Nur ein paar Worte/ meine allerliebste und theureste Mutter.
Wenn meine Schwester den beyliegenden Brief auf Jhren oder auf meines Vaters Be- fehl an mich geschrieben hat, so muß ich es mir gefallen lassen, und nur diese Anmerckung da- bey machen, daß sie mir mündlich und persönlich noch weit härter begegnet ist. Kommt aber al- les aus ihrem eigenen Gehirn, so darf ich doch fragen: warum - - doch ich wuste schon zum voraus, da ich von Jhnen verwiesen und ver- bannet ward. - - - Jedoch, so lange bis ich weiß, ob sie Befehl gehabt hat oder nicht, so zu schreiben, will ich weiter nichts melden, als daß ich bin
Jhr ungemein unglückliches Kind C. Harlowe.
Jch bekam folgende Antwort auf einem un- versiegelten Blatte, das an einer Stelle benetzt war. Jch küssete die Stelle, denn ich hielt es für eine Thräne meiner Mutter. Die allerlieb- ste Frau muste diese Zeilen (ich hoffe, sie muste es thun) wider ihren Willen schreiben.
"Es ist eine Verwegenheit, seine Zuflucht "zu solchen Eltern zu nehmen, deren Befehle "man verachtet. Weil deine Schwester in glei-
"chen
der Clariſſa.
Nur ein paar Worte/ meine allerliebſte und theureſte Mutter.
Wenn meine Schweſter den beyliegenden Brief auf Jhren oder auf meines Vaters Be- fehl an mich geſchrieben hat, ſo muß ich es mir gefallen laſſen, und nur dieſe Anmerckung da- bey machen, daß ſie mir muͤndlich und perſoͤnlich noch weit haͤrter begegnet iſt. Kommt aber al- les aus ihrem eigenen Gehirn, ſo darf ich doch fragen: warum ‒ ‒ doch ich wuſte ſchon zum voraus, da ich von Jhnen verwieſen und ver- bannet ward. ‒ ‒ ‒ Jedoch, ſo lange bis ich weiß, ob ſie Befehl gehabt hat oder nicht, ſo zu ſchreiben, will ich weiter nichts melden, als daß ich bin
Jhr ungemein ungluͤckliches Kind C. Harlowe.
Jch bekam folgende Antwort auf einem un- verſiegelten Blatte, das an einer Stelle benetzt war. Jch kuͤſſete die Stelle, denn ich hielt es fuͤr eine Thraͤne meiner Mutter. Die allerlieb- ſte Frau muſte dieſe Zeilen (ich hoffe, ſie muſte es thun) wider ihren Willen ſchreiben.
„Es iſt eine Verwegenheit, ſeine Zuflucht „zu ſolchen Eltern zu nehmen, deren Befehle „man verachtet. Weil deine Schweſter in glei-
„chen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0083"n="77"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#g">der Clariſſa</hi>.</hi></fw><lb/><floatingText><body><p><hirendition="#fr">Nur ein paar Worte/ meine allerliebſte<lb/>
und theureſte Mutter.</hi></p><lb/><p>Wenn meine Schweſter den beyliegenden<lb/>
Brief auf Jhren oder auf meines Vaters Be-<lb/>
fehl an mich geſchrieben hat, ſo muß ich es mir<lb/>
gefallen laſſen, und nur dieſe Anmerckung da-<lb/>
bey machen, daß ſie mir muͤndlich und perſoͤnlich<lb/>
noch weit haͤrter begegnet iſt. Kommt aber al-<lb/>
les aus ihrem eigenen Gehirn, ſo darf ich doch<lb/>
fragen: warum ‒‒ doch ich wuſte ſchon zum<lb/>
voraus, da ich von Jhnen verwieſen und ver-<lb/>
bannet ward. ‒‒‒ Jedoch, ſo lange bis ich<lb/>
weiß, ob ſie Befehl gehabt hat oder nicht, ſo zu<lb/>ſchreiben, will ich weiter nichts melden, als daß<lb/>
ich bin</p><lb/><closer><salute><hirendition="#et"><hirendition="#b">Jhr</hi><lb/>
ungemein ungluͤckliches Kind<lb/><hirendition="#fr">C. Harlowe.</hi></hi></salute></closer></body></floatingText><lb/><p>Jch bekam folgende Antwort auf einem un-<lb/>
verſiegelten Blatte, das an einer Stelle benetzt<lb/>
war. Jch kuͤſſete die Stelle, denn ich hielt es<lb/>
fuͤr eine Thraͤne meiner Mutter. Die allerlieb-<lb/>ſte Frau muſte dieſe Zeilen (ich hoffe, ſie <hirendition="#fr">muſte</hi><lb/>
es thun) wider ihren Willen ſchreiben.</p><lb/><floatingText><body><p>„Es iſt eine Verwegenheit, ſeine Zuflucht<lb/>„zu ſolchen Eltern zu nehmen, deren Befehle<lb/>„man verachtet. Weil deine Schweſter in glei-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">„chen</fw><lb/></p></body></floatingText></div></div></body></text></TEI>
[77/0083]
der Clariſſa.
Nur ein paar Worte/ meine allerliebſte
und theureſte Mutter.
Wenn meine Schweſter den beyliegenden
Brief auf Jhren oder auf meines Vaters Be-
fehl an mich geſchrieben hat, ſo muß ich es mir
gefallen laſſen, und nur dieſe Anmerckung da-
bey machen, daß ſie mir muͤndlich und perſoͤnlich
noch weit haͤrter begegnet iſt. Kommt aber al-
les aus ihrem eigenen Gehirn, ſo darf ich doch
fragen: warum ‒ ‒ doch ich wuſte ſchon zum
voraus, da ich von Jhnen verwieſen und ver-
bannet ward. ‒ ‒ ‒ Jedoch, ſo lange bis ich
weiß, ob ſie Befehl gehabt hat oder nicht, ſo zu
ſchreiben, will ich weiter nichts melden, als daß
ich bin
Jhr
ungemein ungluͤckliches Kind
C. Harlowe.
Jch bekam folgende Antwort auf einem un-
verſiegelten Blatte, das an einer Stelle benetzt
war. Jch kuͤſſete die Stelle, denn ich hielt es
fuͤr eine Thraͤne meiner Mutter. Die allerlieb-
ſte Frau muſte dieſe Zeilen (ich hoffe, ſie muſte
es thun) wider ihren Willen ſchreiben.
„Es iſt eine Verwegenheit, ſeine Zuflucht
„zu ſolchen Eltern zu nehmen, deren Befehle
„man verachtet. Weil deine Schweſter in glei-
„chen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/83>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.