"Jch habe kein Mißverg nügen über Hanni- "chens Aufführung gehabt, ob ich ihr gleich "dieses nicht sagte, als sie Abschied von mir "nahm; denn es war jemand in der Nähe, der "alles hören konte. Jch gab ihr mit erhabener "Stimme die Warnung, sich wohl in Acht zu "nehmen, wenn sie wieder in ein Haus käme in "dem unverheyrathetes Frauenzimmer wäre, in "ihrer Aufführung untadelhaft zu seyn, und kei- "ne Briefe zu tragen. Jch steckte ihr aber zwey "Guinneas unvermerckt in die Hand; und es "gefällt mir gantz wohl, daß du noch freyge- "biger gegen sie gewesen bist.
"Jch weiß nicht was ich dir in Absicht auf "die Antwort schreiben soll, die dem unbändi- "gen Menschen zu geben ist. Was denckst du da- "von, daß eine solche Familie als die unsrige ist "eine solche Zucht-Ruthe haben soll? Jch vor "mein Theil habe gegen niemand gestanden, daß "ich es wüßte, daß du mit ihm Briefe gewech- "selt hast. Allein deine Dreistigkeit ist so groß, "daß ich besorgt bin, du möchtest dich wol gar "auf meine Erlaubniß beruffen, und dadurch "das Mißverständniß zwischen deinem Vater "und mir noch grösser machen. War es nicht "eine unglaubliche Dreistigkeit, in Herrn Sol- "mes Gegenwart noch weiter von dem zu reden, "was ich schon hatte abbrechen müssen, als ich "noch oben bey dir war? Du warst sonst mein "Trost, und erleichtertest mir allen Kummer: "aber nun - - - Allein ich sehe wohl, du lässest
dich
der Clariſſa.
„Jch habe kein Mißverg nuͤgen uͤber Hanni- „chens Auffuͤhrung gehabt, ob ich ihr gleich „dieſes nicht ſagte, als ſie Abſchied von mir „nahm; denn es war jemand in der Naͤhe, der „alles hoͤren konte. Jch gab ihr mit erhabener „Stimme die Warnung, ſich wohl in Acht zu „nehmen, wenn ſie wieder in ein Haus kaͤme in „dem unverheyrathetes Frauenzimmer waͤre, in „ihrer Auffuͤhrung untadelhaft zu ſeyn, und kei- „ne Briefe zu tragen. Jch ſteckte ihr aber zwey „Guinneas unvermerckt in die Hand; und es „gefaͤllt mir gantz wohl, daß du noch freyge- „biger gegen ſie geweſen biſt.
„Jch weiß nicht was ich dir in Abſicht auf „die Antwort ſchreiben ſoll, die dem unbaͤndi- „gen Menſchen zu geben iſt. Was denckſt du da- „von, daß eine ſolche Familie als die unſrige iſt „eine ſolche Zucht-Ruthe haben ſoll? Jch vor „mein Theil habe gegen niemand geſtanden, daß „ich es wuͤßte, daß du mit ihm Briefe gewech- „ſelt haſt. Allein deine Dreiſtigkeit iſt ſo groß, „daß ich beſorgt bin, du moͤchteſt dich wol gar „auf meine Erlaubniß beruffen, und dadurch „das Mißverſtaͤndniß zwiſchen deinem Vater „und mir noch groͤſſer machen. War es nicht „eine unglaubliche Dreiſtigkeit, in Herrn Sol- „mes Gegenwart noch weiter von dem zu reden, „was ich ſchon hatte abbrechen muͤſſen, als ich „noch oben bey dir war? Du warſt ſonſt mein „Troſt, und erleichterteſt mir allen Kummer: „aber nun ‒ ‒ ‒ Allein ich ſehe wohl, du laͤſſeſt
dich
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der Clariſſa.
„Jch habe kein Mißverg nuͤgen uͤber Hanni-
„chens Auffuͤhrung gehabt, ob ich ihr gleich
„dieſes nicht ſagte, als ſie Abſchied von mir
„nahm; denn es war jemand in der Naͤhe, der
„alles hoͤren konte. Jch gab ihr mit erhabener
„Stimme die Warnung, ſich wohl in Acht zu
„nehmen, wenn ſie wieder in ein Haus kaͤme in
„dem unverheyrathetes Frauenzimmer waͤre, in
„ihrer Auffuͤhrung untadelhaft zu ſeyn, und kei-
„ne Briefe zu tragen. Jch ſteckte ihr aber zwey
„Guinneas unvermerckt in die Hand; und es
„gefaͤllt mir gantz wohl, daß du noch freyge-
„biger gegen ſie geweſen biſt.
„Jch weiß nicht was ich dir in Abſicht auf
„die Antwort ſchreiben ſoll, die dem unbaͤndi-
„gen Menſchen zu geben iſt. Was denckſt du da-
„von, daß eine ſolche Familie als die unſrige iſt
„eine ſolche Zucht-Ruthe haben ſoll? Jch vor
„mein Theil habe gegen niemand geſtanden, daß
„ich es wuͤßte, daß du mit ihm Briefe gewech-
„ſelt haſt. Allein deine Dreiſtigkeit iſt ſo groß,
„daß ich beſorgt bin, du moͤchteſt dich wol gar
„auf meine Erlaubniß beruffen, und dadurch
„das Mißverſtaͤndniß zwiſchen deinem Vater
„und mir noch groͤſſer machen. War es nicht
„eine unglaubliche Dreiſtigkeit, in Herrn Sol-
„mes Gegenwart noch weiter von dem zu reden,
„was ich ſchon hatte abbrechen muͤſſen, als ich
„noch oben bey dir war? Du warſt ſonſt mein
„Troſt, und erleichterteſt mir allen Kummer:
„aber nun ‒ ‒ ‒ Allein ich ſehe wohl, du laͤſſeſt
dich
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/287>, abgerufen am 22.11.2024.
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