Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite

der Clarissa.
"noch bis um zehn Uhr warten wolle, ob ich sein
"Verlangen erfüllen, und ihm Gelegenheit geben
"würde, mich zu sprechen. Er müsse noch eine
"Vierthel Meile gehen, ehe er seinen Diener
"mit dem Pferde anträffe: und denn hätte er
"eine deutsche Meile bis zu seinem Wirths-
"Hause zu reiten.

Er bekennet: "daß er sich mit jemand in
"unserm Hause verstehe; allein dieser sey ihm
"nun bis in den dritten Tag ausgeblieben. Er
"sey in der grössesten Angst, weil er nicht wisse,
"was ich machte, und wie mir begegnet würde.

Jch kan fast rathen, wer der Schelm ist, den
er gedungen hat. Wir haben einen Kerl, der sich
Joseph Lehmann nennet, und auf den sich mein
Bruder gäntzlich verläßt. Herr Lovelace hat
in der That von dieser Aufführung viel Ehre!
Er ist lange zu Paris gewesen. Hat er et-
wan an dem Frantzösischen Hofe die Kunst ge-
lernt, fremde Bediente zu bestechen?

Jch habe mich oft über diesen Lehmann ge-
ärgert, wenn ich ein wenig in die Luft gegangen
bin, oder das Feder-Vieh besehen habe. Weil
er immer ungemein bequem gegen mich war,
habe ich öfters geglaubt, daß er meines Bru-
ders Spion seyn möchte: und ich habe mich ge-
wundert, daß er sich so gleich aus dem Garten
und aus dem Hüner-Hofe wegmachte, wenn ich
hinein trat, und meine Freyheit, diese Oerter zu
besuchen, doch gar nicht eingeschränckt ward.
Vielleicht läßt sich der Kerl von beyden bestechen,

um

der Clariſſa.
„noch bis um zehn Uhr warten wolle, ob ich ſein
„Verlangen erfuͤllen, und ihm Gelegenheit geben
„wuͤrde, mich zu ſprechen. Er muͤſſe noch eine
„Vierthel Meile gehen, ehe er ſeinen Diener
„mit dem Pferde antraͤffe: und denn haͤtte er
„eine deutſche Meile bis zu ſeinem Wirths-
„Hauſe zu reiten.

Er bekennet: „daß er ſich mit jemand in
„unſerm Hauſe verſtehe; allein dieſer ſey ihm
„nun bis in den dritten Tag ausgeblieben. Er
„ſey in der groͤſſeſten Angſt, weil er nicht wiſſe,
„was ich machte, und wie mir begegnet wuͤrde.

Jch kan faſt rathen, wer der Schelm iſt, den
er gedungen hat. Wir haben einen Kerl, der ſich
Joſeph Lehmann nennet, und auf den ſich mein
Bruder gaͤntzlich verlaͤßt. Herr Lovelace hat
in der That von dieſer Auffuͤhrung viel Ehre!
Er iſt lange zu Paris geweſen. Hat er et-
wan an dem Frantzoͤſiſchen Hofe die Kunſt ge-
lernt, fremde Bediente zu beſtechen?

Jch habe mich oft uͤber dieſen Lehmann ge-
aͤrgert, wenn ich ein wenig in die Luft gegangen
bin, oder das Feder-Vieh beſehen habe. Weil
er immer ungemein bequem gegen mich war,
habe ich oͤfters geglaubt, daß er meines Bru-
ders Spion ſeyn moͤchte: und ich habe mich ge-
wundert, daß er ſich ſo gleich aus dem Garten
und aus dem Huͤner-Hofe wegmachte, wenn ich
hinein trat, und meine Freyheit, dieſe Oerter zu
beſuchen, doch gar nicht eingeſchraͤnckt ward.
Vielleicht laͤßt ſich der Kerl von beyden beſtechen,

