Jch war gantz bescheiden, gantz ergeben und höflich, gantz freundlich. Jch lasse bisweilen eini- gen guten Gedancken einen Platz in meinem Her- tzen, und ich habe sie nie gäntzlich ausgeschlossen: alle diese gute Gedancken, die ich von meinen un- schuldigen Jahren an bis auf das Alter eines reiffen Sünders geheget habe, sammlete ich, ohne daß ich mich lange besinnen durfte, um bey ihr ein heiteres Gesicht zu verdienen. Vielleicht (dachte ich) kann ich es aushalten, die guten Vorsätze länger in dem Munde zu haben, und mir auf die Art den Weg zu meiner Haupt-Absicht bahnen. Nicht die Liebe, sondern die Furcht ist von Natur mistrauisch. Jch will suchen die Furcht zu verbannen: so wird nichts als Liebe übrig bleiben. Die Leichtgläu- bigkeit ist der Geheimte Rath des Gottes der Lie- be, und läßt sich nie von ihm trennen.
Von den aus Harlowe-Burg erhaltenen Nachrichten, und den Vorschlägen wegen eines künftigen Aufenthalts, schreibt er in der Haupt-Sache nichts, das nicht in dem Briefe der Clarissa schon angemerckt wäre.
Von seinem Vorschlage, nach Windsor zu ziehen, drü- cket er sich also aus.
Was meinst du, Belford, kann dir die Absicht, die ich bey diesem Vorschlage hatte, in deinen Grütz- Kopf kommen? Nein gewiß nicht! und darum sollst du sie von mir erfahren.
Wenn ich mich auf ein paar Tage von ihr entfer- nete, um ihr an einem andern Orte zu dienen, so hätte es das Ansehen, als verliesse ich mich auf ihre Gunst. Du weissest wol, daß ich sie nicht verlassen durfte, so lange ich noch befürchten mußte, daß die Jhrigen ihr nachsetzen könnten. Jetzt ward ich be-
sorgt,
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Jch war gantz beſcheiden, gantz ergeben und hoͤflich, gantz freundlich. Jch laſſe bisweilen eini- gen guten Gedancken einen Platz in meinem Her- tzen, und ich habe ſie nie gaͤntzlich ausgeſchloſſen: alle dieſe gute Gedancken, die ich von meinen un- ſchuldigen Jahren an bis auf das Alter eines reiffen Suͤnders geheget habe, ſammlete ich, ohne daß ich mich lange beſinnen durfte, um bey ihr ein heiteres Geſicht zu verdienen. Vielleicht (dachte ich) kann ich es aushalten, die guten Vorſaͤtze laͤnger in dem Munde zu haben, und mir auf die Art den Weg zu meiner Haupt-Abſicht bahnen. Nicht die Liebe, ſondern die Furcht iſt von Natur mistrauiſch. Jch will ſuchen die Furcht zu verbannen: ſo wird nichts als Liebe uͤbrig bleiben. Die Leichtglaͤu- bigkeit iſt der Geheimte Rath des Gottes der Lie- be, und laͤßt ſich nie von ihm trennen.
Von den aus Harlowe-Burg erhaltenen Nachrichten, und den Vorſchlaͤgen wegen eines kuͤnftigen Aufenthalts, ſchreibt er in der Haupt-Sache nichts, das nicht in dem Briefe der Clariſſa ſchon angemerckt waͤre.
Von ſeinem Vorſchlage, nach Windſor zu ziehen, druͤ- cket er ſich alſo aus.
Was meinſt du, Belford, kann dir die Abſicht, die ich bey dieſem Vorſchlage hatte, in deinen Gruͤtz- Kopf kommen? Nein gewiß nicht! und darum ſollſt du ſie von mir erfahren.
Wenn ich mich auf ein paar Tage von ihr entfer- nete, um ihr an einem andern Orte zu dienen, ſo haͤtte es das Anſehen, als verlieſſe ich mich auf ihre Gunſt. Du weiſſeſt wol, daß ich ſie nicht verlaſſen durfte, ſo lange ich noch befuͤrchten mußte, daß die Jhrigen ihr nachſetzen koͤnnten. Jetzt ward ich be-
ſorgt,
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Jch war gantz beſcheiden, gantz ergeben und
hoͤflich, gantz freundlich. Jch laſſe bisweilen eini-
gen guten Gedancken einen Platz in meinem Her-
tzen, und ich habe ſie nie gaͤntzlich ausgeſchloſſen:
alle dieſe gute Gedancken, die ich von meinen un-
ſchuldigen Jahren an bis auf das Alter eines reiffen
Suͤnders geheget habe, ſammlete ich, ohne daß ich
mich lange beſinnen durfte, um bey ihr ein heiteres
Geſicht zu verdienen. Vielleicht (dachte ich) kann
ich es aushalten, die guten Vorſaͤtze laͤnger in dem
Munde zu haben, und mir auf die Art den Weg
zu meiner Haupt-Abſicht bahnen. Nicht die Liebe,
ſondern die Furcht iſt von Natur mistrauiſch.
Jch will ſuchen die Furcht zu verbannen: ſo wird
nichts als Liebe uͤbrig bleiben. Die Leichtglaͤu-
bigkeit iſt der Geheimte Rath des Gottes der Lie-
be, und laͤßt ſich nie von ihm trennen.
Von den aus Harlowe-Burg erhaltenen Nachrichten, und
den Vorſchlaͤgen wegen eines kuͤnftigen Aufenthalts, ſchreibt
er in der Haupt-Sache nichts, das nicht in dem Briefe der
Clariſſa ſchon angemerckt waͤre.
Von ſeinem Vorſchlage, nach Windſor zu ziehen, druͤ-
cket er ſich alſo aus.
Was meinſt du, Belford, kann dir die Abſicht,
die ich bey dieſem Vorſchlage hatte, in deinen Gruͤtz-
Kopf kommen? Nein gewiß nicht! und darum
ſollſt du ſie von mir erfahren.
Wenn ich mich auf ein paar Tage von ihr entfer-
nete, um ihr an einem andern Orte zu dienen, ſo
haͤtte es das Anſehen, als verlieſſe ich mich auf ihre
Gunſt. Du weiſſeſt wol, daß ich ſie nicht verlaſſen
durfte, ſo lange ich noch befuͤrchten mußte, daß die
Jhrigen ihr nachſetzen koͤnnten. Jetzt ward ich be-
ſorgt,
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/241>, abgerufen am 22.12.2024.
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