ersten Fäden auf. Der Seidenzüchter kommt ihr bei dieser Neigung zur Hülfe und wendet verschiedene Vorkehrungen an, um die Coconsbildung zu för- dern. Eine der einfachsten und zweckdienlichsten ist die, dass man über dem Lager der spinnreifen Raupen Rapsstengel ausbreitet, deren zahlreiche, leichte Verästelungen denselben Gelegenheit zur Befestigung ihrer ersten Fäden bieten. An andern Orten Japans bindet man kleine lockere Wellen von stark verästeltem Reissig so lang, als das Lager breit ist, und legt sie quer über dasselbe. In Nagahama am Biwa- See sah ich noch ein anderes, ganz abweichendes Verfahren anwen- den, indem man eine Art kleiner Strohdüten über dem Lager aus- breitete, welche die Raupen leicht erreichten und gern zur Verpuppung benutzten.
Das Verpuppen ist in 3—4 Tagen fertig. Die Raupe macht zuerst eine lockere, ellipsoidische Hülle und dann erst, von dieser getragen,
*) Unter dem jap. Namen Tengusu, engl. Silkworm-gut, franz. fil de Flo- rence, kennt man im Handel starke Seidenfäden vom Aussehen der Violinsaiten. Sie werden in China direkt aus den Spinndrüsen ausgewachsener Seidenraupen dargestellt und seit einiger Zeit bei uns zu chirurgischen Nähten, sonst aber viel zu Angelschnüren verwendet. (Siehe auch Caligula japonica Butl.)
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I. Land- und Forstwirthschaft.
Die Gewichtszunahme der Raupen ist also eine ganz enorme,
namentlich nach der vierten Häutung. Die spinnreifen Raupen haben
ihr Lebendgewicht fast um das 5400 fache vermehrt und zwar inner-
halb 34 Tagen und 10 Stunden der gesammten Entwickelungszeit.
Während von den frisch ausgekrochenen Räupchen 2415 auf ein
Gramm gehen, wiegt von den spinnreifen ein einziges 2,22 mal so viel.
Die Raupe verliert vor dem Verspinnen ihre Fresslust, kriecht un-
ruhig umher, richtet sich oft sphinxartig empor, entleert sich ihrer
Excremente und wird auffallend durchscheinend. Die grösste Ver-
änderung ist jedoch in ihrem Innern vorgegangen. Die beiden Spinn-
drüsen, — lange gewundene Schläuche, welche beiderseits des Er-
nährungscanals der Raupe sich befinden —, haben sich allmählich mit
durchsichtigem, dickflüssigem Seidenstoff gefüllt, welcher beim Ver-
spinnen der Raupe aus ihnen durch die sogenannten Spinnwarzen am
Kopfe hervortritt und zu zwei getrennten Fäden erstarrt, die sich aber
sofort in dem kurzen, gemeinsamen Ausführungscanal in Folge ihres
Leimüberzugs zu einem Doppelfaden verkitten. Die Länge desselben
wechselt bei verschiedenen Rassen und Cocons nach ihrem Seiden-
reichthum zwischen 350 und 650 Meter. *)
Zum Verspinnen sucht sich die Raupe gern einen Winkel, die
Gabel eines Zweiges oder sonstige Anhaltpunkte für ihre ersten Fäden
auf. Der Seidenzüchter kommt ihr bei dieser Neigung zur Hülfe und
wendet verschiedene Vorkehrungen an, um die Coconsbildung zu för-
dern. Eine der einfachsten und zweckdienlichsten ist die, dass man
über dem Lager der spinnreifen Raupen Rapsstengel ausbreitet, deren
zahlreiche, leichte Verästelungen denselben Gelegenheit zur Befestigung
ihrer ersten Fäden bieten. An andern Orten Japans bindet man kleine
lockere Wellen von stark verästeltem Reissig so lang, als das Lager
breit ist, und legt sie quer über dasselbe. In Nagahama am Biwa-
See sah ich noch ein anderes, ganz abweichendes Verfahren anwen-
den, indem man eine Art kleiner Strohdüten über dem Lager aus-
breitete, welche die Raupen leicht erreichten und gern zur Verpuppung
benutzten.
Das Verpuppen ist in 3—4 Tagen fertig. Die Raupe macht zuerst
eine lockere, ellipsoidische Hülle und dann erst, von dieser getragen,
*) Unter dem jap. Namen Tengusu, engl. Silkworm-gut, franz. fil de Flo-
rence, kennt man im Handel starke Seidenfäden vom Aussehen der Violinsaiten.
Sie werden in China direkt aus den Spinndrüsen ausgewachsener Seidenraupen
dargestellt und seit einiger Zeit bei uns zu chirurgischen Nähten, sonst aber viel
zu Angelschnüren verwendet. (Siehe auch Caligula japonica Butl.)
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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 2. Leipzig, 1886, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan02_1886/254>, abgerufen am 22.11.2024.
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