(wie vorhin gesagt) befürchten, daß sich mein Vetter eben so wohl möchte gegen mich haben einnehmen lassen, als einige andere, von denen ich es eben so wenig vermuthet hätte.
Jch hätte hefftig schreiben müssen, wenn ich etwas hätte ausrichten wollen. Konnte ich aber wol Lust haben an einen Vetter heftig gegen meinen Vater zu schreiben? Sie wissen, daß niemand auf meiner Seiten war, meine eigene Mutter nicht ausgenommen: er würde also we- nigstens bis auf seine Ankunft in seinem Ur- theil zweiffelhaft geblieben seyn. Vielleicht würde er desto weniger geeilt haben, herüber zu kommen, weil er hoffen konnte, daß die Zeit selbst das gantze Uebel am besten heben würde: und wenn er geschrieben hätte, so würde er nur laviert, und mich zum Gehorsam jene aber zur Gelindigktit ermahnt haben. Wenn seine Brie- fe mehr für mich als für die Meinigen gewesen wären, so hätten sie bey ihnen gar keinen Ein- gang gehabt; und dieses möchte auch wol sein Schicksal gewesen seyn, wenn er gegenwärtig und mündlich für mich gebeten hätte. Denn Sie wissen ja, wie unbeweglich die Meinigen find, und wie sie alles durch glatte Worte oder Härte auf ihre Seite gebracht haben, so daß nie- mand für mich den Mund aufthun darf. Sie wissen auch, daß mein Bruder desto hefftiger zu Wercke gehet, weil er will, daß die gantze Sache vor meines Vetters Ankunft zu Ende seyn soll.
Sie wollen: ich soll den Mantel nach dem
Win-
Die Geſchichte
(wie vorhin geſagt) befuͤrchten, daß ſich mein Vetter eben ſo wohl moͤchte gegen mich haben einnehmen laſſen, als einige andere, von denen ich es eben ſo wenig vermuthet haͤtte.
Jch haͤtte hefftig ſchreiben muͤſſen, wenn ich etwas haͤtte ausrichten wollen. Konnte ich aber wol Luſt haben an einen Vetter heftig gegen meinen Vater zu ſchreiben? Sie wiſſen, daß niemand auf meiner Seiten war, meine eigene Mutter nicht ausgenommen: er wuͤrde alſo we- nigſtens bis auf ſeine Ankunft in ſeinem Ur- theil zweiffelhaft geblieben ſeyn. Vielleicht wuͤrde er deſto weniger geeilt haben, heruͤber zu kommen, weil er hoffen konnte, daß die Zeit ſelbſt das gantze Uebel am beſten heben wuͤrde: und wenn er geſchrieben haͤtte, ſo wuͤrde er nur laviert, und mich zum Gehorſam jene aber zur Gelindigktit ermahnt haben. Wenn ſeine Brie- fe mehr fuͤr mich als fuͤr die Meinigen geweſen waͤren, ſo haͤtten ſie bey ihnen gar keinen Ein- gang gehabt; und dieſes moͤchte auch wol ſein Schickſal geweſen ſeyn, wenn er gegenwaͤrtig und muͤndlich fuͤr mich gebeten haͤtte. Denn Sie wiſſen ja, wie unbeweglich die Meinigen find, und wie ſie alles durch glatte Worte oder Haͤrte auf ihre Seite gebracht haben, ſo daß nie- mand fuͤr mich den Mund aufthun darf. Sie wiſſen auch, daß mein Bruder deſto hefftiger zu Wercke gehet, weil er will, daß die gantze Sache vor meines Vetters Ankunft zu Ende ſeyn ſoll.
