Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Geschichte
so geringschätzig gehalten zu werden? ja so gar
von dem öffentlichen Gottes-Dienst abgesondert
zu werden, der doch ein Mittel meiner Besserung
seyn würde, wenn ich bisher meine Pflicht ver-
gessen hätte? können Sie glauben, daß dieses die
Mittel sind, ein freyes und erhabenes Hertz zu
lencken? Muß ich nicht hiedurch mehr verhärtet
als überzeuget werden? Es ist mir unerträglich,
unter solchen Beschimpfungen zu leben, da selbst
die Bedienten, denen ich noch vor kurtzen zu befeh-
len hatte, sich kaum unterstehen mit mir zu reden,
da mein eigenes Cammer-Mädchen mit Unwillen
und wegen allerhand versteckter und zweydeutiger
Beschuldigungen aus dem Hause geschaft, und
meiner Schwester Cammer-Mädchen an ihrer
Stelle über mich gesetzt ist.

Die Sache kan zu weit getrieben werden: und
es kan noch allen die Reue ankommen, daß sie
mit dazu geholfen haben.

Jst es mir erlaubt, einen Vorschlag zu thun?
- - Gesetzt, ich soll bewacht, eingesperret, verbannet
seyn; könte nicht alles dieses lieber in Jhrem Hau-
se geschehen? Alsdenn würden sich die Adelichen in
der Nachbarschaft weniger verwundern, daß eine
Person, von der sie sonst so gütige Gedancken
hatten, nicht in der Kirche erscheinet, und keinen
Besuch annimt.

Jch hoffe, daß hiergegen keine Enwendung ge-
macht werden kan. Als ich noch glücklich war
pflegten Sie mich gern in ihren Hause zu bewir-
then. Wollen Sie mir nicht in meinem Unglück
in eben diesem Hause eine Zuflucht verstatten, bis

die

Die Geſchichte
ſo geringſchaͤtzig gehalten zu werden? ja ſo gar
von dem oͤffentlichen Gottes-Dienſt abgeſondert
zu werden, der doch ein Mittel meiner Beſſerung
ſeyn wuͤrde, wenn ich bisher meine Pflicht ver-
geſſen haͤtte? koͤnnen Sie glauben, daß dieſes die
Mittel ſind, ein freyes und erhabenes Hertz zu
lencken? Muß ich nicht hiedurch mehr verhaͤrtet
als uͤberzeuget werden? Es iſt mir unertraͤglich,
unter ſolchen Beſchimpfungen zu leben, da ſelbſt
die Bedienten, denen ich noch vor kurtzen zu befeh-
len hatte, ſich kaum unterſtehen mit mir zu reden,
da mein eigenes Cammer-Maͤdchen mit Unwillen
und wegen allerhand verſteckter und zweydeutiger
Beſchuldigungen aus dem Hauſe geſchaft, und
meiner Schweſter Cammer-Maͤdchen an ihrer
Stelle uͤber mich geſetzt iſt.

Die Sache kan zu weit getrieben werden: und
es kan noch allen die Reue ankommen, daß ſie
mit dazu geholfen haben.

Jſt es mir erlaubt, einen Vorſchlag zu thun?
‒ ‒ Geſetzt, ich ſoll bewacht, eingeſperret, verbannet
ſeyn; koͤnte nicht alles dieſes lieber in Jhrem Hau-
ſe geſchehen? Alsdenn wuͤrden ſich die Adelichen in
der Nachbarſchaft weniger verwundern, daß eine
Perſon, von der ſie ſonſt ſo guͤtige Gedancken
hatten, nicht in der Kirche erſcheinet, und keinen
Beſuch annimt.

Jch hoffe, daß hiergegen keine Enwendung ge-
macht werden kan. Als ich noch gluͤcklich war
pflegten Sie mich gern in ihren Hauſe zu bewir-
then. Wollen Sie mir nicht in meinem Ungluͤck
in eben dieſem Hauſe eine Zuflucht verſtatten, bis

