ich jezt so viel Wesens machte, nach einem Orte zu reisen, der völlig nach meinem Geschmack sey.
Jch fragte sie, ob sie selbst unverschämt genug gewesen sey, auf diesen Gedancken zu kommen, oder ob sie ihn von ihrer Fräulein geborgt hätte?
Durch ihre Antwort seßte sie mich recht in Verwunderung: Jch bin unglücklich/ daß ich nichts artigs anbringen kann/ ohne in Verdacht zu kommen/ daß ich es gestoh- len habe.
Das unverständige Mädgen sahe aus, als wenn es seine Rede in der That für etwas ar- tiges hielte, und nicht wüste, wie unverschämt sie lautete: ich ließ fle deswegen gehen, ohne ihr einen fernern Verweiß zu geben. Sie hat mich bisweilen durch ihre empfindlichen Ausdrücke in Verwunderung gesetzt. Seit der Zeit sie sich zu meiner Beunruhigung hat gebrauchen lassen, habe ich in ihrer Dreistigkeit viel spaßhaftes und witziges gefunden, das ich nicht bey ihr vermu- thet hätte. Jch sehe daraus, daß unverschämt zu seyn ihre eigene Gabe ist, und daß das Glück, das sie zum Cammer-Mädgen meiner Schwe- ster gemacht hat, nicht so gütig gegen sie gewe- sen ist, als die Natur. Denn sie würde sich besser geschickt haben, eine Freundin meiner Schwester vorzustellen: und ich kan nicht anders als glauben, daß ich mich von Natur besser schickte, ihnen beyden aufzuwarten, als der ei- nen zu befehlen zu haben, und von der andern
eine
der Clariſſa.
ich jezt ſo viel Weſens machte, nach einem Orte zu reiſen, der voͤllig nach meinem Geſchmack ſey.
Jch fragte ſie, ob ſie ſelbſt unverſchaͤmt genug geweſen ſey, auf dieſen Gedancken zu kommen, oder ob ſie ihn von ihrer Fraͤulein geborgt haͤtte?
Durch ihre Antwort ſeßte ſie mich recht in Verwunderung: Jch bin ungluͤcklich/ daß ich nichts artigs anbringen kann/ ohne in Verdacht zu kommen/ daß ich es geſtoh- len habe.
Das unverſtaͤndige Maͤdgen ſahe aus, als wenn es ſeine Rede in der That fuͤr etwas ar- tiges hielte, und nicht wuͤſte, wie unverſchaͤmt ſie lautete: ich ließ fle deswegen gehen, ohne ihr einen fernern Verweiß zu geben. Sie hat mich bisweilen durch ihre empfindlichen Ausdruͤcke in Verwunderung geſetzt. Seit der Zeit ſie ſich zu meiner Beunruhigung hat gebrauchen laſſen, habe ich in ihrer Dreiſtigkeit viel ſpaßhaftes und witziges gefunden, das ich nicht bey ihr vermu- thet haͤtte. Jch ſehe daraus, daß unverſchaͤmt zu ſeyn ihre eigene Gabe iſt, und daß das Gluͤck, das ſie zum Cammer-Maͤdgen meiner Schwe- ſter gemacht hat, nicht ſo guͤtig gegen ſie gewe- ſen iſt, als die Natur. Denn ſie wuͤrde ſich beſſer geſchickt haben, eine Freundin meiner Schweſter vorzuſtellen: und ich kan nicht anders als glauben, daß ich mich von Natur beſſer ſchickte, ihnen beyden aufzuwarten, als der ei- nen zu befehlen zu haben, und von der andern
eine
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der Clariſſa.
ich jezt ſo viel Weſens machte, nach einem Orte
zu reiſen, der voͤllig nach meinem Geſchmack ſey.
Jch fragte ſie, ob ſie ſelbſt unverſchaͤmt genug
geweſen ſey, auf dieſen Gedancken zu kommen,
oder ob ſie ihn von ihrer Fraͤulein geborgt
haͤtte?
Durch ihre Antwort ſeßte ſie mich recht in
Verwunderung: Jch bin ungluͤcklich/ daß
ich nichts artigs anbringen kann/ ohne
in Verdacht zu kommen/ daß ich es geſtoh-
len habe.
Das unverſtaͤndige Maͤdgen ſahe aus, als
wenn es ſeine Rede in der That fuͤr etwas ar-
tiges hielte, und nicht wuͤſte, wie unverſchaͤmt
ſie lautete: ich ließ fle deswegen gehen, ohne ihr
einen fernern Verweiß zu geben. Sie hat mich
bisweilen durch ihre empfindlichen Ausdruͤcke in
Verwunderung geſetzt. Seit der Zeit ſie ſich
zu meiner Beunruhigung hat gebrauchen laſſen,
habe ich in ihrer Dreiſtigkeit viel ſpaßhaftes und
witziges gefunden, das ich nicht bey ihr vermu-
thet haͤtte. Jch ſehe daraus, daß unverſchaͤmt
zu ſeyn ihre eigene Gabe iſt, und daß das Gluͤck,
das ſie zum Cammer-Maͤdgen meiner Schwe-
ſter gemacht hat, nicht ſo guͤtig gegen ſie gewe-
ſen iſt, als die Natur. Denn ſie wuͤrde ſich
beſſer geſchickt haben, eine Freundin meiner
Schweſter vorzuſtellen: und ich kan nicht anders
als glauben, daß ich mich von Natur beſſer
ſchickte, ihnen beyden aufzuwarten, als der ei-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/65>, abgerufen am 21.11.2024.
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