Jch habe eins zu melden vergessen. Jch hielt ihm seine Aufführung vom vergangenen Sonntage in der Kirche vor. Er versicherte mir aber auf das heiligste, daß ich unrecht berichtet sey. Er hätte gar nicht erwartet, mich in der Kirche zu se- hen: hingegen gehoffet, eine gute Gelegenheit zu finden, mit meinem Vater zu sprechen zu kommen, und ihn nach Hause zu begleiten. Allein der red- liche D. Levin hätte ihm abgerathen, einen der Meinigen anzureden; und ihm vorgestellet, in mas für Bewegung und Aufruhr unser gantzer Kirch- stuhl bey seinem Eintritt in die Kirche gerathen wäre. Er könnte versichern, daß er mit Willen keine hochmüthige Gebärde angenommen hätte; blos der Widerwille der Meinigen, der leyder un- überwindlich wäre, hätte in seinem Gesichte lesen können, was der gantzen Gemeinde unsichtbar ge- wesen wäre. Als er sich vor meiner Mutter ge- neiget hätte, so hätte er es gegen alle zu thun ge- meint, die in dem Stuhl waren, und nicht blos gegen meine Mutter, die er sonst aufrichtig hoch- schätzte.
Wenn ich ihm glauben darf, (und ist es wohl wahrscheinlich, daß er mit dem Zweck in die Kir- che gekommen ist, meiner Familie Trotz zu bieten, und doch noch auf Gewogenheit von mir hoffen sollte?) so kann man sehen, wie verkehrt uns der Haß die Handlungen unsers Nächsten vorstellet. Allein warum erzehlt auch Schorey die Sache zu seinem Nachtheil? Vielleicht auf Befehl? Er berief sich gegen mich auf das Zeugniß des D. Le-
vins
Die Geſchichte
Jch habe eins zu melden vergeſſen. Jch hielt ihm ſeine Auffuͤhrung vom vergangenen Sonntage in der Kirche vor. Er verſicherte mir aber auf das heiligſte, daß ich unrecht berichtet ſey. Er haͤtte gar nicht erwartet, mich in der Kirche zu ſe- hen: hingegen gehoffet, eine gute Gelegenheit zu finden, mit meinem Vater zu ſprechen zu kommen, und ihn nach Hauſe zu begleiten. Allein der red- liche D. Levin haͤtte ihm abgerathen, einen der Meinigen anzureden; und ihm vorgeſtellet, in mas fuͤr Bewegung und Aufruhr unſer gantzer Kirch- ſtuhl bey ſeinem Eintritt in die Kirche gerathen waͤre. Er koͤnnte verſichern, daß er mit Willen keine hochmuͤthige Gebaͤrde angenommen haͤtte; blos der Widerwille der Meinigen, der leyder un- uͤberwindlich waͤre, haͤtte in ſeinem Geſichte leſen koͤnnen, was der gantzen Gemeinde unſichtbar ge- weſen waͤre. Als er ſich vor meiner Mutter ge- neiget haͤtte, ſo haͤtte er es gegen alle zu thun ge- meint, die in dem Stuhl waren, und nicht blos gegen meine Mutter, die er ſonſt aufrichtig hoch- ſchaͤtzte.
Wenn ich ihm glauben darf, (und iſt es wohl wahrſcheinlich, daß er mit dem Zweck in die Kir- che gekommen iſt, meiner Familie Trotz zu bieten, und doch noch auf Gewogenheit von mir hoffen ſollte?) ſo kann man ſehen, wie verkehrt uns der Haß die Handlungen unſers Naͤchſten vorſtellet. Allein warum erzehlt auch Schorey die Sache zu ſeinem Nachtheil? Vielleicht auf Befehl? Er berief ſich gegen mich auf das Zeugniß des D. Le-
vins
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Die Geſchichte
Jch habe eins zu melden vergeſſen. Jch hielt
ihm ſeine Auffuͤhrung vom vergangenen Sonntage
in der Kirche vor. Er verſicherte mir aber auf
das heiligſte, daß ich unrecht berichtet ſey. Er
haͤtte gar nicht erwartet, mich in der Kirche zu ſe-
hen: hingegen gehoffet, eine gute Gelegenheit zu
finden, mit meinem Vater zu ſprechen zu kommen,
und ihn nach Hauſe zu begleiten. Allein der red-
liche D. Levin haͤtte ihm abgerathen, einen der
Meinigen anzureden; und ihm vorgeſtellet, in mas
fuͤr Bewegung und Aufruhr unſer gantzer Kirch-
ſtuhl bey ſeinem Eintritt in die Kirche gerathen
waͤre. Er koͤnnte verſichern, daß er mit Willen
keine hochmuͤthige Gebaͤrde angenommen haͤtte;
blos der Widerwille der Meinigen, der leyder un-
uͤberwindlich waͤre, haͤtte in ſeinem Geſichte leſen
koͤnnen, was der gantzen Gemeinde unſichtbar ge-
weſen waͤre. Als er ſich vor meiner Mutter ge-
neiget haͤtte, ſo haͤtte er es gegen alle zu thun ge-
meint, die in dem Stuhl waren, und nicht blos
gegen meine Mutter, die er ſonſt aufrichtig hoch-
ſchaͤtzte.
Wenn ich ihm glauben darf, (und iſt es wohl
wahrſcheinlich, daß er mit dem Zweck in die Kir-
che gekommen iſt, meiner Familie Trotz zu bieten,
und doch noch auf Gewogenheit von mir hoffen
ſollte?) ſo kann man ſehen, wie verkehrt uns der
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Allein warum erzehlt auch Schorey die Sache zu
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 418. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/438>, abgerufen am 25.11.2024.
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