Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785.fing. Jedes Paar hatte eine ziemliche Menge artiger Kinder, und diese Jugend zusammen belustigte die Eltern, welche sie mit Entzücken herum springen sa- hen. Auch der gute Geistliche war mit seiner Haus- hälterinn sehr zufrieden; Beyde lebten in der innigsten Freundschaft; Neider gab es auf dem unbesteiglichen Berge keine, also hielt sich auch niemand darüber auf. Alle bis auf die Bezinier, welche Victorin zur Unter- haushälterinn des Predigers gemacht, und ihn da- durch eine Art von Ansehn gegeben hatte, waren glücklich. Welche reizende Republik! können denn die Men- übri- *) Eine schöne und wichtige Wahrheit! nie wird eine
zu zahlreiche Gesellschaft, in einem zu weitläufigen Staat glücklich seyn können. Joly. fing. Jedes Paar hatte eine ziemliche Menge artiger Kinder, und dieſe Jugend zuſammen beluſtigte die Eltern, welche ſie mit Entzuͤcken herum ſpringen ſa- hen. Auch der gute Geiſtliche war mit ſeiner Haus- haͤlterinn ſehr zufrieden; Beyde lebten in der innigſten Freundſchaft; Neider gab es auf dem unbeſteiglichen Berge keine, alſo hielt ſich auch niemand daruͤber auf. Alle bis auf die Bezinier, welche Victorin zur Unter- haushaͤlterinn des Predigers gemacht, und ihn da- durch eine Art von Anſehn gegeben hatte, waren gluͤcklich. Welche reizende Republik! koͤnnen denn die Men- uͤbri- *) Eine ſchoͤne und wichtige Wahrheit! nie wird eine
zu zahlreiche Geſellſchaft, in einem zu weitlaͤufigen Staat gluͤcklich ſeyn koͤnnen. Joly. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0094" n="86"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> fing. Jedes Paar hatte eine ziemliche Menge artiger<lb/> Kinder, und dieſe Jugend zuſammen beluſtigte die<lb/> Eltern, welche ſie mit Entzuͤcken herum ſpringen ſa-<lb/> hen. Auch der gute Geiſtliche war mit ſeiner Haus-<lb/> haͤlterinn ſehr zufrieden; Beyde lebten in der innigſten<lb/> Freundſchaft; Neider gab es auf dem unbeſteiglichen<lb/> Berge keine, alſo hielt ſich auch niemand daruͤber auf.<lb/> Alle bis auf die Bezinier, welche Victorin zur Unter-<lb/> haushaͤlterinn des Predigers gemacht, und ihn da-<lb/> durch eine Art von Anſehn gegeben hatte, waren<lb/> gluͤcklich.</p><lb/> <p>Welche reizende Republik! koͤnnen denn die Men-<lb/> ſchen nur in einer kleinen Geſellſchaft gluͤcklich ſeyn!<note place="foot" n="*)">Eine ſchoͤne und wichtige Wahrheit! nie wird eine<lb/> zu zahlreiche Geſellſchaft, in einem zu weitlaͤufigen<lb/> Staat gluͤcklich ſeyn koͤnnen. <hi rendition="#fr">Joly.</hi></note><lb/> Auf dieſem unbeſteiglichen Berge ſahe man kein Laſter,<lb/> ſondern alle Tugenden herrſchten daſelbſt; Bruderlie-<lb/> be, gegenſeitige Unterſtuͤtzung, Eifer, Liebe und Ge-<lb/> faͤlligkeit. Jedes Weſen lebte eben ſo in andren, wie<lb/> in ſich ſelbſt: die geringſte Unpaͤßlichkeit, beunru-<lb/> higte gleich die gantze Geſellſchaft: die Kinder waren<lb/> nicht weniger geſchaͤtzt; ſie gehoͤrten allen an, und<lb/> doch liebte man ſie wie ſein einziges Kind. Man ſieht<lb/> wohl ein, daß hier kein Eigennutz oder anderes Laſter<lb/> ſtatt fand. Laſter wuͤrden daſelbſt eine Thorheit geweſen<lb/> ſeyn, denn nie iſt der Menſch laſterhaft, wenn nicht<lb/> das geſellſchaftliche Band, in welchem er lebt, ſo ſchlecht<lb/> iſt, daß die Laſter in demſelben Vortheile verſchaf-<lb/> fen …. O Geſetzgeber! Jhr Thoren die ihr die<lb/> <fw place="bottom" type="catch">uͤbri-</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [86/0094]
fing. Jedes Paar hatte eine ziemliche Menge artiger
Kinder, und dieſe Jugend zuſammen beluſtigte die
Eltern, welche ſie mit Entzuͤcken herum ſpringen ſa-
hen. Auch der gute Geiſtliche war mit ſeiner Haus-
haͤlterinn ſehr zufrieden; Beyde lebten in der innigſten
Freundſchaft; Neider gab es auf dem unbeſteiglichen
Berge keine, alſo hielt ſich auch niemand daruͤber auf.
Alle bis auf die Bezinier, welche Victorin zur Unter-
haushaͤlterinn des Predigers gemacht, und ihn da-
durch eine Art von Anſehn gegeben hatte, waren
gluͤcklich.
Welche reizende Republik! koͤnnen denn die Men-
ſchen nur in einer kleinen Geſellſchaft gluͤcklich ſeyn! *)
Auf dieſem unbeſteiglichen Berge ſahe man kein Laſter,
ſondern alle Tugenden herrſchten daſelbſt; Bruderlie-
be, gegenſeitige Unterſtuͤtzung, Eifer, Liebe und Ge-
faͤlligkeit. Jedes Weſen lebte eben ſo in andren, wie
in ſich ſelbſt: die geringſte Unpaͤßlichkeit, beunru-
higte gleich die gantze Geſellſchaft: die Kinder waren
nicht weniger geſchaͤtzt; ſie gehoͤrten allen an, und
doch liebte man ſie wie ſein einziges Kind. Man ſieht
wohl ein, daß hier kein Eigennutz oder anderes Laſter
ſtatt fand. Laſter wuͤrden daſelbſt eine Thorheit geweſen
ſeyn, denn nie iſt der Menſch laſterhaft, wenn nicht
das geſellſchaftliche Band, in welchem er lebt, ſo ſchlecht
iſt, daß die Laſter in demſelben Vortheile verſchaf-
fen …. O Geſetzgeber! Jhr Thoren die ihr die
uͤbri-
*) Eine ſchoͤne und wichtige Wahrheit! nie wird eine
zu zahlreiche Geſellſchaft, in einem zu weitlaͤufigen
Staat gluͤcklich ſeyn koͤnnen. Joly.
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