Er hatte die Vorsichtigkeit gehabt, auf die ich nicht gedacht hatte, (denn was sollte ich jetzt vor- sichtig seyn, nachdem ich es in der wichtigern Sache nicht gewesen war) mir eine sammtene Kappe, und ein artiges Mäntelchen mit Silber besetzt ohne mein Wissen einzukauffen. Der listige Mensch sagte in Gegenwart der Wirthin, einer Verwan- tin von ihr, und der Mägde: er wollte sich die Belohnung vor seine Vorsorge nehmen, und seiner schönen mürrischen Schwester ein Mäulchen steh- len. Er nahm sich auch in der That seinen Lohn, und (wie er sagte) mit demselben eine Thräne. Er versicherte mir in aller Gegenwart (der garstige Mensch!) ich dürfte mich nicht vor meinen Eltern fürchten, die mich hertzlich liebeten. Wie war es mir möglich, mein Schatz, einem solchen Mann freundlich zu begegnen, dem kein wahres Wort auf der Zunge schwebte?
Als der Wagen vorfuhr, fragte er mich: ob ich etwas dagegen hätte, daß wir auf das Gut in der Grafschaft Hertford führen? der Lord M. halte sich jetzt in der Grafschaft Berck auf.
Jch antwortete: vor jetzt wollte ich zu keinem von seinen Verwanten reisen; denn das würde of- fenbar lassen, als wenn ich in meine Verwanten ein Mistrauen setzte. Wenn ich meiner eigenen Wahl folgen dürfte, so sehnete ich mich nach einem Aufenthalt, da ich verborgen und für mich seyn könnte, und er sollte mich so lange verlassen, bis ich hörte, wie es bey meinen Freunden aussähe. Jch hätte zwar ohnehin wenige Hoffnung zu einer
Aus-
E 4
Er hatte die Vorſichtigkeit gehabt, auf die ich nicht gedacht hatte, (denn was ſollte ich jetzt vor- ſichtig ſeyn, nachdem ich es in der wichtigern Sache nicht geweſen war) mir eine ſammtene Kappe, und ein artiges Maͤntelchen mit Silber beſetzt ohne mein Wiſſen einzukauffen. Der liſtige Menſch ſagte in Gegenwart der Wirthin, einer Verwan- tin von ihr, und der Maͤgde: er wollte ſich die Belohnung vor ſeine Vorſorge nehmen, und ſeiner ſchoͤnen muͤrriſchen Schweſter ein Maͤulchen ſteh- len. Er nahm ſich auch in der That ſeinen Lohn, und (wie er ſagte) mit demſelben eine Thraͤne. Er verſicherte mir in aller Gegenwart (der garſtige Menſch!) ich duͤrfte mich nicht vor meinen Eltern fuͤrchten, die mich hertzlich liebeten. Wie war es mir moͤglich, mein Schatz, einem ſolchen Mann freundlich zu begegnen, dem kein wahres Wort auf der Zunge ſchwebte?
Als der Wagen vorfuhr, fragte er mich: ob ich etwas dagegen haͤtte, daß wir auf das Gut in der Grafſchaft Hertford fuͤhren? der Lord M. halte ſich jetzt in der Grafſchaft Berck auf.
