Hierauf versetzte sie: Ein unverschämtes, eite- les, eingebildetes junges Ding! Nach eurer tie- fen Weisheit wisset ihr nur allein, was sich schi- cket, und was recht ist. Jch für mein Theil habe schon lange Zeit durch eure Larve hindurch gesehen, und nun werdet ihr jedermann verrathen, wie ihr im Hertzen beschaffen seyd.
Jch kehrte Augen und Hände gen Himmel, und sagte: liebe liebe Schwester, warum - -?
Nichts von liebe Schwester! antwortete sie. Jch versichre euch, ihr blendet mich nicht durch eure Zauberey. Dis war ihr Ausdruck, und damit lief sie weg, und rief mir rücklings zu: Es wird euch bald ein jeder so gut kennen, als ich euch kenne.
Behüte GOtt! dachte ich, was habe ich für eine Schwester? wodurch habe ich alles dieses verdient. Jch bedaurte hiebey von neuen, daß mein Großvater mich aus allzu grosser Liebe mei- nen übrigen Geschwistern in der Erbschaft vorge- zogen hat.
den 25. Febr. Abends.
Jch weiß nicht, was mein Bruder und meine Schwester wider mich mögen angebracht haben. Mein Vater ist sehr zornig auf mich. Jch ward zum Thee gerufen, und gieng mit einem frölichen Gesicht hinunter: Allein ich hatte bald Ursach be- trübt auszusehen. Alle nahmen ein ernsthafftes und vornehmes Gesicht an. Meine Mutter sa- he beständig auf den Thee-Topf: wenn sie ja auf-
sahe,
der Clariſſa.
Hierauf verſetzte ſie: Ein unverſchaͤmtes, eite- les, eingebildetes junges Ding! Nach eurer tie- fen Weisheit wiſſet ihr nur allein, was ſich ſchi- cket, und was recht iſt. Jch fuͤr mein Theil habe ſchon lange Zeit durch eure Larve hindurch geſehen, und nun werdet ihr jedermann verrathen, wie ihr im Hertzen beſchaffen ſeyd.
Jch kehrte Augen und Haͤnde gen Himmel, und ſagte: liebe liebe Schweſter, warum ‒ ‒?
Nichts von liebe Schweſter! antwortete ſie. Jch verſichre euch, ihr blendet mich nicht durch eure Zauberey. Dis war ihr Ausdruck, und damit lief ſie weg, und rief mir ruͤcklings zu: Es wird euch bald ein jeder ſo gut kennen, als ich euch kenne.
Behuͤte GOtt! dachte ich, was habe ich fuͤr eine Schweſter? wodurch habe ich alles dieſes verdient. Jch bedaurte hiebey von neuen, daß mein Großvater mich aus allzu groſſer Liebe mei- nen uͤbrigen Geſchwiſtern in der Erbſchaft vorge- zogen hat.
den 25. Febr. Abends.
Jch weiß nicht, was mein Bruder und meine Schweſter wider mich moͤgen angebracht haben. Mein Vater iſt ſehr zornig auf mich. Jch ward zum Thee gerufen, und gieng mit einem froͤlichen Geſicht hinunter: Allein ich hatte bald Urſach be- truͤbt auszuſehen. Alle nahmen ein ernſthafftes und vornehmes Geſicht an. Meine Mutter ſa- he beſtaͤndig auf den Thee-Topf: wenn ſie ja auf-
ſahe,
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der Clariſſa.
Hierauf verſetzte ſie: Ein unverſchaͤmtes, eite-
les, eingebildetes junges Ding! Nach eurer tie-
fen Weisheit wiſſet ihr nur allein, was ſich ſchi-
cket, und was recht iſt. Jch fuͤr mein Theil habe
ſchon lange Zeit durch eure Larve hindurch geſehen,
und nun werdet ihr jedermann verrathen, wie
ihr im Hertzen beſchaffen ſeyd.
Jch kehrte Augen und Haͤnde gen Himmel, und
ſagte: liebe liebe Schweſter, warum ‒ ‒?
Nichts von liebe Schweſter! antwortete ſie.
Jch verſichre euch, ihr blendet mich nicht durch
eure Zauberey. Dis war ihr Ausdruck, und
damit lief ſie weg, und rief mir ruͤcklings zu: Es
wird euch bald ein jeder ſo gut kennen, als ich
euch kenne.
Behuͤte GOtt! dachte ich, was habe ich fuͤr
eine Schweſter? wodurch habe ich alles dieſes
verdient. Jch bedaurte hiebey von neuen, daß
mein Großvater mich aus allzu groſſer Liebe mei-
nen uͤbrigen Geſchwiſtern in der Erbſchaft vorge-
zogen hat.
den 25. Febr. Abends.
Jch weiß nicht, was mein Bruder und meine
Schweſter wider mich moͤgen angebracht haben.
Mein Vater iſt ſehr zornig auf mich. Jch ward
zum Thee gerufen, und gieng mit einem froͤlichen
Geſicht hinunter: Allein ich hatte bald Urſach be-
truͤbt auszuſehen. Alle nahmen ein ernſthafftes
und vornehmes Geſicht an. Meine Mutter ſa-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/97>, abgerufen am 27.11.2024.
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