und wann auf dieser und jener Seite der Kutsche. Er verhielt sich aber nicht anders gegen sie, als wenn es gemeine Bedienten wären, und ich war so betrübt, und ohngeachtet aller seiner Schmeiche- leyen so ungehalten, daß ich mich nicht überwin- den konnte, ihn zu fragen, wer sie wären, eben so wenig als ich ihn sonst etwas fragen konnte.
Ueberlegen Sie, wie mir zu Muthe gewesen seyn muß, als ich aus dem Wagen stieg, ohne eine Person meines Geschlechts bey mir zu haben; ohne einige andere Kleidung, als die ich auf dem Leibe hatte, die sich schlecht zu meiner bis- herigen und noch bevorstehenden Reise schickte: ohne Kappe, ohne Reise-Hut, ohne alle andere nö- thige Kleidung, ein Hals-Tuch ausgenommen. Jch war so müde, daß ich hätte sterben mögen; und mein Gemüth war noch mehr ermüdet, als mein Leib. Die Pferde schwitzten und rauchten dermas- sen, daß jedermann in dem Wirts-Hause glaubte, ich müßte ein leichtfertiges Mädchen seyn, das sei- nen Anverwandten davon gegangen wäre. Man konnte ihnen dieses an den Gebeerden und an ihren heimlichen Reden anmercken: und daran, daß mehr Leute aus dem Hause als zur Bedienung nö- thig waren, sich nach einander einen Weg machten, uns zu sehen.
Die Wirthin, die Lovelace zu mir herein schickte, wieß mir ein besonderes Zimmer an, brachte mir Hirschhorn und kaltes Wasser, als sie sahe, daß mir übel werden wollte; und ließ mich hierauf allein, als ich verlangte, eine halbe Stunde
für
und wann auf dieſer und jener Seite der Kutſche. Er verhielt ſich aber nicht anders gegen ſie, als wenn es gemeine Bedienten waͤren, und ich war ſo betruͤbt, und ohngeachtet aller ſeiner Schmeiche- leyen ſo ungehalten, daß ich mich nicht uͤberwin- den konnte, ihn zu fragen, wer ſie waͤren, eben ſo wenig als ich ihn ſonſt etwas fragen konnte.
Ueberlegen Sie, wie mir zu Muthe geweſen ſeyn muß, als ich aus dem Wagen ſtieg, ohne eine Perſon meines Geſchlechts bey mir zu haben; ohne einige andere Kleidung, als die ich auf dem Leibe hatte, die ſich ſchlecht zu meiner bis- herigen und noch bevorſtehenden Reiſe ſchickte: ohne Kappe, ohne Reiſe-Hut, ohne alle andere noͤ- thige Kleidung, ein Hals-Tuch ausgenommen. Jch war ſo muͤde, daß ich haͤtte ſterben moͤgen; und mein Gemuͤth war noch mehr ermuͤdet, als mein Leib. Die Pferde ſchwitzten und rauchten dermaſ- ſen, daß jedermann in dem Wirts-Hauſe glaubte, ich muͤßte ein leichtfertiges Maͤdchen ſeyn, das ſei- nen Anverwandten davon gegangen waͤre. Man konnte ihnen dieſes an den Gebeerden und an ihren heimlichen Reden anmercken: und daran, daß mehr Leute aus dem Hauſe als zur Bedienung noͤ- thig waren, ſich nach einander einen Weg machten, uns zu ſehen.
