begehren, so mußte ich doch einen Ort nennen. London durfte ich nicht nennen: zum wenigsten nicht ohne viele Behutsamkeit, und so daß es mehr schien ihre eigene Wahl zu seyn. Denn du mußt wissen, wie verkehrt dieses Geschlecht ist: wenn es uns um Rath fraget, so will es nur unsere Mei- nung ausforschen, um sich ihr zu widersetzen; da es doch vielleicht eben das würde gewollt haben, wenn wir es nicht gewollt hätten.
Jch durfte nur vorgeben, daß ich nach Wind- sor gereiset wäre, so konnte ich bey meiner Zurück- kunft schon etwas finden ihr eine Abneigung vor die- sem Orte zu machen. Weil ich die Stadt selbst in Vorschlag gebracht hatte, so ließ dieses ehrlicher, und sie mußte daraus schliessen, daß ich keine Ab- sichten hätte. Jch habe noch nie eine so muntere, lebendige und kluge Vorsichtigkeit bey einem Frau- enzimmer angetroffen, als bey diesem. - - - Wie betrübt es einen ehrlichen Mann, wenn er für ei- nen Schelm gehalten wird?
Auf meiner Hin-Reise oder Rück-Reise kann ich bey der Frau Greme ansprechen. Sie und meine Geliebte hatten ein sehr eifriges Gespräch. Wenn ich nur wüßte, wovon sie geredet hätten. Will die ei- ne ihre Umstände durch Hülfe der andern verbessern, und zwar dieses bey ihrer ersten Bekantschaft: so kann ich ihnen beyden ohne meinen Schaden dienen. Denn dieses sind die klügsten Wohlthaten, auf wel- che nie eine Reue folget, wenn gleich der empfan- gende Theil undanckbar bleibt. Frau Greme wechselt auch mit ihrer Schwester, in deren Hause
wir
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begehren, ſo mußte ich doch einen Ort nennen. London durfte ich nicht nennen: zum wenigſten nicht ohne viele Behutſamkeit, und ſo daß es mehr ſchien ihre eigene Wahl zu ſeyn. Denn du mußt wiſſen, wie verkehrt dieſes Geſchlecht iſt: wenn es uns um Rath fraget, ſo will es nur unſere Mei- nung ausforſchen, um ſich ihr zu widerſetzen; da es doch vielleicht eben das wuͤrde gewollt haben, wenn wir es nicht gewollt haͤtten.
Jch durfte nur vorgeben, daß ich nach Wind- ſor gereiſet waͤre, ſo konnte ich bey meiner Zuruͤck- kunft ſchon etwas finden ihr eine Abneigung vor die- ſem Orte zu machen. Weil ich die Stadt ſelbſt in Vorſchlag gebracht hatte, ſo ließ dieſes ehrlicher, und ſie mußte daraus ſchlieſſen, daß ich keine Ab- ſichten haͤtte. Jch habe noch nie eine ſo muntere, lebendige und kluge Vorſichtigkeit bey einem Frau- enzimmer angetroffen, als bey dieſem. ‒ ‒ ‒ Wie betruͤbt es einen ehrlichen Mann, wenn er fuͤr ei- nen Schelm gehalten wird?
Auf meiner Hin-Reiſe oder Ruͤck-Reiſe kann ich bey der Frau Greme anſprechen. Sie und meine Geliebte hatten ein ſehr eifriges Geſpraͤch. Wenn ich nur wuͤßte, wovon ſie geredet haͤtten. Will die ei- ne ihre Umſtaͤnde durch Huͤlfe der andern verbeſſern, und zwar dieſes bey ihrer erſten Bekantſchaft: ſo kañ ich ihnen beyden ohne meinen Schaden dienen. Denn dieſes ſind die kluͤgſten Wohlthaten, auf wel- che nie eine Reue folget, wenn gleich der empfan- gende Theil undanckbar bleibt. Frau Greme wechſelt auch mit ihrer Schweſter, in deren Hauſe
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begehren, ſo mußte ich doch einen Ort nennen.
London durfte ich nicht nennen: zum wenigſten
nicht ohne viele Behutſamkeit, und ſo daß es mehr
ſchien ihre eigene Wahl zu ſeyn. Denn du mußt
wiſſen, wie verkehrt dieſes Geſchlecht iſt: wenn
es uns um Rath fraget, ſo will es nur unſere Mei-
nung ausforſchen, um ſich ihr zu widerſetzen; da
es doch vielleicht eben das wuͤrde gewollt haben,
wenn wir es nicht gewollt haͤtten.
Jch durfte nur vorgeben, daß ich nach Wind-
ſor gereiſet waͤre, ſo konnte ich bey meiner Zuruͤck-
kunft ſchon etwas finden ihr eine Abneigung vor die-
ſem Orte zu machen. Weil ich die Stadt ſelbſt in
Vorſchlag gebracht hatte, ſo ließ dieſes ehrlicher,
und ſie mußte daraus ſchlieſſen, daß ich keine Ab-
ſichten haͤtte. Jch habe noch nie eine ſo muntere,
lebendige und kluge Vorſichtigkeit bey einem Frau-
enzimmer angetroffen, als bey dieſem. ‒ ‒ ‒ Wie
betruͤbt es einen ehrlichen Mann, wenn er fuͤr ei-
nen Schelm gehalten wird?
Auf meiner Hin-Reiſe oder Ruͤck-Reiſe kann ich
bey der Frau Greme anſprechen. Sie und meine
Geliebte hatten ein ſehr eifriges Geſpraͤch. Wenn
ich nur wuͤßte, wovon ſie geredet haͤtten. Will die ei-
ne ihre Umſtaͤnde durch Huͤlfe der andern verbeſſern,
und zwar dieſes bey ihrer erſten Bekantſchaft: ſo
kañ ich ihnen beyden ohne meinen Schaden dienen.
Denn dieſes ſind die kluͤgſten Wohlthaten, auf wel-
che nie eine Reue folget, wenn gleich der empfan-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/243>, abgerufen am 22.12.2024.
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