richt von seiner vorläufigen Reise, welche Vic- torin viel Freude machte, und der Entschluß ward geändert. Er verschob seine Abreise auf den andern Tag, und Abends ließ er die Vor- nehmsten seiner Kolonie versammlen, und hielt ih- nen folgende Anrede:
"Geliebten Landsleute, ich habe die Ehre euer Oberhaupt zu seyn, und ob wir schon al- le in dieser glücklichen Kolonie einander gleich sind, weil wir alle Menschen sind, so betrach- tet ihr mich doch als euren Stifter. Aber ich verlange die Vorzüge meiner Stelle nicht an- ders, als mit der dabei verbundenen Mühe, Beschwerlichkeit und Aufopferung; ihr seid alle durch ein anständiges und freundschaftliches Be- tragen glücklich. Nothwendig muß meine Fa- milie und ich über diese Grenzen hinaus gehen, um die Achtung, womit ihr uns beehrt, zu ver- dienen; wir müssen eure Ruhe, eure Sicherheit und eure Handlung mit den benachbarten Nationen zu schützen suchen. Meine Mitbürger, seit dem mein Sohn mannbar worden, denk ich auf ei- nen grossen Plan, einen Plan, der euch in Er- staunen setzen wird. Der Erfolg desselben scheint mir noch ungewis, aber seine Vortheile wären unermeßlich. Er ist folgender: ihr habt reizende Töch- ter, mein ältester Sohn ist liebenswürdig: ganz ge- wiß muß er dereinst für eine derselben Zärtlichkeit fühlen, aber noch, das bin ich versichert, hat sein Herz sich keiner geweiht. Meine Absicht ist,
daß
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richt von ſeiner vorlaͤufigen Reiſe, welche Vic- torin viel Freude machte, und der Entſchluß ward geaͤndert. Er verſchob ſeine Abreiſe auf den andern Tag, und Abends ließ er die Vor- nehmſten ſeiner Kolonie verſammlen, und hielt ih- nen folgende Anrede:
„Geliebten Landsleute, ich habe die Ehre euer Oberhaupt zu ſeyn, und ob wir ſchon al- le in dieſer gluͤcklichen Kolonie einander gleich ſind, weil wir alle Menſchen ſind, ſo betrach- tet ihr mich doch als euren Stifter. Aber ich verlange die Vorzuͤge meiner Stelle nicht an- ders, als mit der dabei verbundenen Muͤhe, Beſchwerlichkeit und Aufopferung; ihr ſeid alle durch ein anſtaͤndiges und freundſchaftliches Be- tragen gluͤcklich. Nothwendig muß meine Fa- milie und ich uͤber dieſe Grenzen hinaus gehen, um die Achtung, womit ihr uns beehrt, zu ver- dienen; wir muͤſſen eure Ruhe, eure Sicherheit und eure Handlung mit den benachbarten Nationen zu ſchuͤtzen ſuchen. Meine Mitbuͤrger, ſeit dem mein Sohn mannbar worden, denk ich auf ei- nen groſſen Plan, einen Plan, der euch in Er- ſtaunen ſetzen wird. Der Erfolg deſſelben ſcheint mir noch ungewis, aber ſeine Vortheile waͤren unermeßlich. Er iſt folgender: ihr habt reizende Toͤch- ter, mein aͤlteſter Sohn iſt liebenswuͤrdig: ganz ge- wiß muß er dereinſt fuͤr eine derſelben Zaͤrtlichkeit fuͤhlen, aber noch, das bin ich verſichert, hat ſein Herz ſich keiner geweiht. Meine Abſicht iſt,
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richt von ſeiner vorlaͤufigen Reiſe, welche Vic-
torin viel Freude machte, und der Entſchluß
ward geaͤndert. Er verſchob ſeine Abreiſe auf
den andern Tag, und Abends ließ er die Vor-
nehmſten ſeiner Kolonie verſammlen, und hielt ih-
nen folgende Anrede:
„Geliebten Landsleute, ich habe die Ehre
euer Oberhaupt zu ſeyn, und ob wir ſchon al-
le in dieſer gluͤcklichen Kolonie einander gleich
ſind, weil wir alle Menſchen ſind, ſo betrach-
tet ihr mich doch als euren Stifter. Aber ich
verlange die Vorzuͤge meiner Stelle nicht an-
ders, als mit der dabei verbundenen Muͤhe,
Beſchwerlichkeit und Aufopferung; ihr ſeid alle
durch ein anſtaͤndiges und freundſchaftliches Be-
tragen gluͤcklich. Nothwendig muß meine Fa-
milie und ich uͤber dieſe Grenzen hinaus gehen,
um die Achtung, womit ihr uns beehrt, zu ver-
dienen; wir muͤſſen eure Ruhe, eure Sicherheit
und eure Handlung mit den benachbarten Nationen
zu ſchuͤtzen ſuchen. Meine Mitbuͤrger, ſeit dem
mein Sohn mannbar worden, denk ich auf ei-
nen groſſen Plan, einen Plan, der euch in Er-
ſtaunen ſetzen wird. Der Erfolg deſſelben ſcheint
mir noch ungewis, aber ſeine Vortheile waͤren
unermeßlich. Er iſt folgender: ihr habt reizende Toͤch-
ter, mein aͤlteſter Sohn iſt liebenswuͤrdig: ganz ge-
wiß muß er dereinſt fuͤr eine derſelben Zaͤrtlichkeit
fuͤhlen, aber noch, das bin ich verſichert, hat
ſein Herz ſich keiner geweiht. Meine Abſicht iſt,
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Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785/155>, abgerufen am 16.02.2025.
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