Die Wirthin, die Lovelace zu mir herein ſchickte, wieß mir ein beſonderes Zimmer an, brachte mir Hirſchhorn und kaltes Waſſer, als ſie ſahe, daß mir uͤbel werden wollte; und ließ mich hierauf allein, als ich verlangte, eine halbe Stunde
fuͤr
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0064"n="50"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
und wann auf dieſer und jener Seite der Kutſche.<lb/>
Er verhielt ſich aber nicht anders gegen ſie, als<lb/>
wenn es gemeine Bedienten waͤren, und ich war<lb/>ſo betruͤbt, und ohngeachtet aller ſeiner Schmeiche-<lb/>
leyen ſo ungehalten, daß ich mich nicht uͤberwin-<lb/>
den konnte, ihn zu fragen, wer ſie waͤren, eben ſo<lb/>
wenig als ich ihn ſonſt etwas fragen konnte.</p><lb/><p>Ueberlegen Sie, wie mir zu Muthe geweſen<lb/>ſeyn muß, als ich aus dem Wagen ſtieg, ohne<lb/>
eine Perſon meines Geſchlechts bey mir zu haben;<lb/>
ohne einige andere Kleidung, als die ich<lb/>
auf dem Leibe hatte, die ſich ſchlecht zu meiner bis-<lb/>
herigen und noch bevorſtehenden Reiſe ſchickte: ohne<lb/>
Kappe, ohne Reiſe-Hut, ohne alle andere noͤ-<lb/>
thige Kleidung, ein Hals-Tuch ausgenommen.<lb/>
Jch war ſo muͤde, daß ich haͤtte ſterben moͤgen; und<lb/>
mein Gemuͤth war noch mehr ermuͤdet, als mein<lb/>
Leib. Die Pferde ſchwitzten und rauchten dermaſ-<lb/>ſen, daß jedermann in dem Wirts-Hauſe glaubte,<lb/>
ich muͤßte ein leichtfertiges Maͤdchen ſeyn, das ſei-<lb/>
nen Anverwandten davon gegangen waͤre. Man<lb/>
konnte ihnen dieſes an den Gebeerden und an ihren<lb/>
heimlichen Reden anmercken: und daran, daß<lb/>
mehr Leute aus dem Hauſe als zur Bedienung noͤ-<lb/>
thig waren, ſich nach einander einen Weg machten,<lb/>
uns zu ſehen.</p><lb/><p>Die Wirthin, die <hirendition="#fr">Lovelace</hi> zu mir herein<lb/>ſchickte, wieß mir ein beſonderes Zimmer an,<lb/>
brachte mir Hirſchhorn und kaltes Waſſer, als ſie<lb/>ſahe, daß mir uͤbel werden wollte; und ließ mich<lb/>
hierauf allein, als ich verlangte, eine halbe Stunde<lb/><fwplace="bottom"type="catch">fuͤr</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[50/0064]
und wann auf dieſer und jener Seite der Kutſche.
Er verhielt ſich aber nicht anders gegen ſie, als
wenn es gemeine Bedienten waͤren, und ich war
ſo betruͤbt, und ohngeachtet aller ſeiner Schmeiche-
leyen ſo ungehalten, daß ich mich nicht uͤberwin-
den konnte, ihn zu fragen, wer ſie waͤren, eben ſo
wenig als ich ihn ſonſt etwas fragen konnte.
Ueberlegen Sie, wie mir zu Muthe geweſen
ſeyn muß, als ich aus dem Wagen ſtieg, ohne
eine Perſon meines Geſchlechts bey mir zu haben;
ohne einige andere Kleidung, als die ich
auf dem Leibe hatte, die ſich ſchlecht zu meiner bis-
herigen und noch bevorſtehenden Reiſe ſchickte: ohne
Kappe, ohne Reiſe-Hut, ohne alle andere noͤ-
thige Kleidung, ein Hals-Tuch ausgenommen.
Jch war ſo muͤde, daß ich haͤtte ſterben moͤgen; und
mein Gemuͤth war noch mehr ermuͤdet, als mein
Leib. Die Pferde ſchwitzten und rauchten dermaſ-
ſen, daß jedermann in dem Wirts-Hauſe glaubte,
ich muͤßte ein leichtfertiges Maͤdchen ſeyn, das ſei-
nen Anverwandten davon gegangen waͤre. Man
konnte ihnen dieſes an den Gebeerden und an ihren
heimlichen Reden anmercken: und daran, daß
mehr Leute aus dem Hauſe als zur Bedienung noͤ-
thig waren, ſich nach einander einen Weg machten,
uns zu ſehen.
Die Wirthin, die Lovelace zu mir herein
ſchickte, wieß mir ein beſonderes Zimmer an,
brachte mir Hirſchhorn und kaltes Waſſer, als ſie
ſahe, daß mir uͤbel werden wollte; und ließ mich
hierauf allein, als ich verlangte, eine halbe Stunde
fuͤr
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/64>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.