Jch antwortete: vor jetzt wollte ich zu keinem von ſeinen Verwanten reiſen; denn das wuͤrde of- fenbar laſſen, als wenn ich in meine Verwanten ein Mistrauen ſetzte. Wenn ich meiner eigenen Wahl folgen duͤrfte, ſo ſehnete ich mich nach einem Aufenthalt, da ich verborgen und fuͤr mich ſeyn koͤnnte, und er ſollte mich ſo lange verlaſſen, bis ich hoͤrte, wie es bey meinen Freunden ausſaͤhe. Jch haͤtte zwar ohnehin wenige Hoffnung zu einer
Aus-
E 4
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0085"n="71"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p>Er hatte die Vorſichtigkeit gehabt, auf die ich<lb/>
nicht gedacht hatte, (denn was ſollte ich jetzt vor-<lb/>ſichtig ſeyn, nachdem ich es in der wichtigern Sache<lb/>
nicht geweſen war) mir eine ſammtene Kappe, und<lb/>
ein artiges Maͤntelchen mit Silber beſetzt ohne<lb/>
mein Wiſſen einzukauffen. Der liſtige Menſch<lb/>ſagte in Gegenwart der Wirthin, einer Verwan-<lb/>
tin von ihr, und der Maͤgde: er wollte ſich die<lb/>
Belohnung vor ſeine Vorſorge nehmen, und ſeiner<lb/>ſchoͤnen muͤrriſchen Schweſter ein Maͤulchen ſteh-<lb/>
len. Er nahm ſich auch in der That ſeinen Lohn,<lb/>
und (wie er ſagte) mit demſelben eine Thraͤne. Er<lb/>
verſicherte mir in aller Gegenwart (der garſtige<lb/>
Menſch!) ich duͤrfte mich nicht vor meinen Eltern<lb/>
fuͤrchten, die mich hertzlich liebeten. Wie war es<lb/>
mir moͤglich, mein Schatz, einem ſolchen Mann<lb/>
freundlich zu begegnen, dem kein wahres Wort<lb/>
auf der Zunge ſchwebte?</p><lb/><p>Als der Wagen vorfuhr, fragte er mich: ob ich<lb/>
etwas dagegen haͤtte, daß wir auf das Gut in der<lb/>
Grafſchaft Hertford fuͤhren? der <hirendition="#fr">Lord</hi> M. halte<lb/>ſich jetzt in der Grafſchaft Berck auf.</p><lb/><p>Jch antwortete: vor jetzt wollte ich zu keinem<lb/>
von ſeinen Verwanten reiſen; denn das wuͤrde of-<lb/>
fenbar laſſen, als wenn ich in meine Verwanten<lb/>
ein Mistrauen ſetzte. Wenn ich meiner eigenen<lb/>
Wahl folgen duͤrfte, ſo ſehnete ich mich nach einem<lb/>
Aufenthalt, da ich verborgen und fuͤr mich ſeyn<lb/>
koͤnnte, und er ſollte mich ſo lange verlaſſen, bis<lb/>
ich hoͤrte, wie es bey meinen Freunden ausſaͤhe.<lb/>
Jch haͤtte zwar ohnehin wenige Hoffnung zu einer<lb/><fwplace="bottom"type="sig">E 4</fw><fwplace="bottom"type="catch">Aus-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[71/0085]
Er hatte die Vorſichtigkeit gehabt, auf die ich
nicht gedacht hatte, (denn was ſollte ich jetzt vor-
ſichtig ſeyn, nachdem ich es in der wichtigern Sache
nicht geweſen war) mir eine ſammtene Kappe, und
ein artiges Maͤntelchen mit Silber beſetzt ohne
mein Wiſſen einzukauffen. Der liſtige Menſch
ſagte in Gegenwart der Wirthin, einer Verwan-
tin von ihr, und der Maͤgde: er wollte ſich die
Belohnung vor ſeine Vorſorge nehmen, und ſeiner
ſchoͤnen muͤrriſchen Schweſter ein Maͤulchen ſteh-
len. Er nahm ſich auch in der That ſeinen Lohn,
und (wie er ſagte) mit demſelben eine Thraͤne. Er
verſicherte mir in aller Gegenwart (der garſtige
Menſch!) ich duͤrfte mich nicht vor meinen Eltern
fuͤrchten, die mich hertzlich liebeten. Wie war es
mir moͤglich, mein Schatz, einem ſolchen Mann
freundlich zu begegnen, dem kein wahres Wort
auf der Zunge ſchwebte?
Als der Wagen vorfuhr, fragte er mich: ob ich
etwas dagegen haͤtte, daß wir auf das Gut in der
Grafſchaft Hertford fuͤhren? der Lord M. halte
ſich jetzt in der Grafſchaft Berck auf.
Jch antwortete: vor jetzt wollte ich zu keinem
von ſeinen Verwanten reiſen; denn das wuͤrde of-
fenbar laſſen, als wenn ich in meine Verwanten
ein Mistrauen ſetzte. Wenn ich meiner eigenen
Wahl folgen duͤrfte, ſo ſehnete ich mich nach einem
Aufenthalt, da ich verborgen und fuͤr mich ſeyn
koͤnnte, und er ſollte mich ſo lange verlaſſen, bis
ich hoͤrte, wie es bey meinen Freunden ausſaͤhe.
Jch haͤtte zwar ohnehin wenige Hoffnung zu einer
Aus-
E 4
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/85>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.