Sie wollen: ich ſoll den Mantel nach dem
Win-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0418"n="412"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#g">Die Geſchichte</hi></hi></fw><lb/>
(wie vorhin geſagt) befuͤrchten, daß ſich mein<lb/>
Vetter eben ſo wohl moͤchte gegen mich haben<lb/>
einnehmen laſſen, als einige andere, von denen<lb/>
ich es eben ſo wenig vermuthet haͤtte.</p><lb/><p>Jch haͤtte hefftig ſchreiben muͤſſen, wenn ich<lb/>
etwas haͤtte ausrichten wollen. Konnte ich aber<lb/>
wol Luſt haben an einen <hirendition="#fr">Vetter</hi> heftig gegen<lb/>
meinen <hirendition="#fr">Vater</hi> zu ſchreiben? Sie wiſſen, daß<lb/>
niemand auf meiner Seiten war, meine eigene<lb/>
Mutter nicht ausgenommen: er wuͤrde alſo we-<lb/>
nigſtens bis auf ſeine Ankunft in ſeinem Ur-<lb/>
theil zweiffelhaft geblieben ſeyn. Vielleicht<lb/>
wuͤrde er deſto weniger geeilt haben, heruͤber zu<lb/>
kommen, weil er hoffen konnte, daß die Zeit<lb/>ſelbſt das gantze Uebel am beſten heben wuͤrde:<lb/>
und wenn er geſchrieben haͤtte, ſo wuͤrde er nur<lb/>
laviert, und mich zum Gehorſam jene aber zur<lb/>
Gelindigktit ermahnt haben. Wenn ſeine Brie-<lb/>
fe mehr fuͤr mich als fuͤr die Meinigen geweſen<lb/>
waͤren, ſo haͤtten ſie bey ihnen gar keinen Ein-<lb/>
gang gehabt; und dieſes moͤchte auch wol ſein<lb/>
Schickſal geweſen ſeyn, wenn er gegenwaͤrtig<lb/>
und muͤndlich fuͤr mich gebeten haͤtte. Denn<lb/>
Sie wiſſen ja, wie unbeweglich die Meinigen<lb/>
find, und wie ſie alles durch glatte Worte oder<lb/>
Haͤrte auf ihre Seite gebracht haben, ſo daß nie-<lb/>
mand fuͤr mich den Mund aufthun darf. Sie<lb/>
wiſſen auch, daß mein Bruder deſto hefftiger zu<lb/>
Wercke gehet, weil er will, daß die gantze Sache<lb/>
vor meines Vetters Ankunft zu Ende ſeyn ſoll.</p><lb/><p>Sie wollen: ich ſoll den Mantel nach dem<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Win-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[412/0418]
Die Geſchichte
(wie vorhin geſagt) befuͤrchten, daß ſich mein
Vetter eben ſo wohl moͤchte gegen mich haben
einnehmen laſſen, als einige andere, von denen
ich es eben ſo wenig vermuthet haͤtte.
Jch haͤtte hefftig ſchreiben muͤſſen, wenn ich
etwas haͤtte ausrichten wollen. Konnte ich aber
wol Luſt haben an einen Vetter heftig gegen
meinen Vater zu ſchreiben? Sie wiſſen, daß
niemand auf meiner Seiten war, meine eigene
Mutter nicht ausgenommen: er wuͤrde alſo we-
nigſtens bis auf ſeine Ankunft in ſeinem Ur-
theil zweiffelhaft geblieben ſeyn. Vielleicht
wuͤrde er deſto weniger geeilt haben, heruͤber zu
kommen, weil er hoffen konnte, daß die Zeit
ſelbſt das gantze Uebel am beſten heben wuͤrde:
und wenn er geſchrieben haͤtte, ſo wuͤrde er nur
laviert, und mich zum Gehorſam jene aber zur
Gelindigktit ermahnt haben. Wenn ſeine Brie-
fe mehr fuͤr mich als fuͤr die Meinigen geweſen
waͤren, ſo haͤtten ſie bey ihnen gar keinen Ein-
gang gehabt; und dieſes moͤchte auch wol ſein
Schickſal geweſen ſeyn, wenn er gegenwaͤrtig
und muͤndlich fuͤr mich gebeten haͤtte. Denn
Sie wiſſen ja, wie unbeweglich die Meinigen
find, und wie ſie alles durch glatte Worte oder
Haͤrte auf ihre Seite gebracht haben, ſo daß nie-
mand fuͤr mich den Mund aufthun darf. Sie
wiſſen auch, daß mein Bruder deſto hefftiger zu
Wercke gehet, weil er will, daß die gantze Sache
vor meines Vetters Ankunft zu Ende ſeyn ſoll.
Sie wollen: ich ſoll den Mantel nach dem
Win-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 412. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/418>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.