die
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <div n="2">
          <floatingText>
            <body>
              <p><pb facs="#f0366" n="346"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Die Ge&#x017F;chichte</hi></hi></fw><lb/>
&#x017F;o gering&#x017F;cha&#x0364;tzig gehalten zu werden? ja &#x017F;o gar<lb/>
von dem o&#x0364;ffentlichen Gottes-Dien&#x017F;t abge&#x017F;ondert<lb/>
zu werden, der doch ein Mittel meiner Be&#x017F;&#x017F;erung<lb/>
&#x017F;eyn wu&#x0364;rde, wenn ich bisher meine Pflicht ver-<lb/>
ge&#x017F;&#x017F;en ha&#x0364;tte? ko&#x0364;nnen Sie glauben, daß die&#x017F;es die<lb/>
Mittel &#x017F;ind, ein freyes und erhabenes Hertz zu<lb/>
lencken? Muß ich nicht hiedurch mehr verha&#x0364;rtet<lb/>
als u&#x0364;berzeuget werden? Es i&#x017F;t mir unertra&#x0364;glich,<lb/>
unter &#x017F;olchen Be&#x017F;chimpfungen zu leben, da &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
die Bedienten, denen ich noch vor kurtzen zu befeh-<lb/>
len hatte, &#x017F;ich kaum unter&#x017F;tehen mit mir zu reden,<lb/>
da mein eigenes Cammer-Ma&#x0364;dchen mit Unwillen<lb/>
und wegen allerhand ver&#x017F;teckter und zweydeutiger<lb/>
Be&#x017F;chuldigungen aus dem Hau&#x017F;e ge&#x017F;chaft, und<lb/>
meiner Schwe&#x017F;ter Cammer-Ma&#x0364;dchen an ihrer<lb/>
Stelle u&#x0364;ber mich ge&#x017F;etzt i&#x017F;t.</p><lb/>
              <p>Die Sache kan zu weit getrieben werden: und<lb/>
es kan noch allen die Reue ankommen, daß &#x017F;ie<lb/>
mit dazu geholfen haben.</p><lb/>
              <p>J&#x017F;t es mir erlaubt, einen Vor&#x017F;chlag zu thun?<lb/>
&#x2012; &#x2012; Ge&#x017F;etzt, ich &#x017F;oll bewacht, einge&#x017F;perret, verbannet<lb/>
&#x017F;eyn; ko&#x0364;nte nicht alles die&#x017F;es lieber in Jhrem Hau-<lb/>
&#x017F;e ge&#x017F;chehen? Alsdenn wu&#x0364;rden &#x017F;ich die Adelichen in<lb/>
der Nachbar&#x017F;chaft weniger verwundern, daß eine<lb/>
Per&#x017F;on, von der &#x017F;ie &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;o gu&#x0364;tige Gedancken<lb/>
hatten, nicht in der Kirche er&#x017F;cheinet, und keinen<lb/>
Be&#x017F;uch annimt.</p><lb/>
              <p>Jch hoffe, daß hiergegen keine Enwendung ge-<lb/>
macht werden kan. Als ich noch glu&#x0364;cklich war<lb/>
pflegten Sie mich gern in ihren Hau&#x017F;e zu bewir-<lb/>
then. Wollen Sie mir nicht in meinem Unglu&#x0364;ck<lb/>
in eben die&#x017F;em Hau&#x017F;e eine Zuflucht ver&#x017F;tatten, bis<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">die</fw><lb/></p>
            </body>
          </floatingText>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[346/0366] Die Geſchichte ſo geringſchaͤtzig gehalten zu werden? ja ſo gar von dem oͤffentlichen Gottes-Dienſt abgeſondert zu werden, der doch ein Mittel meiner Beſſerung ſeyn wuͤrde, wenn ich bisher meine Pflicht ver- geſſen haͤtte? koͤnnen Sie glauben, daß dieſes die Mittel ſind, ein freyes und erhabenes Hertz zu lencken? Muß ich nicht hiedurch mehr verhaͤrtet als uͤberzeuget werden? Es iſt mir unertraͤglich, unter ſolchen Beſchimpfungen zu leben, da ſelbſt die Bedienten, denen ich noch vor kurtzen zu befeh- len hatte, ſich kaum unterſtehen mit mir zu reden, da mein eigenes Cammer-Maͤdchen mit Unwillen und wegen allerhand verſteckter und zweydeutiger Beſchuldigungen aus dem Hauſe geſchaft, und meiner Schweſter Cammer-Maͤdchen an ihrer Stelle uͤber mich geſetzt iſt. Die Sache kan zu weit getrieben werden: und es kan noch allen die Reue ankommen, daß ſie mit dazu geholfen haben. Jſt es mir erlaubt, einen Vorſchlag zu thun? ‒ ‒ Geſetzt, ich ſoll bewacht, eingeſperret, verbannet ſeyn; koͤnte nicht alles dieſes lieber in Jhrem Hau- ſe geſchehen? Alsdenn wuͤrden ſich die Adelichen in der Nachbarſchaft weniger verwundern, daß eine Perſon, von der ſie ſonſt ſo guͤtige Gedancken hatten, nicht in der Kirche erſcheinet, und keinen Beſuch annimt. Jch hoffe, daß hiergegen keine Enwendung ge- macht werden kan. Als ich noch gluͤcklich war pflegten Sie mich gern in ihren Hauſe zu bewir- then. Wollen Sie mir nicht in meinem Ungluͤck in eben dieſem Hauſe eine Zuflucht verſtatten, bis die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/366
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/366>, abgerufen am 24.11.2024.