[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.der Clarissa. der Sache zu reden: aber das zu nehmen, wasmeine jüngere Schwester nicht haben will! Nein mein Kind! nein! so weit ist es noch nicht mit mir gekommen. Das wäre eben so viel, als ei- nem andern, den du wol kennest, einen Zugang zu deinem Hertzen lassen, dem wir gern die Thür verriegeln wollten. Kurtz (hier veränderten sie Stimme und Gesicht) wäre ich so geneigt gewe- sen, als sonst jemand, mich dem liederlichsten Menschen in gantz England in die Arme zu wer- fen der seinen Anspruch an mich mit meines Bru- ders Blut hätte unterzeichnen wollen; so hätte meine Familie Recht gehabt, zusammen zu tre- ten, und mich aus den Klauen eines solchen Bu- ben zu retten; denn hätten sie eilen können, so sehr sie gewollt hätten, mich an einen braven Hrn. der sich eben zur rechten gelegenen Stunde ge- zeigt hätte, zu geben. Es ist alles zum Ende Clär- chen: richte dich darnach. Verdiente das nicht eine beissende Antwort. Jch dachte fast sie würde mich schlagen. Jch Um- Erster Theil. H h
der Clariſſa. der Sache zu reden: aber das zu nehmen, wasmeine juͤngere Schweſter nicht haben will! Nein mein Kind! nein! ſo weit iſt es noch nicht mit mir gekommen. Das waͤre eben ſo viel, als ei- nem andern, den du wol kenneſt, einen Zugang zu deinem Hertzen laſſen, dem wir gern die Thuͤr verriegeln wollten. Kurtz (hier veraͤnderten ſie Stimme und Geſicht) waͤre ich ſo geneigt gewe- ſen, als ſonſt jemand, mich dem liederlichſten Menſchen in gantz England in die Arme zu wer- fen der ſeinen Anſpruch an mich mit meines Bru- ders Blut haͤtte unterzeichnen wollen; ſo haͤtte meine Familie Recht gehabt, zuſammen zu tre- ten, und mich aus den Klauen eines ſolchen Bu- ben zu retten; denn haͤtten ſie eilen koͤnnen, ſo ſehr ſie gewollt haͤtten, mich an einen braven Hrn. der ſich eben zur rechten gelegenen Stunde ge- zeigt haͤtte, zu geben. Es iſt alles zum Ende Claͤr- chen: richte dich darnach. Verdiente das nicht eine beiſſende Antwort. Jch dachte faſt ſie wuͤrde mich ſchlagen. Jch Um- Erſter Theil. H h
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der Clariſſa.
der Sache zu reden: aber das zu nehmen, was
meine juͤngere Schweſter nicht haben will! Nein
mein Kind! nein! ſo weit iſt es noch nicht mit
mir gekommen. Das waͤre eben ſo viel, als ei-
nem andern, den du wol kenneſt, einen Zugang
zu deinem Hertzen laſſen, dem wir gern die Thuͤr
verriegeln wollten. Kurtz (hier veraͤnderten ſie
Stimme und Geſicht) waͤre ich ſo geneigt gewe-
ſen, als ſonſt jemand, mich dem liederlichſten
Menſchen in gantz England in die Arme zu wer-
fen der ſeinen Anſpruch an mich mit meines Bru-
ders Blut haͤtte unterzeichnen wollen; ſo haͤtte
meine Familie Recht gehabt, zuſammen zu tre-
ten, und mich aus den Klauen eines ſolchen Bu-
ben zu retten; denn haͤtten ſie eilen koͤnnen, ſo
ſehr ſie gewollt haͤtten, mich an einen braven Hrn.
der ſich eben zur rechten gelegenen Stunde ge-
zeigt haͤtte, zu geben. Es iſt alles zum Ende Claͤr-
chen: richte dich darnach.
Verdiente das nicht eine beiſſende Antwort.
Jch wollte gern, daß Sie ja ſagten, damit ich mei-
ne Antwort entſchuldigen koͤnnte! Jch ſagte: ach
fuͤr meine arme Schweſter! ‒ ‒ Der Menſch
iſt doch nicht immer ſo liederlich geweſen.
Wie wahr finde ich das Sprichwort: ver-
ſchmaͤhete Liebe bringt bittern Haß!
Jch dachte faſt ſie wuͤrde mich ſchlagen. Jch
ſuhr aber fort zu reden: ich habe oft von der Le-
bens-Gefahr meines Bruders, und von meines
Bruders Moͤrder hoͤren muͤſſen. Darf ich nicht
auch frev heraus reden, da man mit mir ſo wenig
Um-
Erſter Theil. H h
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