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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749.

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weiß, worzu er sich in Absicht auf sie und ihre
beyden Söhne entschließen soll, in die er sich so
vergaffet hatte, und sie für die Seinigen hielte,
ob er gleich jetzt anfängt daran zu zweifeln.

Du siehst also, Lovelace, was es mit den
Maitressen für ein Ende nimmt: Diese neue
Lebensart ist der uhralten nicht vorzuziehen. Der
arme Schelm sagte zu mir: "Die Maitresse kann
"man wohl halten; aber die Güter dabey verlie-
"ren. - - Und siehe einmahl mein Todtengerip-
"pe an!" Hierbey wieß er auf seinen schwind-
süchtigen Leib.

Wie klug handeln wir, wenn wir uns auf un-
sere Freyheit,
oder besser zu reden, auf die Frey-
heiten, die wir uns selbst nehmen, so vieles einbil-
den! Wir haben gewiß nicht Ursache, den Ehe-
stand so sehr zu verachten, und unsere matten
Schertze bey demselben zu verschwenden: wenn
wir oft selbst von unsern Maitressen durch Künste,
die wir ohngeachtet aller unserer Klugheit nicht
einsehen, betrogen werden, und mehr von ihnen
am Stricke gesühret werden, als es sich irgend ei-
ne Frau zu thun unterstehet. Denn gewiß, Bel-
ton
ist nicht der einzige in der Welt, dem es al-
so gehet.

Laß uns dieses reifer überlegen, und zwar nach
unsern freyen Grundsätzen, und nicht nach den Ge-
setzen oder Gebräuchen unsers Vaterlandes. Und
dennoch können wir diese Gesetze nicht über den
Haufen stoßen, wenn wir nicht zugleich alle die
Pflichten unter die Füße treten wollen, die uns

als
J 2



weiß, worzu er ſich in Abſicht auf ſie und ihre
beyden Soͤhne entſchließen ſoll, in die er ſich ſo
vergaffet hatte, und ſie fuͤr die Seinigen hielte,
ob er gleich jetzt anfaͤngt daran zu zweifeln.

Du ſiehſt alſo, Lovelace, was es mit den
Maitreſſen fuͤr ein Ende nimmt: Dieſe neue
Lebensart iſt der uhralten nicht vorzuziehen. Der
arme Schelm ſagte zu mir: „Die Maitreſſe kann
„man wohl halten; aber die Guͤter dabey verlie-
„ren. ‒ ‒ Und ſiehe einmahl mein Todtengerip-
„pe an!„ Hierbey wieß er auf ſeinen ſchwind-
ſuͤchtigen Leib.

Wie klug handeln wir, wenn wir uns auf un-
ſere Freyheit,
oder beſſer zu reden, auf die Frey-
heiten, die wir uns ſelbſt nehmen, ſo vieles einbil-
den! Wir haben gewiß nicht Urſache, den Ehe-
ſtand ſo ſehr zu verachten, und unſere matten
Schertze bey demſelben zu verſchwenden: wenn
wir oft ſelbſt von unſern Maitreſſen durch Kuͤnſte,
die wir ohngeachtet aller unſerer Klugheit nicht
einſehen, betrogen werden, und mehr von ihnen
am Stricke geſuͤhret werden, als es ſich irgend ei-
ne Frau zu thun unterſtehet. Denn gewiß, Bel-
ton
iſt nicht der einzige in der Welt, dem es al-
ſo gehet.

Laß uns dieſes reifer uͤberlegen, und zwar nach
unſern freyen Grundſaͤtzen, und nicht nach den Ge-
ſetzen oder Gebraͤuchen unſers Vaterlandes. Und
dennoch koͤnnen wir dieſe Geſetze nicht uͤber den
Haufen ſtoßen, wenn wir nicht zugleich alle die
Pflichten unter die Fuͤße treten wollen, die uns

als
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[131/0137] weiß, worzu er ſich in Abſicht auf ſie und ihre beyden Soͤhne entſchließen ſoll, in die er ſich ſo vergaffet hatte, und ſie fuͤr die Seinigen hielte, ob er gleich jetzt anfaͤngt daran zu zweifeln. Du ſiehſt alſo, Lovelace, was es mit den Maitreſſen fuͤr ein Ende nimmt: Dieſe neue Lebensart iſt der uhralten nicht vorzuziehen. Der arme Schelm ſagte zu mir: „Die Maitreſſe kann „man wohl halten; aber die Guͤter dabey verlie- „ren. ‒ ‒ Und ſiehe einmahl mein Todtengerip- „pe an!„ Hierbey wieß er auf ſeinen ſchwind- ſuͤchtigen Leib. Wie klug handeln wir, wenn wir uns auf un- ſere Freyheit, oder beſſer zu reden, auf die Frey- heiten, die wir uns ſelbſt nehmen, ſo vieles einbil- den! Wir haben gewiß nicht Urſache, den Ehe- ſtand ſo ſehr zu verachten, und unſere matten Schertze bey demſelben zu verſchwenden: wenn wir oft ſelbſt von unſern Maitreſſen durch Kuͤnſte, die wir ohngeachtet aller unſerer Klugheit nicht einſehen, betrogen werden, und mehr von ihnen am Stricke geſuͤhret werden, als es ſich irgend ei- ne Frau zu thun unterſtehet. Denn gewiß, Bel- ton iſt nicht der einzige in der Welt, dem es al- ſo gehet. Laß uns dieſes reifer uͤberlegen, und zwar nach unſern freyen Grundſaͤtzen, und nicht nach den Ge- ſetzen oder Gebraͤuchen unſers Vaterlandes. Und dennoch koͤnnen wir dieſe Geſetze nicht uͤber den Haufen ſtoßen, wenn wir nicht zugleich alle die Pflichten unter die Fuͤße treten wollen, die uns als J 2

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/137>, abgerufen am 21.11.2024.