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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 2. Leipzig, 1886.

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1. Das japanische Kunstgewerbe im Allgemeinen.
nen unnatürlich und unverhältnissmässig lang horizontal gezogenen
Aesten. Exemplare, die in dieser Beziehung besonders monströs sind,
wie z. B. die alte Kiefer von Karasaki am Biwasee, zählen zu den
grossen Sehenswürdigkeiten des Landes und werden von weither
besucht.

Wie die Architectur, so zeigen auch viele kunstgewerbliche Er-
zeugnisse für sich, dass die constructive Kunst in Japan viel weniger
entwickelt ist, als die decorative. "Die edle, stille Grösse der grie-
chischen Meisterwerke" (Winkelmann), auch z. B. in der Keramik,
suchen wir unter den meisten Producten des japanischen Kunstgewer-
bes vergeblich. Wie die Tempel und Daimioburgen, welche sie früher
vornehmlich bargen, so sind auch viele ihrer Formen schwerfällig und
gedrückt. Daneben gibt es allerdings manche, die an Leichtigkeit
und Gefälligkeit der Gestalt allen Anforderungen eines geläuterten
Geschmackes entsprechen. Doch liegt ihr Hauptvorzug unstreitig in
der Decoration. Die Compositionen zeigen eine bewältigende Wahr-
heit und Kraft und entzücken durch diese lebensvolle Naturtreue, das
oft meisterhaft angebrachte Colorit und die hohe technische Vollen-
dung der Ausschmückung.

Die meisten der schlank aufstrebenden, wohlproportionierten For-
men der arischen Völker fehlen oder sind bis zur Unkenntlichkeit
verändert worden. So vermissen wir in der Keramik und Metall-
industrie die schönen Vasen- und Kannenformen Amphora, Hydria,
Lekythos und Oinochoe, wogegen Krater und Kantharos in mancherlei
Modificationen, namentlich bei Bronzevasen, vorkommen, weil sie sich
für die Auseinanderbreitung hineingesteckter blühender Zweige be-
sonders eignen. Die schöne Form des indischen Sarai, welche man
in der Neuzeit auch bei uns zu Wasser- und Weinflaschen aus Kry-
stallglas viel verwendet, hat in China und Japan bei ihren Nachbil-
dungen in Porzellan und Bronze viele Veränderungen erfahren. Die
der Kugelform sich nähernde Erweiterung an der Basis ist meist ge-
blieben; aber an Stelle des engen, schlanken Halses ist ein weniger ge-
fälliger, weiterer getreten, der oft noch oben mit flügelartigen Anhängseln
oder wirklichen Griffen versehen wird. Die Form der griechischen
Weinkanne dagegen hat sich nie einzubürgern vermocht, so oft sie auch
mit Geschenken der Portugiesen und Holländer in's Land gekommen ist.

Vom Bambusrohr abgeleitete cylindrische Vasenformen, sowie poly-
gonal-prismatische, scheinen dem chinesisch-japanischen Kunstgewerbe
eigen zu sein. Keine ethnographische Sammlung Europas weist sie
sonst auf. Bei den Römern waren wohl prismatische Glasflaschen mit
quadratischer, hexagonaler oder octagonaler Basis, nach oben rasch

1. Das japanische Kunstgewerbe im Allgemeinen.
nen unnatürlich und unverhältnissmässig lang horizontal gezogenen
Aesten. Exemplare, die in dieser Beziehung besonders monströs sind,
wie z. B. die alte Kiefer von Karasaki am Biwasee, zählen zu den
grossen Sehenswürdigkeiten des Landes und werden von weither
besucht.

Wie die Architectur, so zeigen auch viele kunstgewerbliche Er-
zeugnisse für sich, dass die constructive Kunst in Japan viel weniger
entwickelt ist, als die decorative. »Die edle, stille Grösse der grie-
chischen Meisterwerke« (Winkelmann), auch z. B. in der Keramik,
suchen wir unter den meisten Producten des japanischen Kunstgewer-
bes vergeblich. Wie die Tempel und Daimiôburgen, welche sie früher
vornehmlich bargen, so sind auch viele ihrer Formen schwerfällig und
gedrückt. Daneben gibt es allerdings manche, die an Leichtigkeit
und Gefälligkeit der Gestalt allen Anforderungen eines geläuterten
Geschmackes entsprechen. Doch liegt ihr Hauptvorzug unstreitig in
der Decoration. Die Compositionen zeigen eine bewältigende Wahr-
heit und Kraft und entzücken durch diese lebensvolle Naturtreue, das
oft meisterhaft angebrachte Colorit und die hohe technische Vollen-
dung der Ausschmückung.

