Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785.Rousseau und ich hatte Wissenschaft davon. Jch werde lebenslang ein Stillschweigen darüber beob- achten, und diese Begebenheit soll nicht eher, als nach meinem Tode bekannt werden. Erst die Nach- welt mag es erfahren, daß in dem Grabmaal zu Er- menonville nichts befindlich ist. Jetzt nahm der Südman das Wort und erzählte Vor ungefähr siebzig Jahren erfand ein junger Victorin -- so hieß dieser Dauphinese -- Christine war die Schönheit selbst, wenigstens heit
Rouſſeau und ich hatte Wiſſenſchaft davon. Jch werde lebenslang ein Stillſchweigen daruͤber beob- achten, und dieſe Begebenheit ſoll nicht eher, als nach meinem Tode bekannt werden. Erſt die Nach- welt mag es erfahren, daß in dem Grabmaal zu Er- menonville nichts befindlich iſt. Jetzt nahm der Suͤdman das Wort und erzaͤhlte Vor ungefaͤhr ſiebzig Jahren erfand ein junger Victorin — ſo hieß dieſer Dauphineſe — Chriſtine war die Schoͤnheit ſelbſt, wenigſtens heit
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0019" n="11"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/><hi rendition="#fr">Rouſſeau</hi> und ich hatte Wiſſenſchaft davon. Jch<lb/> werde lebenslang ein Stillſchweigen daruͤber beob-<lb/> achten, und dieſe Begebenheit ſoll nicht eher, als<lb/> nach meinem Tode bekannt werden. Erſt die Nach-<lb/> welt mag es erfahren, daß in dem Grabmaal zu Er-<lb/> menonville nichts befindlich iſt.</p><lb/> <p>Jetzt nahm der Suͤdman das Wort und erzaͤhlte<lb/> mir folgende außerordentliche Begebenheiten.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p><hi rendition="#in">V</hi>or ungefaͤhr ſiebzig Jahren erfand ein junger<lb/> Mann aus der Dauphine das Geheimniß zu flie-<lb/> gen — zu fliegen wie die Voͤgel, wenn ich mich<lb/> deutlich erklaͤren muß. — Liebe war der Beweg-<lb/> grund, welche ihn die Sehnſucht zum Fliegen<lb/> einfloͤßte.</p><lb/> <p><hi rendition="#fr">Victorin</hi> — ſo hieß dieſer Dauphineſe —<lb/> der Sohn eines bloßen Fiſcalprocurators, verliebte<lb/> ſich ſterblich in die ſchoͤne <hi rendition="#fr">Chriſtine,</hi> die Tochter<lb/> ſeines Edelmanns.</p><lb/> <p><hi rendition="#fr">Chriſtine</hi> war die Schoͤnheit ſelbſt, wenigſtens<lb/> die Schoͤnſte, welche Victorin je geſehen hatte: Er<lb/> dachte nur an ſie; die Liebe verzehrte ihn; und da<lb/> keine Hoffnung ſeine Leidenſchaft unterſtuͤtzte, ward<lb/> ſie fuͤr ihn die heftigſte Folter. Jmmer ſuchte der<lb/> Juͤngling nichts als Einſamkeit, und wenn er ſich in<lb/> einer angenehmen laͤndlichen Gegend, zwiſchen Huͤ-<lb/> geln mit Baͤumen umkraͤnzt befand, glaubt’ er die<lb/> Luft der Freyheit und jener ehemaligen ſanften Gleich-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">heit</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [11/0019]
Rouſſeau und ich hatte Wiſſenſchaft davon. Jch
werde lebenslang ein Stillſchweigen daruͤber beob-
achten, und dieſe Begebenheit ſoll nicht eher, als
nach meinem Tode bekannt werden. Erſt die Nach-
welt mag es erfahren, daß in dem Grabmaal zu Er-
menonville nichts befindlich iſt.
Jetzt nahm der Suͤdman das Wort und erzaͤhlte
mir folgende außerordentliche Begebenheiten.
Vor ungefaͤhr ſiebzig Jahren erfand ein junger
Mann aus der Dauphine das Geheimniß zu flie-
gen — zu fliegen wie die Voͤgel, wenn ich mich
deutlich erklaͤren muß. — Liebe war der Beweg-
grund, welche ihn die Sehnſucht zum Fliegen
einfloͤßte.
Victorin — ſo hieß dieſer Dauphineſe —
der Sohn eines bloßen Fiſcalprocurators, verliebte
ſich ſterblich in die ſchoͤne Chriſtine, die Tochter
ſeines Edelmanns.
Chriſtine war die Schoͤnheit ſelbſt, wenigſtens
die Schoͤnſte, welche Victorin je geſehen hatte: Er
dachte nur an ſie; die Liebe verzehrte ihn; und da
keine Hoffnung ſeine Leidenſchaft unterſtuͤtzte, ward
ſie fuͤr ihn die heftigſte Folter. Jmmer ſuchte der
Juͤngling nichts als Einſamkeit, und wenn er ſich in
einer angenehmen laͤndlichen Gegend, zwiſchen Huͤ-
geln mit Baͤumen umkraͤnzt befand, glaubt’ er die
Luft der Freyheit und jener ehemaligen ſanften Gleich-
heit
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |