die in Betrachtung können gezogen werden. Jch kann mir ohnmöglich vorstellen, daß die Fräulein Clarissa Harlowe nicht auf Tugend an einem Lieb- haber sehen, oder die Tugend nur als eine Neben- Eigenschaft ansehen werden.
Was für Vorstellungen soll ich Jhnen bey dieser Gelegenheit thun? Die Erfüllung Jhrer eigenen Pflichten, Jhr Bestes, Jhre zeitliche und ewige Wohlfahrt kann davon abhängen, ob Jhr Gemahl tugendhaft ist oder nicht. Es steht nicht immer in dem Vermögen einer Frau, die Gesetze der Tugend und der Religion zu erfüllen, wenn sie einen gottlo- sen Mann hat: obgleich der Mann seine Pflichten erfüllen kann, wenn gleich seine Frau sie nicht erfül- let. Jch höre, daß die Religion noch eben die Kraft bey Jhnen hat, die Sie in Jhrer Kindheit hatte: ich wundere mich auch nicht darüber; ich würde mich vielmehr gewundert haben, wenn Sie im Guten ab- genommen hätten. Allein können Sie sich Hoffnung machen, beständig zu bleiben, wenn Jhr Gemahl Jhnen zur Hinderung gereichet.
Vergönnen Sie mir, daß ich Jhnen eine Frage vorlegen darf: wenn Sie und Jhre Eltern verschie- dener Meynung sind, wessen Pflicht istes nachzuge- ben? Jch gestehe Jhnen willig ein, daß ich keine bessere Parthey für Sie wüßte, als den Herrn Lo- velace, wenn es ihm nicht an jener eintzigen Eigen- schaft mangelte. Jch würde nicht Ursache haben seine Handlungen zu beurtheilen, wenn er sich nicht um meine allerliebste Fräulein Base bewürbe. Allein bey diesen Umständen muß ich Jhnen melden, meine
liebe
die in Betrachtung koͤnnen gezogen werden. Jch kann mir ohnmoͤglich vorſtellen, daß die Fraͤulein Clariſſa Harlowe nicht auf Tugend an einem Lieb- haber ſehen, oder die Tugend nur als eine Neben- Eigenſchaft anſehen werden.
Was fuͤr Vorſtellungen ſoll ich Jhnen bey dieſer Gelegenheit thun? Die Erfuͤllung Jhrer eigenen Pflichten, Jhr Beſtes, Jhre zeitliche und ewige Wohlfahrt kann davon abhaͤngen, ob Jhr Gemahl tugendhaft iſt oder nicht. Es ſteht nicht immer in dem Vermoͤgen einer Frau, die Geſetze der Tugend und der Religion zu erfuͤllen, wenn ſie einen gottlo- ſen Mann hat: obgleich der Mann ſeine Pflichten erfuͤllen kann, wenn gleich ſeine Frau ſie nicht erfuͤl- let. Jch hoͤre, daß die Religion noch eben die Kraft bey Jhnen hat, die Sie in Jhrer Kindheit hatte: ich wundere mich auch nicht daruͤber; ich wuͤrde mich vielmehr gewundert haben, wenn Sie im Guten ab- genommen haͤtten. Allein koͤnnen Sie ſich Hoffnung machen, beſtaͤndig zu bleiben, wenn Jhr Gemahl Jhnen zur Hinderung gereichet.
Vergoͤnnen Sie mir, daß ich Jhnen eine Frage vorlegen darf: wenn Sie und Jhre Eltern verſchie- dener Meynung ſind, weſſen Pflicht iſtes nachzuge- ben? Jch geſtehe Jhnen willig ein, daß ich keine beſſere Parthey fuͤr Sie wuͤßte, als den Herrn Lo- velace, wenn es ihm nicht an jener eintzigen Eigen- ſchaft mangelte. Jch wuͤrde nicht Urſache haben ſeine Handlungen zu beurtheilen, wenn er ſich nicht um meine allerliebſte Fraͤulein Baſe bewuͤrbe. Allein bey dieſen Umſtaͤnden muß ich Jhnen melden, meine
liebe
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0566"n="552"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
die in Betrachtung koͤnnen gezogen werden. Jch<lb/>
kann mir ohnmoͤglich vorſtellen, daß die Fraͤulein<lb/><hirendition="#fr">Clariſſa Harlowe</hi> nicht auf Tugend an einem Lieb-<lb/>
haber ſehen, oder die Tugend nur als eine Neben-<lb/>
Eigenſchaft anſehen werden.</p><lb/><p>Was fuͤr Vorſtellungen ſoll ich Jhnen bey dieſer<lb/>
Gelegenheit thun? Die Erfuͤllung Jhrer eigenen<lb/>
Pflichten, Jhr Beſtes, Jhre zeitliche und ewige<lb/>
Wohlfahrt kann davon abhaͤngen, ob Jhr Gemahl<lb/>
tugendhaft iſt oder nicht. Es ſteht nicht immer in<lb/>
dem Vermoͤgen einer Frau, die Geſetze der Tugend<lb/>
und der Religion zu erfuͤllen, wenn ſie einen gottlo-<lb/>ſen Mann hat: obgleich der Mann ſeine Pflichten<lb/>
erfuͤllen kann, wenn gleich ſeine Frau ſie nicht erfuͤl-<lb/>
let. Jch hoͤre, daß die Religion noch eben die Kraft<lb/>
bey Jhnen hat, die Sie in Jhrer Kindheit hatte:<lb/>
ich wundere mich auch nicht daruͤber; ich wuͤrde mich<lb/>
vielmehr gewundert haben, wenn Sie im Guten ab-<lb/>
genommen haͤtten. Allein koͤnnen Sie ſich Hoffnung<lb/>
machen, beſtaͤndig zu bleiben, wenn Jhr Gemahl<lb/>
Jhnen zur Hinderung gereichet.</p><lb/><p>Vergoͤnnen Sie mir, daß ich Jhnen eine Frage<lb/>
vorlegen darf: wenn Sie und Jhre Eltern verſchie-<lb/>
dener Meynung ſind, weſſen Pflicht iſtes nachzuge-<lb/>
ben? Jch geſtehe Jhnen willig ein, daß ich keine<lb/>
beſſere Parthey fuͤr Sie wuͤßte, als den Herrn <hirendition="#fr">Lo-<lb/>
velace,</hi> wenn es ihm nicht an jener eintzigen Eigen-<lb/>ſchaft mangelte. Jch wuͤrde nicht Urſache haben<lb/>ſeine Handlungen zu beurtheilen, wenn er ſich nicht<lb/>
um meine allerliebſte Fraͤulein Baſe bewuͤrbe. Allein<lb/>
bey dieſen Umſtaͤnden muß ich Jhnen melden, meine<lb/><fwplace="bottom"type="catch">liebe</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[552/0566]
die in Betrachtung koͤnnen gezogen werden. Jch
kann mir ohnmoͤglich vorſtellen, daß die Fraͤulein
Clariſſa Harlowe nicht auf Tugend an einem Lieb-
haber ſehen, oder die Tugend nur als eine Neben-
Eigenſchaft anſehen werden.
Was fuͤr Vorſtellungen ſoll ich Jhnen bey dieſer
Gelegenheit thun? Die Erfuͤllung Jhrer eigenen
Pflichten, Jhr Beſtes, Jhre zeitliche und ewige
Wohlfahrt kann davon abhaͤngen, ob Jhr Gemahl
tugendhaft iſt oder nicht. Es ſteht nicht immer in
dem Vermoͤgen einer Frau, die Geſetze der Tugend
und der Religion zu erfuͤllen, wenn ſie einen gottlo-
ſen Mann hat: obgleich der Mann ſeine Pflichten
erfuͤllen kann, wenn gleich ſeine Frau ſie nicht erfuͤl-
let. Jch hoͤre, daß die Religion noch eben die Kraft
bey Jhnen hat, die Sie in Jhrer Kindheit hatte:
ich wundere mich auch nicht daruͤber; ich wuͤrde mich
vielmehr gewundert haben, wenn Sie im Guten ab-
genommen haͤtten. Allein koͤnnen Sie ſich Hoffnung
machen, beſtaͤndig zu bleiben, wenn Jhr Gemahl
Jhnen zur Hinderung gereichet.
Vergoͤnnen Sie mir, daß ich Jhnen eine Frage
vorlegen darf: wenn Sie und Jhre Eltern verſchie-
dener Meynung ſind, weſſen Pflicht iſtes nachzuge-
ben? Jch geſtehe Jhnen willig ein, daß ich keine
beſſere Parthey fuͤr Sie wuͤßte, als den Herrn Lo-
velace, wenn es ihm nicht an jener eintzigen Eigen-
ſchaft mangelte. Jch wuͤrde nicht Urſache haben
ſeine Handlungen zu beurtheilen, wenn er ſich nicht
um meine allerliebſte Fraͤulein Baſe bewuͤrbe. Allein
bey dieſen Umſtaͤnden muß ich Jhnen melden, meine
liebe
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 552. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/566>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.