Pächter überein, daß sich seine Anverwandten sehr vor ihm fürchten, und daß sein Hochmuth ihm nicht zulasse, einige Gefälligkeiten von ihnen an- zunehmen, dadurch er ihnen verpflichtet würde. Sie glaubt, daß er von Schulden gantz frey sey, und auch künftig keine wieder machen wer- de: ohne Zweifel um eben der Ursache willen, die ihn abhält, seinen Verwandten einigen Danck schuldig zu seyn.
Wer geneigt ist, das Beste von ihm zu den- cken, der wird sagen: Ein braver/ gelehrter und fleißiger Herr könne unmöglich von Natur lasterhaft seyn. Allein wenn er besser ist, als seine Feinde sagen, (ist er schlimmer, so ist er wahrhaftig schlimm genung) so ist er deswegen nicht zu ent- schuldigen, daß er für seine Ehre so unbesorgt ist. Nur zwey Ursachen können hievon angegeben wer- den: Entweder sein Gewissen muß ihm sagen, daß es wahr sey, was man ihm böses nachre- det; oder er muß eine Ehre darin suchen, daß er für lasterhaft gehalten wird. Sowol dieses als jenes ist eine schlimme Anzelge. Das erste zei- get ein gantz ruchloses Gemüth an, und in dem zweyten Fall muß man den Schluß machen, daß er sich nicht schämen werde, daß zu begehen, wenn er Gelegenheit hat, was er sich nachsagen zu lassen, nicht schämet.
Alles zusammen genommen, was wir sonst wissen, und was ich von Frau Fortescue gehört habe, so muß Lovelace ein sehr lasterhafter Mensch seyn. Wir beyde haben die Meynung von ihm
ge-
Die Geſchichte
Paͤchter uͤberein, daß ſich ſeine Anverwandten ſehr vor ihm fuͤrchten, und daß ſein Hochmuth ihm nicht zulaſſe, einige Gefaͤlligkeiten von ihnen an- zunehmen, dadurch er ihnen verpflichtet wuͤrde. Sie glaubt, daß er von Schulden gantz frey ſey, und auch kuͤnftig keine wieder machen wer- de: ohne Zweifel um eben der Urſache willen, die ihn abhaͤlt, ſeinen Verwandten einigen Danck ſchuldig zu ſeyn.
Wer geneigt iſt, das Beſte von ihm zu den- cken, der wird ſagen: Ein braver/ gelehrter und fleißiger Herr koͤnne unmoͤglich von Natur laſterhaft ſeyn. Allein wenn er beſſer iſt, als ſeine Feinde ſagen, (iſt er ſchlimmer, ſo iſt er wahrhaftig ſchlimm genung) ſo iſt er deswegen nicht zu ent- ſchuldigen, daß er fuͤr ſeine Ehre ſo unbeſorgt iſt. Nur zwey Urſachen koͤnnen hievon angegeben wer- den: Entweder ſein Gewiſſen muß ihm ſagen, daß es wahr ſey, was man ihm boͤſes nachre- det; oder er muß eine Ehre darin ſuchen, daß er fuͤr laſterhaft gehalten wird. Sowol dieſes als jenes iſt eine ſchlimme Anzelge. Das erſte zei- get ein gantz ruchloſes Gemuͤth an, und in dem zweyten Fall muß man den Schluß machen, daß er ſich nicht ſchaͤmen werde, daß zu begehen, wenn er Gelegenheit hat, was er ſich nachſagen zu laſſen, nicht ſchaͤmet.
Alles zuſammen genommen, was wir ſonſt wiſſen, und was ich von Frau Forteſcue gehoͤrt habe, ſo muß Lovelace ein ſehr laſterhafter Menſch ſeyn. Wir beyde haben die Meynung von ihm
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Die Geſchichte
Paͤchter uͤberein, daß ſich ſeine Anverwandten ſehr
vor ihm fuͤrchten, und daß ſein Hochmuth ihm
nicht zulaſſe, einige Gefaͤlligkeiten von ihnen an-
zunehmen, dadurch er ihnen verpflichtet wuͤrde.
Sie glaubt, daß er von Schulden gantz frey
ſey, und auch kuͤnftig keine wieder machen wer-
de: ohne Zweifel um eben der Urſache willen,
die ihn abhaͤlt, ſeinen Verwandten einigen
Danck ſchuldig zu ſeyn.
Wer geneigt iſt, das Beſte von ihm zu den-
cken, der wird ſagen: Ein braver/ gelehrter
und fleißiger Herr koͤnne unmoͤglich von Natur
laſterhaft ſeyn. Allein wenn er beſſer iſt, als ſeine
Feinde ſagen, (iſt er ſchlimmer, ſo iſt er wahrhaftig
ſchlimm genung) ſo iſt er deswegen nicht zu ent-
ſchuldigen, daß er fuͤr ſeine Ehre ſo unbeſorgt iſt.
Nur zwey Urſachen koͤnnen hievon angegeben wer-
den: Entweder ſein Gewiſſen muß ihm ſagen,
daß es wahr ſey, was man ihm boͤſes nachre-
det; oder er muß eine Ehre darin ſuchen, daß er
fuͤr laſterhaft gehalten wird. Sowol dieſes als
jenes iſt eine ſchlimme Anzelge. Das erſte zei-
get ein gantz ruchloſes Gemuͤth an, und in dem
zweyten Fall muß man den Schluß machen, daß
er ſich nicht ſchaͤmen werde, daß zu begehen,
wenn er Gelegenheit hat, was er ſich nachſagen
zu laſſen, nicht ſchaͤmet.
Alles zuſammen genommen, was wir ſonſt
wiſſen, und was ich von Frau Forteſcue gehoͤrt
habe, ſo muß Lovelace ein ſehr laſterhafter Menſch
ſeyn. Wir beyde haben die Meynung von ihm
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/134>, abgerufen am 27.11.2024.
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