haltet eur Wort nicht. Man giebt euch draus- sen eben so sehr Unrecht, als hier in der Stube. Herrn Solmesens gütiges Gemüth und seine Liebe zu dem Mädchen ist bekant genug: sonst würde das gar nicht zu enschuldigen seyn, was ihr gesagt habt. Mein Vater verlanget euch zu sprechen, und sie Frau Base, und sie mein On- ckle, und sie Herr Solmes. Beliebt es ihnen mitzukommen?
Sie giengen alle vier in die andere Stube. Jch stand gantz stille, und wußte nicht, was ich daraus machen solte, daß meine Schwester da- zwischen gekommen war, bis sie selbst anfing zu reden. Du verkehrtes Ding! (sagte sie mlt einer verächtlich-leisen Stimme, und hielt mir ihr erbittertes Gesicht recht vor die Augen) was für Unruhe machst du uns allen?
Jch sagte: ihr und mein Bruder machet euch selbst Unruhe. Jhr habt gar keine Ursach euch um mich zu bekümmern.
Sie ließ einige spöttische Reden fahren, allein sie sprach noch gantz leise, als wenn sie nicht gern wollte, daß jemand vor der Thür es hören möch- te, was sie redete. Jch hielt deswegen für rath- sam, sie etwas lauter reden zu machen, wenn ich könnte. Wenn ich könnte? sage ich? Was kan man nicht bey einem Gemüthe aus- richten, das seiner selbst nicht mehr mächtig ist.
Sie zeigete dieses. Sie brach bald mit einer stärckeren Stimme aus, und ich erreichte da- durch, daß Fräulein Dorthgen mit der Bot-
schaft
Zweyter Theil. Z
der Clariſſa.
haltet eur Wort nicht. Man giebt euch drauſ- ſen eben ſo ſehr Unrecht, als hier in der Stube. Herrn Solmeſens guͤtiges Gemuͤth und ſeine Liebe zu dem Maͤdchen iſt bekant genug: ſonſt wuͤrde das gar nicht zu enſchuldigen ſeyn, was ihr geſagt habt. Mein Vater verlanget euch zu ſprechen, und ſie Frau Baſe, und ſie mein On- ckle, und ſie Herr Solmes. Beliebt es ihnen mitzukommen?
Sie giengen alle vier in die andere Stube. Jch ſtand gantz ſtille, und wußte nicht, was ich daraus machen ſolte, daß meine Schweſter da- zwiſchen gekommen war, bis ſie ſelbſt anfing zu reden. Du verkehrtes Ding! (ſagte ſie mlt einer veraͤchtlich-leiſen Stimme, und hielt mir ihr erbittertes Geſicht recht vor die Augen) was fuͤr Unruhe machſt du uns allen?
Jch ſagte: ihr und mein Bruder machet euch ſelbſt Unruhe. Jhr habt gar keine Urſach euch um mich zu bekuͤmmern.
Sie ließ einige ſpoͤttiſche Reden fahren, allein ſie ſprach noch gantz leiſe, als wenn ſie nicht gern wollte, daß jemand vor der Thuͤr es hoͤren moͤch- te, was ſie redete. Jch hielt deswegen fuͤr rath- ſam, ſie etwas lauter reden zu machen, wenn ich koͤnnte. Wenn ich koͤnnte? ſage ich? Was kan man nicht bey einem Gemuͤthe aus- richten, das ſeiner ſelbſt nicht mehr maͤchtig iſt.
Sie zeigete dieſes. Sie brach bald mit einer ſtaͤrckeren Stimme aus, und ich erreichte da- durch, daß Fraͤulein Dorthgen mit der Bot-
ſchaft
Zweyter Theil. Z
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der Clariſſa.
haltet eur Wort nicht. Man giebt euch drauſ-
ſen eben ſo ſehr Unrecht, als hier in der Stube.
Herrn Solmeſens guͤtiges Gemuͤth und ſeine
Liebe zu dem Maͤdchen iſt bekant genug: ſonſt
wuͤrde das gar nicht zu enſchuldigen ſeyn, was
ihr geſagt habt. Mein Vater verlanget euch zu
ſprechen, und ſie Frau Baſe, und ſie mein On-
ckle, und ſie Herr Solmes. Beliebt es ihnen
mitzukommen?
Sie giengen alle vier in die andere Stube.
Jch ſtand gantz ſtille, und wußte nicht, was ich
daraus machen ſolte, daß meine Schweſter da-
zwiſchen gekommen war, bis ſie ſelbſt anfing zu
reden. Du verkehrtes Ding! (ſagte ſie mlt
einer veraͤchtlich-leiſen Stimme, und hielt mir
ihr erbittertes Geſicht recht vor die Augen) was
fuͤr Unruhe machſt du uns allen?
Jch ſagte: ihr und mein Bruder machet euch
ſelbſt Unruhe. Jhr habt gar keine Urſach euch
um mich zu bekuͤmmern.
Sie ließ einige ſpoͤttiſche Reden fahren, allein
ſie ſprach noch gantz leiſe, als wenn ſie nicht gern
wollte, daß jemand vor der Thuͤr es hoͤren moͤch-
te, was ſie redete. Jch hielt deswegen fuͤr rath-
ſam, ſie etwas lauter reden zu machen, wenn
ich koͤnnte. Wenn ich koͤnnte? ſage ich?
Was kan man nicht bey einem Gemuͤthe aus-
richten, das ſeiner ſelbſt nicht mehr maͤchtig iſt.
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/359>, abgerufen am 22.11.2024.
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