Meine Base hat mich nochmahls besucht. Sie machte den Anfang davon, daß die Mei- nigen glaubten, ich wechselte noch bis diese Stun- de Brieffe mit Lovelacen. Man könnte dieses aus seinen Drohungen und aus den Reden mercken, die er von sich hören liesse: denn er wüßte alles, was zwischen mir und meinen An- verwanten vorfiele, und bisweilen fast so bald als es geschehen wäre.
Ob ich es gleich nicht billige, daß er sich so herunter setzt, durch dergleichen Canäle Neuig- keiten zu erfahren: so würde es doch von mir nicht klug gehandelt seyn, wenn ich um mich zu entschuldigen eine Anklägerin des bestochenen Bedienten würde, dessen Schelmerey ich nie ge- billiget habe. Denn ich könnte hiedurch verur- sachen, daß mein gantzer Briefwechsel verrathen würde: und so würde ich alle Hofnung verloh- ren geben müssen, mich von Herrn Solmes zu befreyen. Es ist mir indessen sehr wahrschein- lich, daß dieser Kerl, den Herr Lovelace gebraucht, den Mantel auf beyden Achseln trägt. Wie könnte sonst mein Bruder seine Drohungen so geschwind wieder wissen?
Jch, antwortete meiner Base: ich schämte mich der Aufführung der Meinigen gegen mich um mein selbst und um anderer willen so sehr, daß ich auch alsdenn Herrn Lovelace nichts da- von melden würde, wenn ich noch Mittel hätte, mit ihm Brieffe zu wechseln. Wenn er diese
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der Clariſſa.
Freytags um eilf Uhr.
Meine Baſe hat mich nochmahls beſucht. Sie machte den Anfang davon, daß die Mei- nigen glaubten, ich wechſelte noch bis dieſe Stun- de Brieffe mit Lovelacen. Man koͤnnte dieſes aus ſeinen Drohungen und aus den Reden mercken, die er von ſich hoͤren lieſſe: denn er wuͤßte alles, was zwiſchen mir und meinen An- verwanten vorfiele, und bisweilen faſt ſo bald als es geſchehen waͤre.
Ob ich es gleich nicht billige, daß er ſich ſo herunter ſetzt, durch dergleichen Canaͤle Neuig- keiten zu erfahren: ſo wuͤrde es doch von mir nicht klug gehandelt ſeyn, wenn ich um mich zu entſchuldigen eine Anklaͤgerin des beſtochenen Bedienten wuͤrde, deſſen Schelmerey ich nie ge- billiget habe. Denn ich koͤnnte hiedurch verur- ſachen, daß mein gantzer Briefwechſel verrathen wuͤrde: und ſo wuͤrde ich alle Hofnung verloh- ren geben muͤſſen, mich von Herrn Solmes zu befreyen. Es iſt mir indeſſen ſehr wahrſchein- lich, daß dieſer Kerl, den Herr Lovelace gebraucht, den Mantel auf beyden Achſeln traͤgt. Wie koͤnnte ſonſt mein Bruder ſeine Drohungen ſo geſchwind wieder wiſſen?
Jch, antwortete meiner Baſe: ich ſchaͤmte mich der Auffuͤhrung der Meinigen gegen mich um mein ſelbſt und um anderer willen ſo ſehr, daß ich auch alsdenn Herrn Lovelace nichts da- von melden wuͤrde, wenn ich noch Mittel haͤtte, mit ihm Brieffe zu wechſeln. Wenn er dieſe
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der Clariſſa.
Freytags um eilf Uhr.
Meine Baſe hat mich nochmahls beſucht.
Sie machte den Anfang davon, daß die Mei-
nigen glaubten, ich wechſelte noch bis dieſe Stun-
de Brieffe mit Lovelacen. Man koͤnnte dieſes
aus ſeinen Drohungen und aus den Reden
mercken, die er von ſich hoͤren lieſſe: denn er
wuͤßte alles, was zwiſchen mir und meinen An-
verwanten vorfiele, und bisweilen faſt ſo bald
als es geſchehen waͤre.
Ob ich es gleich nicht billige, daß er ſich ſo
herunter ſetzt, durch dergleichen Canaͤle Neuig-
keiten zu erfahren: ſo wuͤrde es doch von mir
nicht klug gehandelt ſeyn, wenn ich um mich zu
entſchuldigen eine Anklaͤgerin des beſtochenen
Bedienten wuͤrde, deſſen Schelmerey ich nie ge-
billiget habe. Denn ich koͤnnte hiedurch verur-
ſachen, daß mein gantzer Briefwechſel verrathen
wuͤrde: und ſo wuͤrde ich alle Hofnung verloh-
ren geben muͤſſen, mich von Herrn Solmes zu
befreyen. Es iſt mir indeſſen ſehr wahrſchein-
lich, daß dieſer Kerl, den Herr Lovelace gebraucht,
den Mantel auf beyden Achſeln traͤgt. Wie
koͤnnte ſonſt mein Bruder ſeine Drohungen ſo
geſchwind wieder wiſſen?
Jch, antwortete meiner Baſe: ich ſchaͤmte
mich der Auffuͤhrung der Meinigen gegen mich
um mein ſelbſt und um anderer willen ſo ſehr,
daß ich auch alsdenn Herrn Lovelace nichts da-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 435. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/441>, abgerufen am 22.11.2024.
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