um
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0177" n="171"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">der Clari&#x017F;&#x017F;a</hi>.</hi></fw><lb/>
&#x201E;noch bis um zehn Uhr warten wolle, ob ich &#x017F;ein<lb/>
&#x201E;Verlangen erfu&#x0364;llen, und ihm Gelegenheit geben<lb/>
&#x201E;wu&#x0364;rde, mich zu &#x017F;prechen. Er mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e noch eine<lb/>
&#x201E;Vierthel Meile gehen, ehe er &#x017F;einen Diener<lb/>
&#x201E;mit dem Pferde antra&#x0364;ffe: und denn ha&#x0364;tte er<lb/>
&#x201E;eine deut&#x017F;che Meile bis zu &#x017F;einem Wirths-<lb/>
&#x201E;Hau&#x017F;e zu reiten.</p><lb/>
          <p>Er bekennet: &#x201E;daß er &#x017F;ich mit jemand in<lb/>
&#x201E;un&#x017F;erm Hau&#x017F;e ver&#x017F;tehe; allein die&#x017F;er &#x017F;ey ihm<lb/>
&#x201E;nun bis in den dritten Tag ausgeblieben. Er<lb/>
&#x201E;&#x017F;ey in der gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;e&#x017F;ten Ang&#x017F;t, weil er nicht wi&#x017F;&#x017F;e,<lb/>
&#x201E;was ich machte, und wie mir begegnet wu&#x0364;rde.</p><lb/>
          <p>Jch kan fa&#x017F;t rathen, wer der Schelm i&#x017F;t, den<lb/>
er gedungen hat. Wir haben einen Kerl, der &#x017F;ich<lb/><hi rendition="#fr">Jo&#x017F;eph Lehmann</hi> nennet, und auf den &#x017F;ich mein<lb/>
Bruder ga&#x0364;ntzlich verla&#x0364;ßt. Herr <hi rendition="#fr">Lovelace</hi> hat<lb/>
in der That von die&#x017F;er Auffu&#x0364;hrung viel Ehre!<lb/>
Er i&#x017F;t lange zu <hi rendition="#fr">Paris</hi> gewe&#x017F;en. Hat er et-<lb/>
wan an dem Frantzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;chen Hofe die Kun&#x017F;t ge-<lb/>
lernt, fremde Bediente zu be&#x017F;techen?</p><lb/>
          <p>Jch habe mich oft u&#x0364;ber die&#x017F;en <hi rendition="#fr">Lehmann</hi> ge-<lb/>
a&#x0364;rgert, wenn ich ein wenig in die Luft gegangen<lb/>
bin, oder das Feder-Vieh be&#x017F;ehen habe. Weil<lb/>
er immer ungemein bequem gegen mich war,<lb/>
habe ich o&#x0364;fters geglaubt, daß er meines Bru-<lb/>
ders Spion &#x017F;eyn mo&#x0364;chte: und ich habe mich ge-<lb/>
wundert, daß er &#x017F;ich &#x017F;o gleich aus dem Garten<lb/>
und aus dem Hu&#x0364;ner-Hofe wegmachte, wenn ich<lb/>
hinein trat, und meine Freyheit, die&#x017F;e Oerter zu<lb/>
be&#x017F;uchen, doch gar nicht einge&#x017F;chra&#x0364;nckt ward.<lb/>
Vielleicht la&#x0364;ßt &#x017F;ich der Kerl von beyden be&#x017F;techen,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">um</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[171/0177] der Clariſſa. „noch bis um zehn Uhr warten wolle, ob ich ſein „Verlangen erfuͤllen, und ihm Gelegenheit geben „wuͤrde, mich zu ſprechen. Er muͤſſe noch eine „Vierthel Meile gehen, ehe er ſeinen Diener „mit dem Pferde antraͤffe: und denn haͤtte er „eine deutſche Meile bis zu ſeinem Wirths- „Hauſe zu reiten. Er bekennet: „daß er ſich mit jemand in „unſerm Hauſe verſtehe; allein dieſer ſey ihm „nun bis in den dritten Tag ausgeblieben. Er „ſey in der groͤſſeſten Angſt, weil er nicht wiſſe, „was ich machte, und wie mir begegnet wuͤrde. Jch kan faſt rathen, wer der Schelm iſt, den er gedungen hat. Wir haben einen Kerl, der ſich Joſeph Lehmann nennet, und auf den ſich mein Bruder gaͤntzlich verlaͤßt. Herr Lovelace hat in der That von dieſer Auffuͤhrung viel Ehre! Er iſt lange zu Paris geweſen. Hat er et- wan an dem Frantzoͤſiſchen Hofe die Kunſt ge- lernt, fremde Bediente zu beſtechen? Jch habe mich oft uͤber dieſen Lehmann ge- aͤrgert, wenn ich ein wenig in die Luft gegangen bin, oder das Feder-Vieh beſehen habe. Weil er immer ungemein bequem gegen mich war, habe ich oͤfters geglaubt, daß er meines Bru- ders Spion ſeyn moͤchte: und ich habe mich ge- wundert, daß er ſich ſo gleich aus dem Garten und aus dem Huͤner-Hofe wegmachte, wenn ich hinein trat, und meine Freyheit, dieſe Oerter zu beſuchen, doch gar nicht eingeſchraͤnckt ward. Vielleicht laͤßt ſich der Kerl von beyden beſtechen, um

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/177
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/177>, abgerufen am 25.11.2024.