[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749.wegen ein großes Uebel zu feyn, weil es nahe be- vor stand. Denn ich unverständiges Kind stelle- te mir nicht einmahl träumend vor, was der Aus- gang unserer Unterredung seyn würde. Das glaubte ich, daß ich einen Zanck mit ihm haben würde, weil er meinen Brief nicht bekommen hatte. Allein nach meiner damahligen Art zu dencken wür- de es sehr wunderlich seyn, (wie ich Jhnen in mei- nem letzten Briefe meldete) wenn ich in einer sol- chen Versuchung unterliegen sollte, nachdem ich mich gegen das Gebot derer die so viel Ehrfurcht von mir fodern können, und deren Nahmen mir billig heilig sind, so standhaft bewiesen hatte, da ich glaub- te, daß sie ihre Rechte misbrauchten; und nachdem er mir durch seine Nachläßigkeit in Abhohlung mei- nes Briefes so viele Ursache gegeben hatte, mis- vergnügt gegen ihn zu thun. Wie kurtz ist oft der Augenblick, der unser Ach mein Schatz, ein allzu gutes und ein allzu Als
wegen ein großes Uebel zu feyn, weil es nahe be- vor ſtand. Denn ich unverſtaͤndiges Kind ſtelle- te mir nicht einmahl traͤumend vor, was der Aus- gang unſerer Unterredung ſeyn wuͤrde. Das glaubte ich, daß ich einen Zanck mit ihm haben wuͤrde, weil er meinen Brief nicht bekommen hatte. Allein nach meiner damahligen Art zu dencken wuͤr- de es ſehr wunderlich ſeyn, (wie ich Jhnen in mei- nem letzten Briefe meldete) wenn ich in einer ſol- chen Verſuchung unterliegen ſollte, nachdem ich mich gegen das Gebot derer die ſo viel Ehrfurcht von mir fodern koͤnnen, und deren Nahmen mir billig heilig ſind, ſo ſtandhaft bewieſen hatte, da ich glaub- te, daß ſie ihre Rechte misbrauchten; und nachdem er mir durch ſeine Nachlaͤßigkeit in Abhohlung mei- nes Briefes ſo viele Urſache gegeben hatte, mis- vergnuͤgt gegen ihn zu thun. Wie kurtz iſt oft der Augenblick, der unſer Ach mein Schatz, ein allzu gutes und ein allzu Als
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wegen ein großes Uebel zu feyn, weil es nahe be-
vor ſtand. Denn ich unverſtaͤndiges Kind ſtelle-
te mir nicht einmahl traͤumend vor, was der Aus-
gang unſerer Unterredung ſeyn wuͤrde. Das
glaubte ich, daß ich einen Zanck mit ihm haben
wuͤrde, weil er meinen Brief nicht bekommen hatte.
Allein nach meiner damahligen Art zu dencken wuͤr-
de es ſehr wunderlich ſeyn, (wie ich Jhnen in mei-
nem letzten Briefe meldete) wenn ich in einer ſol-
chen Verſuchung unterliegen ſollte, nachdem ich mich
gegen das Gebot derer die ſo viel Ehrfurcht von
mir fodern koͤnnen, und deren Nahmen mir billig
heilig ſind, ſo ſtandhaft bewieſen hatte, da ich glaub-
te, daß ſie ihre Rechte misbrauchten; und nachdem
er mir durch ſeine Nachlaͤßigkeit in Abhohlung mei-
nes Briefes ſo viele Urſache gegeben hatte, mis-
vergnuͤgt gegen ihn zu thun.
Wie kurtz iſt oft der Augenblick, der unſer
Schickſaal entſcheidet! Haͤtte ich nur noch zwey
Stunden gehabt, die Sache zu uͤberlegen, und
mir dieſe neuen Einſichten (wenn ich ſie ſo nennen
ſoll) zu Nutze zu machen! Allein vielleicht haͤtte
ich mich dennoch bewegen laſſen, ihn zu ſprechen!
Wie thoͤricht habe ich darin gehandelt, daß ich
ihm einige Hoffnung machte, ihm muͤndlich die
Urſachen zu ſagen, wenn ich meinen Vorſatz aͤn-
dern muͤßte!
Ach mein Schatz, ein allzu gutes und ein allzu
gefaͤlliges Gemuͤth iſt eine ſehr gefaͤhrliche Sache,
und es pflegt ſich ſelbſt zu beleydigen, weil es ſich
ſcheuet andere zu beleydigen.
Als
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