Die meisten der schlank aufstrebenden, wohlproportionierten For-
men der arischen Völker fehlen oder sind bis zur Unkenntlichkeit
verändert worden. So vermissen wir in der Keramik und Metall-
industrie die schönen Vasen- und Kannenformen Amphora, Hydria,
Lekythos und Oinochoë, wogegen Krater und Kantharos in mancherlei
Modificationen, namentlich bei Bronzevasen, vorkommen, weil sie sich
für die Auseinanderbreitung hineingesteckter blühender Zweige be-
sonders eignen. Die schöne Form des indischen Sarai, welche man
in der Neuzeit auch bei uns zu Wasser- und Weinflaschen aus Kry-
stallglas viel verwendet, hat in China und Japan bei ihren Nachbil-
dungen in Porzellan und Bronze viele Veränderungen erfahren. Die
der Kugelform sich nähernde Erweiterung an der Basis ist meist ge-
blieben; aber an Stelle des engen, schlanken Halses ist ein weniger ge-
fälliger, weiterer getreten, der oft noch oben mit flügelartigen Anhängseln
oder wirklichen Griffen versehen wird. Die Form der griechischen
Weinkanne dagegen hat sich nie einzubürgern vermocht, so oft sie auch
mit Geschenken der Portugiesen und Holländer in’s Land gekommen ist.

Vom Bambusrohr abgeleitete cylindrische Vasenformen, sowie poly-
gonal-prismatische, scheinen dem chinesisch-japanischen Kunstgewerbe
eigen zu sein. Keine ethnographische Sammlung Europas weist sie
sonst auf. Bei den Römern waren wohl prismatische Glasflaschen mit
quadratischer, hexagonaler oder octagonaler Basis, nach oben rasch

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[377/0401] 1. Das japanische Kunstgewerbe im Allgemeinen. nen unnatürlich und unverhältnissmässig lang horizontal gezogenen Aesten. Exemplare, die in dieser Beziehung besonders monströs sind, wie z. B. die alte Kiefer von Karasaki am Biwasee, zählen zu den grossen Sehenswürdigkeiten des Landes und werden von weither besucht. Wie die Architectur, so zeigen auch viele kunstgewerbliche Er- zeugnisse für sich, dass die constructive Kunst in Japan viel weniger entwickelt ist, als die decorative. »Die edle, stille Grösse der grie- chischen Meisterwerke« (Winkelmann), auch z. B. in der Keramik, suchen wir unter den meisten Producten des japanischen Kunstgewer- bes vergeblich. Wie die Tempel und Daimiôburgen, welche sie früher vornehmlich bargen, so sind auch viele ihrer Formen schwerfällig und gedrückt. Daneben gibt es allerdings manche, die an Leichtigkeit und Gefälligkeit der Gestalt allen Anforderungen eines geläuterten Geschmackes entsprechen. Doch liegt ihr Hauptvorzug unstreitig in der Decoration. Die Compositionen zeigen eine bewältigende Wahr- heit und Kraft und entzücken durch diese lebensvolle Naturtreue, das oft meisterhaft angebrachte Colorit und die hohe technische Vollen- dung der Ausschmückung. Die meisten der schlank aufstrebenden, wohlproportionierten For- men der arischen Völker fehlen oder sind bis zur Unkenntlichkeit verändert worden. So vermissen wir in der Keramik und Metall- industrie die schönen Vasen- und Kannenformen Amphora, Hydria, Lekythos und Oinochoë, wogegen Krater und Kantharos in mancherlei Modificationen, namentlich bei Bronzevasen, vorkommen, weil sie sich für die Auseinanderbreitung hineingesteckter blühender Zweige be- sonders eignen. Die schöne Form des indischen Sarai, welche man in der Neuzeit auch bei uns zu Wasser- und Weinflaschen aus Kry- stallglas viel verwendet, hat in China und Japan bei ihren Nachbil- dungen in Porzellan und Bronze viele Veränderungen erfahren. Die der Kugelform sich nähernde Erweiterung an der Basis ist meist ge- blieben; aber an Stelle des engen, schlanken Halses ist ein weniger ge- fälliger, weiterer getreten, der oft noch oben mit flügelartigen Anhängseln oder wirklichen Griffen versehen wird. Die Form der griechischen Weinkanne dagegen hat sich nie einzubürgern vermocht, so oft sie auch mit Geschenken der Portugiesen und Holländer in’s Land gekommen ist. Vom Bambusrohr abgeleitete cylindrische Vasenformen, sowie poly- gonal-prismatische, scheinen dem chinesisch-japanischen Kunstgewerbe eigen zu sein. Keine ethnographische Sammlung Europas weist sie sonst auf. Bei den Römern waren wohl prismatische Glasflaschen mit quadratischer, hexagonaler oder octagonaler Basis, nach oben rasch

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 2. Leipzig, 1886, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan02_1886/401>, abgerufen am 22.11.2024.